Fjodor Dostojewski

Fjodor Dostojewski: Hauptwerke


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Sie sind empört, beleidigt und stoßen einen Schrei der Entrüstung aus: aber trotz alledem hat er es getan! Selbstverständlich wurde ihm das Geld sogleich zurückgeschickt, sozusagen ihm ins Gesicht zurückgeschleudert. Wie soll nun die Sache erledigt werden? Gerichtlich verfolgen läßt sie sich nicht; es bleibt nur der Weg der Öffentlichkeit übrig! Wir übergeben daher dieses Geschichtchen dem Publikum, indem wir uns für seine Richtigkeit verbürgen. Man sagt, einer unserer bekanntesten Humoristen habe darüber ein reizendes Epigramm verfaßt, das nicht nur in den provinziellen, sondern auch in den hauptstädtischen Sittenschilderungen eine Stelle zu finden verdient:

      In 'nem Mäntelchen von Schneider

      Spielte Ljow fünf Jahr herum;

      Unterdessen wurde leider

      Nichts aus seinem Studium.

      Heimgekehrt drauf in Gamaschen,

      Erbt' er glücklich 'ne Million

      Und bestahl trotz voller Taschen

      Einen armen Musensohn.«

      Als Kolja geendet hatte, reichte er die Zeitschrift so schnell wie möglich dem Fürsten hin, stürzte, ohne ein Wort zu sagen, in eine Ecke, drückte sich dicht hinein und verbarg das Gesicht in den Händen. Er schämte sich in einem unerträglichen Grade, und sein kindliches, an Schmutz noch nicht gewöhntes Empfinden war maßlos verletzt. Es schien ihm, als sei etwas ganz Ungewöhnliches vorgegangen, als sei alles Bestehende dadurch auf einmal niedergerissen, und als sei er selbst beinah mit daran schuld, schon allein dadurch, daß er es laut vorgelesen habe.

      Aber auch alle übrigen schienen Ähnliches zu empfinden.

      Die jungen Mädchen fühlten sich sehr unbehaglich und schämten sich. Lisaweta Prokofjewna hielt einen heftigen Zorn gewaltsam zurück und bereute es wohl bitter, sich in die Sache eingelassen zu haben; jetzt schwieg sie. Mit dem Fürsten ging dasselbe vor, was allzu schüchternen Menschen in solchen Fällen zu begegnen pflegt: er schämte sich dermaßen über das Benehmen anderer, nämlich seiner Gäste, daß er sich im ersten Augenblick fürchtete, sie auch nur anzusehen. Ptizyn, Warja, Ganja, sogar Lebedjew, alle machten etwas verlegene Gesichter. Das Sonderbarste war, daß Ippolit und »Pawlischtschews Sohn« ebenfalls erstaunt zu sein schienen; auch Lebedjews Neffe war offenbar unzufrieden. Nur der Boxer saß ganz ruhig da und drehte mit würdevoller Miene seinen Schnurrbart; die Augen hielt er niedergeschlagen, aber nicht aus Verlegenheit; im Gegenteil schien es, als tue er es aus edler Bescheidenheit, und um sein Triumphgefühl nicht allzu sichtbar werden zu lassen. An allem konnte man merken, daß der betreffende Artikel ihm sehr gut gefiel.

      »Weiß der Teufel, was das vorstellen soll«, brummte Iwan Fjodorowitsch halblaut. »Das ist ja, als hätten fünfzig Lakaien sich zusammengetan und das abgefaßt.«

      »Gestatten Sie die Frage, mein Herr, wie Sie es wagen können, uns durch solche Vermutungen zu beleidigen?« fragte Ippolit, am ganzen Leibe zitternd.

      »Das, das, das ist für einen anständigen Menschen ... Sagen Sie selbst, General, wenn ein anständiger Mensch ... so ist das doch verletzend!« brummte der Boxer, der gleichfalls auf einmal zusammenfuhr, seinen Schnurrbart drehte, und mit den Schultern und dem ganzen Oberkörper zuckte.

      »Erstens bin ich für Sie nicht ›mein Herr‹, und zweitens beabsichtige ich Ihnen keinerlei Erklärungen zu geben«, erwiderte der höchst ergrimmte Iwan Fjodorowitsch in scharfem Ton, stand auf, ging, ohne ein weiteres Wort zu sagen, zum Ausgang der Veranda und stellte sich dort auf die oberste Stufe hin, den Anwesenden den Rücken zuwendend. Er war höchst empört über Lisaweta Prokofjewna, die auch jetzt noch nicht daran dachte, sich vom Fleck zu rühren.

      »Meine Herren, meine Herren, gestatten Sie mir doch endlich, etwas zu sagen, meine Herren!« rief der Fürst bekümmert und aufgeregt; »und tun Sie mir den Gefallen, lassen Sie uns so miteinander reden, daß wir uns gegenseitig verstehen! Auf den Artikel will ich nicht weiter eingehen, meine Herren; lassen wir ihn meinetwegen beiseite; nur ist ja alles, was in dem Artikel gedruckt ist, unwahr, meine Herren! Ich darf Ihnen das sagen, weil Sie es ja selbst wissen; man muß sich geradezu schämen. Ich würde daher sehr verwundert sein, wenn einer von Ihnen das geschrieben haben sollte.«

      »Ich habe von dem Artikel bis auf diesen Augenblick nichts gewußt«, erklärte Ippolit. »Ich billige ihn nicht.«

      »Ich habe zwar gewußt, daß er geschrieben war; aber ... ich hätte ebenfalls nicht dazu geraten, ihn zu drucken, weil es noch zu früh ist«, fügte Lebedjews Neffe hinzu.

