von uns in alle Häuser der Stadt und stellte überall in den schmeichelhaftesten Ausdrücken, unter Tränen, Dunjetschkas Unschuld fest und sprach vom Adel ihrer Gefühle und ihres Betragens. Und noch mehr als das: sie zeigte allen den eigenhändigen Brief Dunjetschkas an Herrn Swidrigailow, las ihn vor und ließ von ihm sogar Abschriften anfertigen (was ich sogar für überflüssig halte). So mußte sie einige Tage hintereinander alle Menschen in der Stadt aufsuchen, so daß manche sich sogar gekränkt fühlten, weil sie erst nach den anderen kamen; auf diese Weise wurde eine Reihenfolge festgesetzt, so daß man sie in jedem Hause schon im voraus erwartete, und alle Menschen wußten, daß Marfa Petrowna an dem und dem Tage dort und dort den Brief vorlesen würde; zu jeder Vorlesung versammelten sich immer neue Leute, und auch solche, die den Brief schon einige Male wie bei sich, so auch bei ihren Bekannten gehört hatten. Ich meine, daß hierbei vieles, sehr vieles überflüssig war. Aber Marfa Petrowna ist einmal so. Jedenfalls stellte sie die Ehre Dunjetschkas vollkommen wieder her, und die ganze Gemeinheit dieser Sache fiel als unverwischbare Schmach auf ihren Mann, als den Hauptschuldigen, so daß er mir sogar leid tut; man hat diesen Wahnsinnigen doch zu streng bestraft. Dunja bekam sofort mehrere Aufforderungen, in verschiedenen Häusern Unterricht zu geben, doch sie schlug es ab. Alle begannen ihr überhaupt eine besondere Achtung zu zeigen. Dies alles trug hauptsächlich zu dem unerwarteten Ereignis bei, durch das sich jetzt unser ganzes Schicksal sozusagen wendet. Wisse nun, lieber Rodja, daß ein Freier um Dunja angehalten und daß sie ihm bereits ihr Jawort gegeben hat: dies beeile ich mich, Dir mitzuteilen. Obwohl diese Sache auch ohne Deinen Ratschlag zustande gekommen ist, wirst Du wohl weder mir noch Deiner Schwester Vorwürfe machen, denn Du kannst aus der Sache selbst ersehen, daß es uns unmöglich war, zu warten und die Entscheidung bis zum Eintreffen Deiner Antwort hinauszuschieben. Auch hättest Du das alles von Petersburg aus gar nicht beurteilen können. Es kam aber so. Er ist schon Hofrat, heißt Pjotr Petrowitsch Luschin und ist ein entfernter Verwandter von Marfa Petrowna, die die ganze Sache lebhaft gefördert hat. Es fing damit an, daß er durch sie den Wunsch äußerte, unsere Bekanntschaft zu machen; dann wurde er, wie es sich ziemt, empfangen, trank bei uns Kaffee und schickte schon am nächsten Tag einen Brief, in dem er sehr höflich seinen Antrag darlegte und um eine schnelle und bestimmte Antwort ersuchte. Er ist ein vielbeschäftigter Mensch und hat die Absicht, so fort nach Petersburg zu reisen, und will keinen Augenblick verlieren. Natürlich waren wir zuerst sehr bestürzt, denn es war allzu schnell und unerwartet gekommen. Wir überlegten uns die Sache gemeinsam den ganzen Tag. Er ist ein zuverlässiger, gut versorgter Mann, bekleidet zwei Stellungen und besitzt schon ein eigenes Kapital. Allerdings ist er schon fünfundvierzig Jahre alt, aber von recht angenehmem Außern und kann noch Frauen gefallen; er ist auch überhaupt ein höchst solider und anständiger Mann, nur ein wenig düster und vielleicht auch hochmütig. Es mag sein, daß das nur auf den ersten Blick so vorkommt. Ich bitte Dich schon jetzt, lieber Rodja, ihn, wenn Du ihn in Petersburg siehst, was sehr bald geschehen wird, nicht so voreilig und zu hitzig zu beurteilen, wie es Dir eigen ist, wenn Dir auf den ersten Blick etwas an ihm mißfällt. Ich sage das für jeden Fall, obwohl ich überzeugt bin, daß er auf Dich einen angenehmen Eindruck machen wird. Außerdem muß man an einen Menschen, den man wirklich kennenlernen will, ganz allmählich und mit der größten Vorsicht herantreten, um nicht in Fehler oder Vorurteile zu verfallen, die später sehr schwer zu korrigieren und zu beseitigen sind. Pjotr Petrowitsch ist aber, wenigstens nach vielen Anzeichen zu schließen, ein höchst ehrenwerter Mann. Gleich bei seinem ersten Besuch erklärte er uns, daß er ein nüchterner Mensch sei, doch in vielen Dingen, wie er sich selbst ausdrückte, ›die Überzeugungen unserer jüngsten Generation‹ teile und ein Feind von allen Vorurteilen sei. Er sagte noch vieles andere, denn er scheint etwas ehrgeizig zu sein und es zu lieben, daß man ihm zuhöre, aber das ist ja fast kein Fehler. Ich habe davon natürlich wenig verstanden, aber Dunja erklärte mir, daß er zwar nicht übermäßig gebildet, doch klug und anscheinend auch gut sei. Du kennst doch den Charakter Deiner Schwester, Rodja. Sie ist ein starkes, vernünftiges, geduldiges und großmütiges Mädchen, wenn auch etwas zu hitzig, was ich an ihr genau studiert habe. Natürlich liegt hier weder auf seiner noch auf ihrer Seite eine besondere Liebe vor, aber Dunja ist nicht nur ein kluges Mädchen, sondern auch ein