DIE ZEIT

Phänomene der Arbeitswelt


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Großunternehmen, wo die Verhandlungen nicht mit unmittelbaren Vorgesetzten, sondern mit Personalchefs geführt werden, die keine eigenen Erfahrungen mit dem fraglichen Arbeitsplatz haben. Überall sonst kennt der Chef seine Pappenheimer, und man kann ihm gegenüber, nur weil es ums Geld geht, nicht plötzlich eine ganz andere Miene aufsetzen.

      Das Gehalt hängt dann davon ab, ob der Chef Sie schätzt (und man kann diese Sympathie nicht durch ein ruckartiges Gespräch steigern) oder ob er sich davor fürchtet, dass Sie abgeworben werden könnten; schließlich auch davon, ob die Firma überhaupt Geld für Lohnerhöhungen hat.

      Wenn man Pech hat, sagt der Chef: Okay, ich sehe ein, wir können Sie uns nicht mehr leisten.

      Wenn das Pech noch größer ist, entspricht das der Wahrheit. Mit anderen Worten: Anders als die Ratgeber behaupten, müssen Gehaltsverhandlungen sehr vorsichtig geführt werden. Und zwar in steter Abwägung mit einem nicht unwichtigen zweiten Aspekt: nämlich wie wichtig einem persönlich der Arbeitsplatz ist und ob der nette, vielleicht etwas melancholische Chef und seine wirtschaftlich leicht angeschlagene Firma am Ende nicht menschlich mehr wert sind als alles Geld, das man bei einem prosperierenden, aber brutal geführten Großunternehmen verdienen könnte. Und umgekehrt, wenn Sie sich nicht wohlfühlen: Keine Gehaltssteigerung wird so süß wie eine Kündigung sein.

      Persönliche Importe

      Eingeschleppte Unarten

      Von Jens Jessen

       ZEIT CAMPUS 3/2008

      Zu den drängenden Etikette-Fragen im Büro gehört ohne Zweifel, was der Angestellte von zu Hause mitbringen darf, um es sich am Arbeitsplatz netter zu machen. Von Pin-up-Girls oder einer Colaflaschensammlung würde ich persönlich abraten; aber letztlich ist das eine Sache der Firmenkultur.

      Es gibt größere Tabus. Manch kleiner Betrieb etwa ist schon abgebrannt, weil der eingeschmuggelte Wasserkocher zu viel für das betagte Stromnetz war. Es kann aber auch die Blankwaffensammlung aus dem vorletzten Weltkrieg zu viel für das Nervenkostüm des Chefs sein; ganz zu schweigen von der Galerie Überraschungseier, die zu Tauschobjekten der gesamten Abteilung werden. Apropos: Auch das Mitbringen von Hühnereiern aus heimischer Produktion zwecks Verkaufs an die Mitarbeiter kann, als ungenehmigter Nebenerwerb betrachtet, zu Kündigungen führen.

      Insofern ist es unverständlich, warum immer nur darüber diskutiert wird, was man aus dem Büro mitnehmen darf, also ab welcher Menge Bleistifte von Diebstahl gesprochen werden muss. Die Gegenstände, die ins Büro eingeschleppt werden, können viel verhängnisvoller sein. Was etwa ist von den Quelle-Sammelbestellern unter den Kollegen zu halten - verbessern sie das Arbeitsklima oder führt das periodische Auspacken von Großpaketen zu Störungen des Workflows? Der Kollege jedenfalls, der mit dem ferngesteuerten Modellhubschrauber den Luftraum des Flurs beherrschte, war allseits beliebt; während der Controller, der sich eine Calvin- Klein-Unterhose als Ikone an die Wand nagelte, fortan gemieden wurde.

      Es ist alles eine Frage des Taktgefühls und des Augenblicks. Dieselbe großvolumige Stereoanlage, die monatelang für Kopfschütteln sorgte, kann anlässlich eines improvisierten Flurfestes zum Knaller werden. Selbst eine Überlastung des Stromnetzes könnte in diesem Fall geduldet werden.

