Juryk Barelhaven

DarkZone


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einer ehemals weißen Fläche, die nun wie eine hässliche Narbe zum Tal führte und deutlich machte, welche Kraft gerade entfesselt worden war. Mühsam versuchte er die Welt anzuhalten, während sich alles drehte. Sein Board war gesplittert, feuchtkalte Stellen suggerierten ihm, dass sein Anzug undicht war … aber er hatte es geschafft! Er setzte sich unsanft in den Matsch, während sein Verstand wieder zur Ruhe kam. Schweratmend ließ er sich auf den Rücken fallen, reckte beide Arme zum Himmel und juchzte vergnügt, während das Adrenalin langsam abflaute.

      Aber für einen langen Moment fühlte sich Charlie O´Neill lebendig wie selten zuvor.

      + + +

      -Zwei Monate später-

       Das Roxcorp MainOffice in Woodhill, Utah feierte die Fertigstellung eines neuen Flügels, indem es eine exklusive Besichtigung veranstaltete, ehe er der Öffentlichkeit übergeben wurde. Eine Teilnahme war nur auf persönliche Einladung möglich. Eine gravierte Einladung – der Verwaltungsrat scheute keine Kosten, da er schon lange erkannt hatte, dass Hauptgeschäftsstellen, auch wenn sie für die eigenen Mitarbeiter gedacht sind, stets als Aushängeschild für Kunden und der Presse dienen.

      Steve Parker wartete, während der uniformierte Wächter nach der Einladung fragte, ehe er das junge Paar eintreten ließ. Die Stimme des Wächters klang arrogant und feindselig zugleich. Der junge Mann griff in die Innentasche seines billigen Smokings und reagierte erfreut, aber nicht überrascht, als er feststellte, dass seine Mutter daran gedacht hatte, die Einladung einzustecken. Aber sein Versuch, sie dem uniformierten Wächter zu zeigen, wurde mit einer abwertenden Haltung vereitelt. „Highschool Musical findet hier nicht statt, Kleiner. Falsche Garderobbe.“

      Schnell beeilte sich Steve die Karte zu zeigen, die mit spitzen Fingern entgegengenommen wurde. Der Wächter las den Namen unwillig, doch sehr zur Freude des Gastes veränderte sich seine Haltung in Sekunden: „Der Boss erwartet sie im Penthouse. Wünsche angenehmen Abend, Sir“, sagte der Wächter, ein serviles Winseln in der Stimme, das für stumme Schadenfreude sorgte. Steve blickte auf die Brust des Wächters und gewahrte ein Namensschild aus Messing. „Vielen Dank, Bruce“, sagte er und ging an den Absperrseilen vorbei in den neuen Flügel des Komplexes.

      Der neue Flügel sollte „Hier und Heute“ heißen. Er war für aktuelle Themen von gesellschaftlicher und kultureller Bedeutung vorgesehen. Die erste Ausstellung „Die Größe und Bedeutung Roxcorp“, war bereits aufgebaut und zeigte die Entwicklung des Mischkonzerns von einem Pelzhandelsposten in der Wildnis über eine Firma, die in verschiedenen Bereichen investierte und heute mit zu einem der größten Mischkonzerne gehörte: Hotels und Immobilien, Häfen, Einzelhandel, Telekommunikation und Energie und Infrastruktur. Der neuntgrößte Mischkonzern der Welt verfügte über einen Börsenwert von mehr als 47 Mrd. Dollar. Der Leitspruch „RoxCorp – Besser. Schneller. Kundenzufriedenheit.“ prangte wie ein Mantra auf allen Karten, Geschäftsbroschüren und dem Banner, das in der Eingangshalle hoch über allen Besuchern hing.

      Steve zeigte dreimal seine Einladung, bis er in einem Fahrstuhl stand und den obersten Knopf drückte. Während der Fahrt entfernte er sich mehr und mehr von der Halle und starrte auf die buntgewürfelte Besuchermasse der Reichen und Schönen – ein kleiner Vorgeschmack auf sein zukünftiges Leben, wie er hoffte.