edles Wesen, ein Engel, und wird es für ihre Pflicht halten, das Glück eines Mannes auszumachen, der auch seinerseits für ihr Glück sorgt; das letztere zu bezweifeln, haben wir zunächst keine zwingenden Gründe, obwohl die Sache, offen gestanden, doch etwas zu schnell zustandegekommen ist. Außerdem ist er ein klug berechnender Mann und wird natürlich selbst einsehen, daß sein eigenes Eheglück um so gesicherter sein wird, je glücklicher Dunjetschka mit ihm ist. Was aber irgendwelche Unebenheiten im Charakter, irgendwelche alte Angewohnheiten und sogar gewisse Gegensätze in den Ansichten (die sich ja auch in den glücklichsten Ehen nicht vermeiden lassen) betrifft, so hat mir Dunjetschka gesagt, daß sie sich darin auf sich selbst verläßt; daß kein Grund zur Beunruhigung vorliege und daß sie vieles tragen könne, unter der Bedingung, daß das Verhältnis auch in Zukunft ebenso ehrlich und gerecht bleibe. Das Außere eines Menschen ist aber oft trügerisch. Mir erschien er zum Beispiel im ersten Augenblick etwas schroff; das kann aber auch darauf beruhen, daß er gerade und offenherzig ist, und das ist auch sicher der Fall. Zum Beispiel schon bei seinem zweiten Besuche, als er das Jawort hatte, äußerte er sich im Gespräch, daß er sich schon früher, ehe er noch Dunja kennengelernt, vorgenommen hätte, ein ehrliches Mädchen, doch ohne Mitgift, zu heiraten, und zwar unbedingt eines, das schon in einer Notlage gewesen sei: er erklärte es damit, daß ein Mann, nach seiner Meinung, seiner Frau durch nichts verpflichtet sein müsse und daß es viel besser sei, wenn die Frau den Mann für ihren Wohltäter halte. Ich bemerke, daß er sich etwas weicher und liebenswürdiger ausdrückte, als ich es Dir hier schreibe, denn ich habe seine genauen Ausdrücke vergessen und erinnere mich nur des Sinnes; außerdem sagte er dies durch aus nicht mit Absicht, sondern ließ es nur in der Hitze des Gesprächs wohl ganz zufällig fallen, so daß er sich später bemühte, es zu vertuschen und zu mildern; und doch kam mir dies etwas schroff vor, und ich teilte diese Bedenken später auch Dunja mit. Aber Dunja antwortete mir sogar geärgert: ›Worte sind noch keine Taten‹, und hat natürlich recht. Vor ihrem Entschluß hatte Dunjetschka eine ganze Nacht nicht geschlafen und war, in der Meinung, daß ich schon schlafe, vom Bett aufgestanden und die ganze Nacht im Zimmer auf und ab gegangen; schließlich kniete sie nieder und betete lange und heiß vor dem Heiligenbilde; am anderen Morgen erklärte sie mir aber, daß sie sich entschlossen habe.
Ich habe schon erwähnt, daß Pjotr Petrowitsch jetzt nach Petersburg reist. Er hat dort viel zu tun und will in Petersburg ein öffentliches Bureau für Rechtsangelegenheiten eröffnen. Er beschäftigt sich schon seit langer Zeit mit der Führung von Zivilklagen und Prozessen und hat erst dieser Tage einen bedeutenden Prozeß gewonnen. Darum muß er auch nach Petersburg, weil er dort vor dem Senat einen wichtigen Prozeß zu führen hat. So kann er auch Dir sehr nützlich sein, lieber Rodja, sogar in jeder Beziehung, und für mich und Dunja steht es schon fest, daß Du vom heutigen Tage an Deine zukünftige Karriere ganz bestimmt beginnen wirst und Deine Zukunft für gesichert ansehen darfst. Oh, wenn dies doch in Erfüllung ginge! Das wäre so ein Gewinn, daß man es nur für eine Gnade des Allerhalters ansehen dürfte. Dunja träumt überhaupt nur davon. Wir haben schon riskiert, einige Worte darüber Pjotr Petrowitsch zu sagen. Er äußerte sich sehr vorsichtig und sagte, daß er, da er ohne einen Sekretär nicht auskommen könne, es natürlich vorziehen würde, das Gehalt einem Verwandten und nicht einem Fremden zu zahlen, wenn dieser Verwandte sich nur für den Posten eigne (Du solltest Dich nicht eignen!); zugleich äußerte er aber auch Bedenken, ob Deine Studien an der Universität Dir genug Zeit für die Arbeit in seinem Bureau übrig lassen würden. Damit endete auch das erste Gespräch; Dunja will jetzt an nichts anderes denken. Seit einigen Tagen ist sie wie im Fieber und hat schon ein ganzes Projekt ausgeheckt, daß Du in Zukunft Gehilfe und sogar Kompagnon von Pjotr Petrowitsch in seinen Rechtsangelegenheiten werden könntest, um so mehr, als Du Jus studierst. Ich bin mit ihr vollkommen einverstanden, Rodja, und teile alle ihre Pläne und Hoffnungen, da ich sie für durchaus erfüllbar halte; und trotz der jetzigen, wohl verständlichen Zurückhaltung Pjotr Petrowitschs (weil er Dich noch gar nicht kennt) ist Dunja fest überzeugt, daß sie alles durch ihren guten Einfluß auf ihren künftigen Mann durchsetzen wird; ja, davon ist sie fest überzeugt. Wir nahmen uns natürlich sehr in acht, Pjotr Petrowitsch auch nur etwas von unseren Hoffnungen und davon, daß Du sein Kompagnon werden sollst, zu verraten. Er ist ein nüchterner Mensch und könnte