Harald Winter

Jeremy


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schimmernden Bartes und die gebräunte Haut eines Mannes, der aus südlichen Gefilden stammte. Gutaussehend dachte sie zusammenhanglos. Aber da war noch etwas; etwas das sie nicht sehen, aber spüren konnte. Von ihrem Retter ging etwas aus, das sie noch nie so stark bei einem anderen Menschen wahrgenommen hatte; urtümliche Kraft, absolute Selbstsicherheit und eine Aura von Macht. Er war wie einer der jungen Männer aus den Filmen von denen heranwachsende Mädchen in einsamen Nächten träumten; und doch auch ganz anders. „Du wirst es gleich verstehen“ sagte er. Die Stimme schien irgendetwas tief in ihrem Inneren in Gang zu setzen. In ihrem Magen explodierte ein greller Schmerz und in ihren Ohren pochte das Blut, als würde es ihre Adern sprengen wollen. Ihr wurde unerträglich heiß und ein Schwindelgefühl erfasste sie von einem Augenblick auf den anderen. Keuchend sank sie auf die Knie und presste die Stirn gegen die Erde als der Schmerz in ihrem Magen stärker wurde. Noch nie zuvor hatte sie etwas Ähnliches gespürt. Kreatürliche Angst fegte all ihre Vernunft beiseite. Sie wollte trinken; ihre Zähne in weiches Fleisch... Was zum Teufel ist los mit dir? Sie versuchte den Gedanken festzuhalten, aber er entglitt ihr genauso schnell wie er gekommen war und hinterließ eine irgendwie angenehme Leere; und schrecklichen Durst. Ohne es zu wollen spannte sie alle Muskeln an und warf sich auf ihren Retter. Zumindest wollte sie es. Trotz der erstaunlichen Schnelligkeit mit der sie sich bewegte war sie zu langsam. Der Mann war von einem Augenblick auf den anderen nicht mehr da wo er hätte sein sollen. Sie taumelte noch einige Schritte vorwärts und blieb schließlich verwirrt stehen. Sie begriff nicht, wie es möglich war, dass sie sich so schnell wie eine Figur aus einem Comic bewegen konnte. Noch weniger verstand sie, warum ihr Befreier ihr dennoch mit einer Leichtigkeit hatte ausweichen können, als hätte er es mit einer alten Frau zu tun. „Ich sagte doch, dass ich dir vieles beibringen kann.“ Die Stimme, die so sehr wie die eines gesetzten Professors klang machte sie rasend und ließ den Sinn der Worte verschwimmen. Erneut stürzte sie sich auf ihn und war auch dieses Mal viel zu langsam. Ihr Versagen fachte die Wut in ihrem Inneren nur noch stärker an. Gleichzeitig wurde der Durst größer, der in ihrer Kehle brannte. Ohne es zu bemerken knurrte sie wie ein Raubtier, das einer Bedrohung gegenüber stand. Etwas schloss sich hart wie Klammern aus Stahl um ihre Handgelenke und hielt sie fest. Ihr Befreier stand hinter ihr, wo sie ihn nicht erreichen konnte. Sie versuchte sich herum zu werfen, aber gegen die überlegene Kraft dieses seltsamen Mannes kam sie nicht an. „Ich bin nicht dein Feind. Wenn du aufhörst gegen mich zu kämpfen, dann zeige ich dir, wie du den Durst stillen kannst, der dich quält“ flüsterte er ihr ins Ohr. Als sie versuchte den Kopf zu drehen, um ihn mit ihren Zähnen zu erreichen presste er ihre Handgelenke zusammen, bis ihre Knochen bedenklich knackten. „Lass das lieber sein!“ Seine Stimme klang jetzt schneidend und kalt wie Eis. Sie begriff, dass sie dabei war eine Grenze zu überschreiten, hinter der der Tod lauerte. Das Feuer der Wut wurde schwächer, bis nur noch schwelende Glut zurück blieb. Ihre Gedanken wurden klarer und hörten auf wild durcheinander zu wirbeln. Nur der Durst blieb. Sie spürte wie der Mann in ihrem Rücken ihre Handgelenke los ließ und einen Schritt zurücktrat. Noch einmal spürte sie den übermächtigen Impuls herumzuwirbeln, ihn anzugreifen und ihre Zähne in sein Fleisch zu schlagen das ist krank und das weißt du auch aber sie verzichtete auf einen Versuch, der ohnehin nur scheitern konnte und der sie das Leben kosten konnte in das sie eben erst zurückgefunden hatte. Sie ließ die Schultern hängen und starrte ins Leere. „Was ist mit mir geschehen?“ fragte sie mit kaum hörbarer Stimme. „Komm mit mir und ich zeige es dir.“ Lautlos tauchte er wie hingezaubert neben ihr auf und streckte die Hand aus. Maria ergriff sie und schloss ihre Finger um die seinen. “Du hast schrecklichen Durst” sagte er mit sanfter Stimme. Es klang wie eine Feststellung, nicht wie eine Frage. Sie wollte antworten, aber sie konnte es nicht. Irgendetwas schnürte ihr die Kehle zu und ihr gesamter Körper schien plötzlich von innen heraus zu verbrennen. Sie versank in wohliger Dunkelheit.

