im Salon.
Die Gräfin hatte ein mageres Gesicht von orientalischem Typus; sie war etwa fünfundvierzig Jahre alt und offenbar durch die Entbindungen, deren sie zwölf durchgemacht hatte, stark mitgenommen. Die von ihrer Kraftlosigkeit herrührende Langsamkeit ihrer Bewegungen und ihrer Sprache verlieh ihr ein vornehmes Wesen, welches Respekt einflößte. Die Fürstin Anna Michailowna Drubezkaja saß, als zum Haus gehörig, gleichfalls im Salon und war beim Empfang und bei der Unterhaltung der Besucher behilflich. Die Jugend hatte es nicht für nötig befunden, sich an der Entgegennahme der Visiten zu beteiligen, sondern befand sich in den hinteren Zimmern. Der Graf dagegen empfing die Gratulanten, begleitete sie wieder hinaus und lud alle zum Diner ein.
»Sehr, sehr dankbar bin ich Ihnen, meine Teuerste oder mein Teuerster« (»meine Teuerste« oder »mein Teuerster« sagte er zu allen Besuchern ohne Ausnahme, sowohl zu denen, welche höher als er, wie auch zu denen, die tiefer standen), »für meine eigene Person und im Namen meiner beiden Angehörigen, welche heute ihren Namenstag begehen. Haben Sie doch die Güte, heute zum Mittagessen zu uns zu kommen. Eine Ablehnung würde mir gar zu schmerzlich sein, mein Teuerster. Ich bitte Sie herzlich im Namen der ganzen Familie, meine Teuerste.« Diese Worte sagte er ohne Variationen zu allen ohne Ausnahme, mit dem gleichen Ausdruck in dem vollen, vergnügten, sauber rasierten Gesicht, mit dem gleichen kräftigen Händedruck und mit den gleichen, mehrmals wiederholten kurzen Verbeugungen. Sobald der Graf einen Gast hinausbegleitet hatte, kehrte er zu den Besuchern oder Besucherinnen zurück, welche noch im Salon waren, rückte sich einen Sessel heran, setzte sich, und indem er mit der Miene eines Mannes, dem es Freude macht zu leben und der auch zu leben versteht, forsch und munter die Beine auseinanderspreizte, die Hände auf die Knie legte und sich bedeutsam hin und her wiegte, stellte er Vermutungen über das Wetter auf und tauschte gute Ratschläge über die Gesundheit aus, und zwar bald auf russisch, bald in sehr schlechtem, aber zuversichtlich vorgebrachtem Französisch. Und dann stand er wieder von neuem auf, um mit der Miene eines zwar ermüdeten, aber mit treuer Festigkeit seine Pflicht erfüllenden Mannes Gästen das Geleit zu geben, wobei er sich die spärlichen grauen Haare auf der kahlen Platte zurechtstrich und immer wieder zum Mittagessen einlud. Bisweilen ging er, bei der Rückkehr aus dem Vorzimmer, durch das Blumenzimmer und das Geschäftszimmer nach dem großen Marmorsaal mit heran, wo eine Tafel zu achtzig Gedecken bereitet wurde, sah einen Augenblick den Dienern zu, welche Silber und Porzellan herbeitrugen, die Tische zurechtstellten und die Damasttischtücher auflegten, rief seinen Dmitri Wasiljewitsch, einen Mann von adliger Herkunft, der ihm sämtliche geschäftlichen Angelegenheiten besorgte, zu sich heran und sagte: »Na ja, lieber Dmitri, sieh nur zu, daß alles recht schön wird. Gut so, gut so«, bemerkte er beifällig, indem er mit Vergnügen den riesigen Ausziehtisch betrachtete. »Die Hauptsache ist immer die Ausstattung der Tafel. Ja, ja ...« Und dann ging er mit einem kleinen selbstgefälligen Seufzer wieder in den Salon.
»Marja Lwowna Karagina nebst Tochter!« meldete mit seiner Baßstimme ein hünenhafter Rostowscher Lakai, indem er in die Tür des Salons trat. Die Gräfin überlegte einen Augenblick lang und schnupfte aus einer goldenen Dose, die auf dem Deckel das Bild ihres Mannes trug.
»Diese Visiten haben mich schon ganz krank gemacht«, sagte sie. »Nun, diese will ich noch annehmen; das soll dann aber auch die letzte sein. Die Dame ist gar zu förmlich und würde es mir übelnehmen ... Ich lasse bitten!« sagte sie zu dem Diener in so traurigem Ton, als ob sie sagen wollte: »Nun, dann tötet mich nur vollends!«
Eine Dame von hoher, stattlicher Figur und stolzem Gesichtsausdruck und ihr rundköpfiges, lächelndes Töchterchen traten, mit den Kleidern raschelnd, in den Salon.
