Fjodor Dostojewski

Fjodor Dostojewski: Hauptwerke


Скачать книгу

Haus, etwas seitwärts von der Litejnaja-Straße, nach der Preobraschenski-Kathedrale zu. Außer diesem stattlichen Haus, von dem fünf Sechstel vermietet waren, besaß General Jepantschin noch ein gewaltiges Haus in der Sadowaja-Straße, das gleichfalls einen sehr hohen Ertrag brachte.

      Außer diesen beiden Häusern hatte er dicht bei Petersburg ein sehr bedeutendes, einträgliches Gut und ferner im Petersburger Kreis eine Fabrik. In früheren Zeiten hatte General Jepantschin, wie allgemein bekannt war, sich auch an Branntweinpachtungen beteiligt. Jetzt war er Mitglied mehrerer solider Aktiengesellschaften und hatte dabei eine sehr gewichtige Stimme. Er galt als ein Mann mit großem Vermögen, ausgedehnter Tätigkeit und einflußreichen Verbindungen. An manchen Stellen hatte er es verstanden, sich völlig unentbehrlich zu machen, unter anderm auch in seinem Dienst. Aber daneben war auch bekannt, daß Iwan Fjodorowitsch Jepantschin ein Mann ohne Bildung war, der Sohn eines gemeinen Soldaten; dies konnte ihm ohne Zweifel nur zur Ehre gereichen; aber obgleich der General ein verständiger Mensch war, so war er doch nicht frei von kleinen, sehr verzeihlichen Schwächen und liebte es nicht, daß jemand auf gewisse Dinge anspielte. Aber ein verständiger, gewandter Mensch war er unstreitig. So zum Beispiel befolgte er den Grundsatz, sich nicht vorzudrängen, wo es zweckmäßig war, in den Hintergrund zu treten, und viele schätzten ihn gerade wegen seiner Schlichtheit, gerade deswegen, weil er immer seinen Platz kannte. Wenn indessen diese Beurteiler nur gesehen hätten, was manchmal in Iwan Fjodorowitschs Seele vorging, der seinen Platz so gut kannte! Obgleich er tatsächlich große Geschicklichkeit und Erfahrung in irdischen Dingen und mancherlei sehr beachtenswerte Fähigkeiten besaß, so vermied er es doch, als der geistige Urheber eines Planes zu erscheinen, und tat lieber so, als führe er nur eine fremde Idee aus; er gab sich als einen Mann, der »ohne Kriecherei treu ergeben« sei, und (wozu läßt man sich nicht durch die Zeitverhältnisse bringen?) sogar als echten Russen. In letzterer Hinsicht begegneten ihm sogar einige amüsante Geschichten; aber der General ließ nie den Kopf hängen, auch bei den komischsten Vorfällen nicht; außerdem hatte er Glück, sogar im Kartenspiel, und er spielte außerordentlich hoch und verbarg absichtlich nicht diese kleine (wenn man will) Schwäche für das Kartenspiel, die ihm in vielen Fällen so wesentlichen Nutzen brachte, sondern kehrte sie vielmehr heraus. Die gesellschaftlichen Kreise, in denen er verkehrte, waren von sehr verschiedener Art, selbstverständlich aber sämtlich »durchaus anständig«. Aber es lag noch eine große Zukunft vor ihm; er konnte es abwarten, konnte es noch sehr abwarten, und alles mußte zu seiner Zeit und in der richtigen Ordnung kommen. Auch was sein Lebensalter anlangte, befand sich General Jepantschin noch, was man zu nennen pflegt, in den besten Jahren, das heißt, er war sechsundfünfzig Jahre alt, nicht älter, was jedenfalls ein blühendes Lebensalter darstellt, ein Lebensalter, mit dem eigentlich erst das richtige Leben beginnt. Seine Gesundheit, seine frische Gesichtsfarbe, die kräftigen, wenn auch schwarzen Zähne, der stämmige, untersetzte Körperbau, der ernste Ausdruck morgens im Dienst und die heitere Miene abends beim Kartenspiel oder bei Seiner Erlaucht: all dies trug zu seinen gegenwärtigen und künftigen Erfolgen bei und bestreute den Lebensweg Seiner Exzellenz mit Rosen.

      Der General erfreute sich einer blühenden Familie. Allerdings gab es hier für ihn nicht lauter Rosen; aber dafür war so manches da, worauf schon seit längerer Zeit die wichtigsten Hoffnungen und Bestrebungen Seiner Exzellenz in ernster, herzlicher Empfindung gerichtet waren. Und welche Bestrebungen im Leben könnten auch wichtiger und heiliger sein als die elterlichen? Woran soll jemand sein Herz hängen, wenn nicht an die Familie? Die Familie des Generals bestand aus seiner Gattin und drei erwachsenen Töchtern. Der General hatte in sehr jugendlichem Alter geheiratet, als er noch im Range eines Leutnants stand, und zwar ein mit ihm fast gleichaltriges Mädchen, das weder Schönheit noch Bildung besaß und ihm nur fünfzig Seelen mitbrachte, die allerdings als Grundlage für die weitere günstige Entwicklung seiner Vermögensverhältnisse dienten. Aber der General murrte in der Folgezeit nie über seine frühe Heirat, betrachtete sie nie als einen unglücklichen Jugendstreich, und seine Gattin schätzte er so hoch und fürchtete sich vor ihr manchmal so sehr, daß er sie sogar liebte. Die Generalin stammte aus der fürstlichen Familie Myschkin, einer zwar nicht glänzenden, aber sehr alten Familie, und war auf ihre Herkunft sehr stolz. Eine damals einflußreiche Persönlichkeit, einer jener Gönner, denen die Gönnerschaft nichts kostet, hatte die Freundlichkeit, sich für die Ehe der jungen Prinzessin zu interessieren. Er öffnete dem jungen Offizier die Pforte zur Karriere und gab ihm einen Stoß nach vorwärts; der aber hätte gar nicht einmal eines Stoßes, sondern nur eines einzigen Gnadenblickes bedurft, er wäre nicht zugrunde gegangen. Mit wenigen Ausnahmen verlebten die Gatten die ganze Zeit ihrer langen Ehe in voller Einmütigkeit. Schon in sehr jungen Jahren hatte es die Generalin verstanden, als eine geborene Prinzessin und als die Letzte ihres Geschlechts, vielleicht auch durch ihre persönlichen Eigenschaften einige sehr hochgestellte Gönnerinnen zu finden. In der Folgezeit begann sie bei dem Reichtum und dem bedeutenden Dienstrang ihres Gatten sich in diesem hohen Kreise sogar einigermaßen einzubürgern.