      Tod

      Das rostige Tor quietschte als Frank Holden den Friedhof betrat. Es klang fast wie ein Jammern. Die Reihen der Grabsteine lag verlassen vor ihm. Es war bereits dunkel geworden. Kaum jemand hielt sich nach Anbruch der Nacht gerne auf einem Friedhof auf. Frank wusste nicht genau was ihn hierher geführt hatte. Langsam ging er an den Gräbern vorbei. Manche hier hatte er gekannt. Viele, um genau zu sein. Er war hier geboren und hatte den größten Teil seines Lebens hier verbracht. In einer Kleinstadt kannte man irgendwann einfach jeden. Andere waren vor seiner Geburt gestorben. Vor einem Grabstein, der noch sauber und neu aussah blieb er stehen. Maria Mahone, 1976-2006. 30 Jahre waren einfach nicht genug. Frank ließ sich auf der Kante der marmornen Grabplatte nieder. „Wer hat dir das angetan. Was ist mit deinem Mann geschehen. Wenn... wenn du ihn nur sehen könntest. Jeremy hat sich verändert.“ flüsterte er. „Ich weiß was mit ihm passiert ist“ sagte eine bekannte Stimme hinter seinem Rücken. Seine Nackenhaare richteten sich auf. In Panik sprang er auf und wirbelte herum. Was er sah ließ ihn erbleichen. Seine Hände begannen zu zittern. „Du … du …“ stotterte er. Selbst in der Dunkelheit konnte er den traurigen Ausdruck in den Augen der Frau erkennen, die ihn ansah. „Hallo Frank. Ich bin gestorben. Soviel habe ich bereits begriffen. Ich kann spüren, dass auch in Jerry etwas zerbrochen ist. Dafür ist etwas Neues entstanden. Alles andere verstehe ich ebenso wenig wie du.“ Frank keuchte. „Aber wie … warum …“. Er schloss die Augen und schüttelte den Kopf um das Bild das sich ihm bot zu vertreiben. Als er die Lider wieder hob war die Frau immer noch da. Etwas hatte sich allerdings verändert. Ein großer, südländisch aussehender Mann war aus den Schatten getreten. Eine fast greifbare Aura von … Kraft umgab ihn. Frank fand keinen besseren Ausdruck dafür. In seinen Ohren summte es. Ein Teil seines Verstandes registrierte, dass er sich nicht bewegen konnte. „Komm zu mir“, sagte der Mann mit einer dunklen, wohlklingenden Stimme. Wäre Frank dazu in der Lage gewesen, so wäre er der Aufforderung sofort gefolgt, aber seine Beine ignorierten die Impulse seines Gehirns. Testweise versuchte er einen Arm zu bewegen. Auch das gelang ihm nicht. Die Frau hingegen reagierte sofort. Sie trat auf den Mann zu. Wie ein Hund seinem Herren folgt, dachte Frank unvermittelt. Der Mann ergriff ihre Hand und lächelte. Sein Gesicht wandte sich Holden zu und veränderte sich dabei. „Sprich mit niemandem über das was du hier gesehen hast. Die Geschichte würde dir sowieso niemand glauben. Wenn du dennoch jemand anderem davon erzählst, dann werde ich wiederkommen um dich zu töten.“ Frank konnte den Blick nicht von den kalten Augen des Mannes nehmen. Irgendetwas stimmte auch mit diesen Zähnen nicht. „Ach übrigens. Du darfst Mahone einen Gruß von mir bestellen. Sag ihm, dass sich Alexis etwas geholt hat, was einst ihm gehört hat“. Der Mann lachte und wandte sich wieder der Frau zu. Für einen Augenblick verschwamm die Welt vor Franks Augen. Als sich sein Blick wieder klärte war er allein. Versuchsweise bewegte er einen Finger. Der Finger krümmte sich. Frank Holden begann zu rennen. Erst als ein Stechen eine Hälfte seines Körpers lähmte, blieb er keuchend stehen. War er verrückt geworden oder war das eben wirklich passiert? Er brauchte dringend eine Flasche. Egal was für eine. Hauptsache das Zeug darin war stark. Frank wusste nicht, wie er das Chaos in seinem Kopf sonst entwirren sollte. Mit schmerzenden Beinen ging er so schnell er konnte weiter. Er wollte nur so weit wie möglich von diesem Friedhof weg.

      Jeremy betrachtete sein Gesicht im Spiegel. Dazwischen schoben sich immer wieder Bilder von blutgetränkten Laken und einem Wohnwagen der in Flammen stand. Der Spiegel in seinem Arbeitszimmer verriet ihm nicht, was er als nächstes tun sollte. Das hier war kein Märchen. In seinem Kopf war eine seltsame Leere. Das Telefon auf dem Schreibtisch läutete. Langsam griff er danach. Seine Hand schwebte einige Zeit reglos darüber, bis er mit einer ruckartigen Bewegung den Hörer von der Gabel riss. „Jerry? Verdammt Jerry sag doch was!“. Franks Stimme klang übermäßig laut und ziemlich nervös. „Was?“ sagte er nur. Sein Interesse an Unterhaltungen hatte im selben Maße abgenommen, wie das Gefühl der menschlichen Rasse anzugehören. „Gleich wirst du mich für verrückt erklären, aber ich muss dir erzählen was ich eben gesehen habe. Verdammt. Ich bin mir eigentlich gar nicht sicher was da passiert ist. Vielleicht... vielleicht bin ich einfach nur übergeschnappt und habe mir alles nur eingebildet.“ Jeremy hörte Schluckgeräusche und schloss daraus, dass Frank einem alten Freund zusprach. Er hatte schon immer versucht allen Problemen mit Whiskey zu Leibe zu rücken. Aber das bedeutete auch, dass Frank etwas wirklich Verstörendes erlebt haben musste. Diese Unterhaltung konnte vielleicht doch noch von Nutzen sein dachte Jeremy.