      Soziale Herkunft

      Siegelring und Arschgeweih

      Von Jens Jessen

       ZEIT CAMPUS 4/2008

      Zu den menschlichen Herausforderungen der Arbeitswelt gehört auch die soziale Durchmischung der Kollegenschaft. Es ist ein schwerer Irrtum zu glauben, dass ähnliche Hochschulabschlüsse, Fähigkeiten und Gehälter schon zu einem homogenen Team führen. In der Praxis ist auch im Umgang mit deutschen Kollegen jene multikulturelle Toleranz gefordert, die man sich im Verhältnis zu Ausländern wünscht. Anders gesagt: Man muss den Siegelring genauso zu ertragen lernen wie das Arschgeweih.

      Denn die berufliche Stellung eines Menschen ist nur die eine Seite seiner sozialen Identität; sie wird ebenso durch die Herkunft bestimmt. Nur selten - wenn schon Großvater und Vater Anwalt waren - kommt beides zusammen. In der Regel hat der Kapitalismus, in dem bekanntlich alles »Stehende und Ständische« verdampft (Karl Marx), die Herkunft von der Stellung getrennt.

      Die Position, die für den einen Kollegen ein Aufstieg ist, bedeutet für den anderen einen Abstieg. Es ist nützlich, das zu wissen; insbesondere im Falle des Chefs. Merke: Soziale Kälte ist von alters her das Kennzeichen des Aufsteigers. Selten behält er eine Sympathie für das Milieu, aus dem er sich emporgewurschtelt hat. Meist geht die Karriere mit einem sofortigen Klassenverrat an dem familiären Ursprung einher.

      Leichter zu ertragen ist der Absteiger, für den selbst eine leitende Position nur die weitere Stufe eines Niedergangs bedeuten kann, der womöglich schon vor Generationen einsetzte. Natürlich kann auch er nerven: durch Ressentiments und Hochmut. Meist aber hat er eine gesteigerte Einsicht in die Vergeblichkeit allen menschlichen Tuns, was dem Büroklima sehr zugute kommt.

      Urlaubspostkarten

      Krakelschrift mit Sonnenölflecken

      Von Jens Jessen

       ZEIT CAMPUS 5/2008

      Soll man Ansichtspostkarten aus dem Urlaub schicken? An die Großmutter - selbstverständlich. Aber auch an die liebe Kollegenschaft im Büro?

      Wenn es sich nicht um eindeutig obszöne Motive handelt, muss man damit rechnen, dass sie am Schwarzen Brett landen und die Krakelschrift einschließlich der Sonnenölflecken zum allgemeinen Amüsement freigegeben wird. Handelt es sich dagegen um jene Damenpopos, die von anzüglichen Felsformationen der Algarve eingerahmt werden, besteht die Gefahr, dass besagte Karte mit Kennerblick in der Kantine getauscht wird, nämlich gegen entsprechende Urlaubsmotive aus anderen Abteilungen. Die Goya-Reproduktion aus dem Prado wiederum könnte als unkollegialer Bildungshochmut ausgelegt werden, während eine unverfängliche Küstenlandschaft selten ohne den Pfeil auskommt, der mit Kugelschreiber mühsam eingeritzt werden muss, um die Lage des Hotels zu bezeichnen.

      Kurzum, die Urlaubspostkarte ins Büro enthält meistens eine unbeabsichtigte Zusatzbotschaft, die sich schwer kalkulieren lässt. Wie zum Beispiel soll man die Kollegen anreden? »Ihr Lieben«, pflegte meine Großmutter zu schreiben, »wie geht es Euch? Mir geht es gut. Jetzt muss ich aber schnell zur Post. Eure Großmutti.« Dies ungefähr wäre das Muster für eine wahrhaft unverfängliche Karte - nur dass sie tragischerweise an die Familie gerichtet wurde, wo ein gewisses Maß an persönlicher Verbindlichkeit durchaus erwünscht gewesen wäre. Offenbar aber bildete für meine Großmutter schon die Familie eine Art imaginäres Büro, gegenüber dem man nicht vorsichtig genug sein konnte.

      Von dem Schriftsteller Gustave Flaubert wird erzählt, dass er einmal mehrere Stunden über einem Dankesbrief brütete, der am Ende nur die Worte »besten Dank« enthielt. Mit anderen Worten, der beste Brief ist manchmal nur die Geste eines Briefes. Er kommt an, und mehr hat man vernünftigerweise auch gar nicht gewollt.

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