      In diesen letzten Jahren waren die Generalstöchter alle drei herangewachsen und herangereift: Alexandra, Adelaida und Aglaja. Allerdings trugen sie alle drei nur den Namen Jepantschin; aber mütterlicherseits waren sie doch von fürstlicher Abkunft; sie hatten eine bedeutende Mitgift und einen Vater, der vielleicht Aussicht hatte, später noch eine sehr hohe Stelle zu erhalten, und, was ebenfalls sehr wichtig war, sie waren alle drei recht hübsch, auch die älteste, Alexandra, nicht ausgenommen, die bereits fünfundzwanzig Jahre alt war. Die mittlere war dreiundzwanzig, und die jüngste, Aglaja, war eben erst zwanzig geworden. Diese Jüngste war sogar eine wirkliche Schönheit und begann schon in der Gesellschaft großes Aufsehen zu erregen. Aber auch das war noch nicht alles: alle drei zeichneten sich durch Bildung, Verstand und Talente aus. Es war bekannt, daß sie einander innig liebten und sich gegenseitig in allen Stücken hilfreich waren. Man wußte sogar von gewissen Opfern zu sagen, die die beiden älteren zugunsten der jüngsten, die der Abgott des ganzen Hauses war, gebracht haben sollten. In Gesellschaft neigten sie nicht dazu, sich vorzudrängen, sondern waren sogar allzu bescheiden. Niemand konnte ihnen den Vorwurf der Hoffart oder des Dünkels machen; aber doch wußte man, daß sie ihren Stolz hatten und ihren eigenen Wert kannten. Die älteste war musikalisch, die mittlere eine begabte Malerin; aber davon wußte viele Jahre lang fast niemand, und es war erst in der letzten Zeit und nur zufällig an die Öffentlichkeit gekommen. Kurz, es wurde über sie außerordentlich viel Lobendes gesprochen. Indessen fehlte es auch nicht an Übelwollenden. Mit Schrecken redeten diese davon, wieviele Bücher die jungen Damen gelesen hätten. Mit dem Heiraten hatten sie es nicht eilig; sie legten zwar Wert auf den Verkehr in einem gewissen Gesellschaftskreis, aber alles nur mit Maßen. Das war um so bemerkenswerter, als jedermann die Richtung, den Charakter, die Ziele und die Wünsche ihres Vaters kannte.

      Es war schon gegen elf Uhr, als der Fürst an der Wohnung des Generals klingelte. Der General wohnte im zweiten Stockwerk und hatte ein möglichst bescheidenes, wiewohl seinem Rang entsprechendes Quartier inne. Dem Fürsten wurde von einem Diener in Livree geöffnet, und es bedurfte langer Auseinandersetzungen mit diesem Menschen, der ihn und sein Bündelchen gleich von Anfang an mißtrauisch betrachtete. Endlich, nachdem er ihm wiederholt auf das bestimmteste erklärt hatte, daß er wirklich Fürst Myschkin sei und unbedingt den General in einer notwendigen Angelegenheit sprechen müsse, führte ihn der erstaunte Diener in ein kleines Vorzimmer vor dem eigentlich beim Arbeitszimmer gelegenen Wartezimmer, und übergab ihn dort einem andern Diener, der vormittags in diesem Vorzimmer den Dienst versah und dem General die Besucher anzumelden hatte. Dieser zweite Diener trug einen Frack, war über vierzig Jahre alt und hatte eine ernste, wichtige Miene; er stand Seiner Exzellenz zur speziellen Verfügung, wenn derselbe sich im Arbeitszimmer befand, und war sich infolgedessen seines Wertes bewußt.

      »Warten Sie im Wartezimmer und lassen Sie Ihr Bündelchen hier!« sagte er, indem er sich langsam und würdevoll in seinen Lehnstuhl setzte und mit einem strengen, erstaunten Blick den Fürsten ansah, der sich ebendort neben ihm auf einen Stuhl niederließ und sein Bündelchen in der Hand behielt.

      »Wenn Sie erlauben«, sagte der Fürst, »so möchte ich lieber hier bei Ihnen warten; was soll ich dort so ganz allein?«

      »Im Vorzimmer können Sie nicht bleiben, da Sie ein Besucher, das heißt ein Gast, sind. Wollen Sie zum General selbst?«

      Der Diener konnte sich offenbar nicht mit