»Es ist schon sehr lange her ... Gräfin ... Sie ist krank gewesen, das arme Kind ... Auf dem Ball bei Rasumowskis ... Die Gräfin Apraxina ... Ich habe mich so sehr gefreut ...«, so ließen sich nun lebhafte weibliche Stimmen vernehmen; eine unterbrach immer die andere, und mit dem Ton der Stimmen vermischte sich das Rascheln der Kleider und das Geräusch der Stühle, die zurechtgerückt wurden. Dann begann ein Gespräch von jener Art, wie man es anscheinend nur anknüpft mit der Absicht, bei der ersten eintretenden Pause wieder aufzustehen, mit den Kleidern zu rascheln, zu sagen: »Ich habe mich sehr, sehr gefreut ... Mamas Befinden ... Die Gräfin Apraxina ...«, um dann wieder, mit den Kleidern raschelnd, in das Vorzimmer zu gehen, den Pelz oder Mantel anzuziehen und wegzufahren.
Das Gespräch behandelte auch die wichtigste Neuigkeit, die es damals in Moskau gab, die Krankheit des alten Grafen Besuchow, bekannt als Krösus und als einer der schönsten Lebemänner zur Zeit der Kaiserin Katharina; so kam man auch auf seinen natürlichen Sohn Pierre, der sich auf einer Soiree bei Anna Pawlowna Scherer so unpassend benommen haben sollte.
»Ich bedaure den armen Grafen außerordentlich«, sagte die Besucherin. »Sein Befinden ist so schon so schlecht, und nun noch dieser Kummer über den Sohn. Das wird sein Tod sein!«
»Was ist denn eigentlich geschehen?« fragte die Gräfin, als ob ihr der Vorfall, von dem die Besucherin sprach, unbekannt wäre, wiewohl sie doch bereits ungefähr fünfzehnmal die Ursache von Graf Besuchows Kummer gehört hatte.
»Da haben wir die Folgen der heutigen Erziehung! Und noch dazu der Erziehung im Ausland!« sagte die Besucherin. »Dieser junge Mann ist vollständig sich selbst überlassen gewesen, und jetzt hat er, wie man hört, in Petersburg so schreckliche Dinge begangen, daß ihn die Polizei aus der Stadt ausgewiesen hat.«
»Unerhört!« sagte die Gräfin.
»Er ist in einen schlechten Bekanntenkreis hineingeraten«, mischte sich die Fürstin Anna Michailowna in das Gespräch. »Der eine Sohn des Fürsten Wasili, er und ein gewisser Dolochow sollen ganz tolle Geschichten angestellt haben. Nun haben sie dafür ihre Strafe bekommen. Dolochow ist zum Gemeinen degradiert, und Besuchows Sohn ist nach Moskau verwiesen. Was Anatol Kuragin betrifft – für den hat der Vater auf irgendeine Weise eine Milderung der Strafe erwirkt. Aber Petersburg hat er auch verlassen müssen.«
»Aber was haben sie denn getan?« fragte die Gräfin.
»Ganz ruchlose Menschen müssen das sein, namentlich dieser Dolochow«, antwortete die Besucherin. »Er ist ein Sohn von Frau Marja Iwanowna Dolochowa, einer so hochachtbaren Dame, und nun so etwas! Können Sie sich das vorstellen: die drei haben sich irgendwo einen Bären verschafft, haben sich mit ihm in einen Wagen gesetzt und ihn in die Wohnung von Schauspielerinnen mitgenommen. Die Polizei kam eilig herbei, um dem Unfug Einhalt zu tun; da haben sie den Reviervorsteher ergriffen, ihn Rücken an Rücken mit dem Bären zusammengebunden und den Bären in den Moika-Kanal geworfen; der Bär schwamm im Wasser, und der Reviervorsteher auf ihm drauf.«
»Eine hübsche Figur muß der Reviervorsteher dabei gemacht haben, meine Teuerste!« rief der Graf, der vor Lachen beinahe sterben wollte.
»Ach, es ist ja doch eine ganz entsetzliche Handlungsweise! Was ist dabei nur zu lachen, Graf?«
Aber unwillkürlich lachten die Damen ebenfalls.
»Nur mit Mühe gelang es, den Unglücklichen zu retten«, fuhr die Besucherin fort. »Auf eine so löbliche Weise amüsiert sich der Sohn des Grafen Kirill Wladimirowitsch Besuchow!« fügte sie hinzu. »Und dabei hieß es, er wäre so gut erzogen und so verständig! Da sieht man, wohin diese ganze ausländische Erziehung führt! Hoffentlich wird ihn hier trotz seines Reichtums niemand empfangen. Es wollte ihn mir jemand vorstellen; aber ich habe mich entschieden geweigert; ich habe Töchter, auf die ich Rücksicht nehmen muß.«
»Warum sagen Sie, daß dieser junge Mann so reich sei?« fragte die Gräfin; sie bog sich von den jungen Mädchen weg, die sich auch sogleich den Anschein gaben, als ob sie nicht zuhörten. »Graf Besuchow hat doch nur illegitime Kinder. Und wie es scheint, ist auch Pierre ein solches.«
Die Besucherin deutete durch eine Handbewegung an, wie arg es damit stände, und bemerkte: »Ich glaube, er hat zwanzig illegitime Kinder.«
Hier griff wieder die Fürstin Anna Michailowna in das Gespräch ein; sie wünschte offenbar an den Tag zu legen, was für hohe Verbindungen sie besitze, und wie gut sie über alle Vorgänge in den höheren Gesellschaftskreisen orientiert sei.
»Die Sache verhält sich so«, sagte sie