Gierig wollte Leo ihn jetzt leer trinken und hob ihn hoch. Doch kaum hatte er die ersten Schlucke die durstige Kehle hinuntergekippt, als von der Farm drohender Lärm herüberschallte.
Die Schwarzen, die vorhin vor dem Löwen geflohen waren, hatten sich mit Gewehren, Knüppeln, Pfeilen und Bogen bewaffnet und stürmten heran, um ihn zu erschießen oder wenigstens zu vertreiben. Dabei grölten sie wild durcheinander und schlugen auf Trommeln und Blechbüchsen.
Der kleine Löwe erschrak über den plötzlichen Radau so sehr, dass ihm der Eimer aus den Pfoten rutschte und die Milch über sein Fell schwappte.
„Schnell weg von hier, Leo, sonst jagen dich die Menschen zu Tode!“, drängte ihn die Kuh mit dem Hinkebein.
„Aber ich habe ihnen doch nichts getan.“
„Muh-muh, trotzdem! Die Menschen fürchten sich nun mal vor Löwen. Wenn dir also dein Leben lieb ist, dann lauf jetzt schnell davon.“
„Gut, aber ich komme wieder, liebe dicke Kuh.“
„Ja, und dann darfst du dir wieder so viel Milch melken, wie du willst, muh-muh.“
Noch ehe die Schwarzen nahe genug waren, um schießen zu können, rannte Leo schon davon. Die Kühe deckten dabei seinen Rückzug: Sie stellten sich so in einer dichten Reihe auf, dass die Schwarzen den Löwen nicht mehr sahen.
Erst als er schützendes Buschwerk erreicht hatte, hielt Leo an, um zu verschnaufen. Dabei blickte er sich vorsichtig um. Aber von den schwarzen Männern folgte keiner mehr seiner Fährte.
Das rollende Fass
Die frische Milch hatte dem kleinen Löwen so gut geschmeckt, dass er am nächsten Tag wieder zur Weide aufbrach, um die Kuh mit dem Hinkebein zu melken. Aber er kam überhaupt nicht bis dorthin. Unterwegs nämlich, als er am Fluss vorbeitrottete, hörte er Kinderstimmen und fröhliches Gelächter.
„Jetzt bin ich dran!“
„Los, steig schon ein!“
„Den Deckel drauf - und jetzt den Berg hinunter!“
So schallte es zu ihm herüber. Verwundert blieb der kleine Löwe stehen und fragte sich, was dort hinten wohl los sei. Sehen konnte er nichts, dafür standen die Büsche zu dicht.
Wo gelacht wird, da geht es bestimmt lustig zu, dachte er, und dafür bin ich immer zu haben.
Diesmal jedoch trabte er nicht so arglos auf die Stelle zu, von der die Stimmen kamen. Er dachte nämlich daran, wie sehr er am Vortag die schwarzen Melker erschreckt hatte, als er so unerwartet auf der Weide aufgetaucht war. Deshalb achtete er darauf, dass er, während er sich heranschlich, immer durch Buschwerk gedeckt war.
Endlich war Leo nahe genug herangekommen. Durch die Blätter eines Strauches hindurch spähte er auf einen Hügel. Eine Schar schwarzer Kinder tummelte sich dort im Sonnenschein. Die Kleinen spielten mit einem Fass, dass der Fluss ans Ufer geschwemmt hatte. Abwechselnd stieg immer ein Kind ins Fass hinein und kauerte sich darin so tief, bis auch der Kopf nicht mehr über den Rand hinausragte. Die anderen Spielgefährten drückten dann den Deckel oben drauf, kippten das Fass um und ließen es die Böschung hinunterrollen. Dann rannten sie schreiend hinterher. Sobald das Fass wieder still lag, schob das Kind von innen den Deckel hoch und kletterte hinaus. Danach rollten sie alle das Fass wieder die Böschung hinauf und stritten sich darum, wer als Nächster damit rollen durfte.
„Ich bin an der Reihe“, rief ein kleines Mädchen.
Doch ein kräftiger Junge schubste es zur Seite. „Du bist doch schon dran gewesen.“
„Ist ja nicht wahr!“
Als die anderen Kinder die Behauptung des Mädchens bestätigten, gab der kräftige Junge schließlich nach und forderte das Mädchen auf:
„Also gut, klettere schon rein!“.