      »Ich habe es gewußt; aber ich habe ein Recht ... ich ...«, murmelte »Pawlischtschews Sohn«.

      »Wie! Sie selbst haben das alles verfaßt?« fragte der Fürst, indem er Burdowski gespannt anblickte. »Aber das ist doch ganz unmöglich!«

      »Wir brauchen Ihnen aber keine Berechtigung zu solchen Fragen zuzugestehen«, mischte sich Lebedjews Neffe hinein.

      »Ich habe mich ja nur gewundert, daß Herr Burdowski das fertig gebracht hat ... aber ... ich möchte doch eines bemerken: wenn Sie diese Sache schon der Öffentlichkeit übergeben hatten, warum fühlten Sie sich denn dann vorhin so beleidigt, als ich in Gegen wart meiner Freunde von eben dieser Sache zu reden anfing?«

      »Endlich!« murmelte Lisaweta Prokofjewna ärgerlich.

      »Und Sie haben sogar noch vergessen, Fürst«, bemerkte, plötzlich zwischen den Stühlen hervorschlüpfend, Lebedjew, der sich nicht länger beherrschen konnte und beinah fieberte, »Sie haben noch vergessen, daß nur Ihr guter Wille und Ihre beispiellose Herzensgüte Sie veranlaßt haben, diese Herren zu empfangen und anzuhören, und daß sie keinerlei Recht haben, dies zu fordern, um so weniger, da Sie diese Angelegenheit schon an Gawrila Ardalionowitsch zur Erledigung abgegeben haben, ebenfalls infolge Ihrer außerordentlichen Güte. Jetzt aber, durchlauchtigster Fürst, wo Sie sich inmitten Ihrer auserlesenen Freunde befinden, dürfen Sie auf diese Gesellschaft nicht um dieser Herren willen verzichten; Sie könnten allen diesen Herren ohne weiteres die Tür weisen, worüber ich als Besitzer dieses Hauses mich sogar außerordentlich freuen würde ...«

      »Vollkommen richtig!« erscholl auf einmal aus dem Hintergrund General Iwolgins dröhnende Stimme.

      »Genug damit, Lebedjew, genug damit, genug damit ...«, begann der Fürst; aber ein ganzer Sturm unwilliger Ausrufe übertönte seine Worte.

      »Nein, entschuldigen Sie, Fürst, entschuldigen Sie; jetzt darf es nicht damit genug sein?« überschrie Lebedjews Neffe alle übrigen. »Jetzt muß die Sache klar und bestimmt festgestellt werden, da sie offenbar nicht richtig verstanden wird. Es sind hier juristische Finten hineingebracht worden, und auf Grund dieser Finten droht man, uns zur Tür hinauszuwerfen! Meinen Sie denn wirklich, Fürst, daß wir so dumm wären, nicht selbst zu verstehen, daß unsere Sache sich nicht gerichtlich verfolgen läßt, und daß wir vom juristischen Standpunkt aus nicht berechtigt sind, auch nur einen Rubel von Ihnen zu verlangen? Aber wir sagen uns, daß, wenn hier auch kein juristisches Recht vorliegt, dafür doch ein menschliches, natürliches Recht vorhanden ist, ein Recht des gesunden Verstandes und der Stimme des Gewissens, und daß, wenn auch dieses unser Recht in keinem vermoderten menschlichen Gesetzbuch geschrieben steht, doch ein anständiger, ehrenhafter Mensch, was ganz dasselbe ist wie ein vernünftig denkender Mensch, verpflichtet ist, auch in denjenigen Fällen anständig und ehrenhaft zu bleiben, die in den Gesetzbüchern nicht verzeichnet stehen. Darum sind wir hierher gekommen, ohne zu fürchten, daß man (womit Sie uns soeben gedroht haben) uns deshalb aus der Tür werfen werde, weil wir nicht bitten, sondern fordern, und weil unser Besuch zu so später Stunde unschicklich ist (wiewohl wir eigentlich nicht so spät gekommen sind, sondern Sie es waren, der uns in der Gesindestube solange warten ließ), darum, sage ich, sind wir furchtlos hierher gekommen, weil wir annehmen, Sie seien ein vernünftig denkender Mensch, das heißt ein ehrenhafter, gewissenhafter Mensch. Ja, es ist wahr: wir sind nicht demütig hereingekommen, nicht wie Schmarotzer und Bittsteller, sondern mit erhobenem Kopf, wie freie Männer, und durchaus nicht mit einer Bitte, sondern mit einer freien, stolzen Forderung (hören Sie: nicht mit einer Bitte, sondern mit einer Forderung; merken Sie sich das!). Wir legen Ihnen