Kaum hockte das schwarze Mädchen im Fass, da stülpten die anderen den Deckel darauf und schubsten es den Hügel hinunter.
So ganz ungefährlich war das Spiel mit dem rollenden Fass jedoch nicht. Aber die Kinder dachten nur an ihr Vergnügen und spielten unbekümmert weiter.
Mehrere Male hatte der kleine Löwe zugeschaut, wie die Kinder mit dem Fass die Böschung hinunterrollten. Am liebsten wäre er begeistert aufgesprungen und hätte mitgespielt. Doch er hielt sich weiter zurück und erfreute sich an dem lustigen Treiben.
Aber immer nur zuschauen müssen, ohne mitspielen zu dürfen, davon wurde Leo auf die Dauer doch müde. Erst fiel ihm das linke Auge zu, dann auch das rechte, und ohne es recht zu wissen, döste er ein. Erst als ihm schließlich der Kopf schwer auf die Pfoten sank, schreckte er hoch. Nein, einschlafen wollte er nicht. Um sich wieder richtig wach zu machen, schüttelte er den Kopf und gähnte dazu, als wolle er die ganze Welt verschlingen.
Das hätte er jedoch nicht tun dürfen! Als die schwarzen Kinder sein Gähnen hörten, erstarrten sie entsetzt. Mit einem Schlag verstummte ihr fröhliches Lachen.
Leo, der beim Gähnen die Augen geschlossen hatte, merkte nichts von alldem und gähnte zum zweiten Mal - diesmal sogar noch lauter und länger.
Die Kinder standen noch immer da wie gelähmt, bis endlich ein größerer Junge ängstlich schrie:
„Ein Löwe! Ein Löwe will uns fressen! Ein Löwe!“
Sogleich stimmten auch seine Spielkameraden in das Angstgeschrei ein und kreischten durcheinander:
„Ein Löwe!“
„Ein wilder Löwe!“
„Ein Löwe will uns fressen!“
„Lasst uns nach Hause laufen!“, rief der größere Junge den vor Angst zitternden Kindern zu.
„Ja, rasch!“, schrie ein anderer.
„Nach Hause!“
„Ein Löwe will uns fressen!“
„Nach Hause, rasch nach Hause!“
„Lauft doch schneller, sonst schnappt er uns noch alle!“
„Schneller, schneller!“, drängte der größere Junge.
Dabei war es überflüssig, die Kinder anzutreiben. So schnell wie diesmal hatten sie noch nie Reißaus genommen.
In der Patsche
Erst jetzt merkte Leo, was er angerichtet hatte, und schlug sich zur Strafe mit der Pfote aufs Maul, als er zum dritten Mal gähnen wollte.
Ich Dummkopf, ich Trottel, schalt der kleine Löwe sich selbst. Immer muss ich gähnen und andere erschrecken. Dabei bin ich doch gar kein Löwe wie andere Löwen, und fressen will ich erst recht niemanden. Ich mag doch nur Kokosnüsse, Bananen und frische Milch.
Um die schwarzen Kinder, die er durch sein Gähnen so sehr erschreckt hatte, wenigstens halbwegs wieder zu versöhnen, rief er ihnen zu:
„Bleibt doch hier, Freunde, ich tu euch nichts, bestimmt nicht! Ich möchte nur gern mit euch spielen.“
Aber die Kinder hörten ihn nicht mehr, so weit waren sie schon davongerannt. Wie leer gefegt sah die Böschung aus. Nur das Fass war übriggeblieben und lag umgekippt im Sand.
Nein, nein, die Kinder kommen bestimmt nicht mehr zurück, brummte Leo vor sich hin, und spielen werden sie erst recht nicht mit mir. Dazu habe ich sie zu sehr erschreckt. Da bleibt mir nichts anderes übrig, als allein zu spielen. Ich möchte zu gern mal ausprobieren, wie das ist, so mit dem Fass die Böschung hinunterzurollen.
Der kleine Löwe gab sich entschlossen einen Ruck, trabte auf das leere Fass zu und richtete es auf, so wie er es vorhin bei den Kindern gesehen hatte. Dann stieg er hinein, langte nach dem Deckel und zog ihn von innen auf die Öffnung des Fasses hinab.
So, das Fass ist zu, dachte er. Jetzt muss ich nur noch dafür sorgen, dass es auch die Böschung hinunterrollt.
Da