      Oben angekommen, durchsuchten ihn zwei Leibwächter äußerst gründlich bis sie ihm mit Widerwillen bedeuteten, weiterzugehen. Neben einem Konferenzzimmer, einem weitläufigen Büro und einem privaten Raum verfügte die oberste Etage auch über einen Fitnessraum, der gerade intensiv genutzt wurde.

      Steve bewegte sich langsam hinüber zur Glastür und empfand schon jetzt ein leichtes Grauen vor der Begegnung, die jedoch unvermeidlich war. Dort trainierte der CEO – der leibhaftige „Boss“ von allem - und in wenigen Augenblicken auch Steves Vorgesetzter, der einmal im Jahr einen der begehrtesten Praktikumsplätze des Landes an einen einzelnen BWL-Studenten verlieh. Eine hervorragende Chance und ein Sprungbrett nach oben – wenn man es nicht vermasselte.

      An der Tür hielt er inne, um den Mann, der auf dem Laufband trainierte, einen kurzen Blick zuzuwerfen. Es war der Mann von den Broschüren von RoxCorp, das Gesicht der Firma, das man in einigen Werbespots einfach wiedererkennen musste, wenn man nicht gerade blind war. Charlie O´Neill, drahtig und schlank, bewegte sich wie eine Gazelle auf einem Laufband und wirkte wie ein Triathlet, der dem Körperkult ausgiebig frönte. Der fast 1,90 Meter große Mann trug seine Haare stets streng kurzgeschnitten und würde zum Ende des Monats zum „Sexiest Man alive“ gekürt werden – dafür hatte er selbst gesorgt. Viele seiner Kontakte arbeiteten seit langem schon an seinem Profil des perfekten Milliardärs und zukünftigen Politikers, der nicht nur schön, sondern zudem auch noch scharfsinnig und intelligent war. Laut wikipedia hatte er als Schüler Kurse in lineare Algebra besucht, hatte die volle Punktzahl im amerikanischen Uni-Eignungstest erreicht und an der Eliteuni MIT studiert. Er schrieb mehrere Bücher über mathematische, politische und sozioökonomische Probleme und konnte auf Koreanisch, Japanisch, Deutsch und Englisch kommunizieren. Das Magazin "Vanity Fair" und die Macher der TV-Show "60 Minutes" hatten die Abstimmung initiiert, an der 956 Befragte teilnahmen. Mit fast einem Drittel aller Stimmen konnte sich die notorische oder vielmehr Immer-wieder-Single-Mann an die Spitze setzen. 43 Prozent der Befragten waren der Meinung, er sei der attraktivste Prominente ohne ständigen Partner. Noch immer erreichten den Hauptsitz Liebesbriefe von männlichen wie auch weiblichen Singles. Er drückte beim Laufen seinen Rücken durch, war vermutlich Anfang Vierzig, von mittlerer Größe, mit einem in zwei dünne, gerade Linien geteilten Schnurrbart, der perfekt die dunklen Striche seiner Augenbrauen ergänzte, und einem markanten gefurchten Kinn.

      Als hätte er den Blick des Neuankömmlings auf sich gespürt, wandte sich Charlie um ohne sein Lauftempo zu verlangsamen. Erstaunlicherweise reagierte der CEO mit einem strahlenden Lächeln, stellte das Band ab und winkte Steve zu sich, der wie in Trance alles in sich aufnahm. Der Praktikant betrachtete den hochgewachsenen, attraktiven Mann vor sich; einen Mann, der für sein Sportlerdress, den er trug, sicherlich mehr ausgegeben hatte, als er in einem Monat verdiente. Ganz zu schweigen von der Inneneinrichtung des Penthouse.

      „Sie müssen Parker sein. Ihr erstes Pflichtpraktikum. Willkommen bei RoxCorp.“ Charlie O´Neill trat entschlossen heran und reichte ihm die Hand, während er mit der anderen sich den Schweiß von der Stirn abtupfte. „Ich möchte etwas klarstellen“, sagte er im Vorbeigehen und steuerte auf eine Bar an. „Eigentlich wollte ich mit dir die Ausstellung besuchen, aber mein Kater ist mordsmäßig. Also gebe ich mir Training, Antioxidantien, du weißt schon.“

      Steve war überrascht, dass ein Mann, der so weit über ihm stand, so ungezwungen mit ihm redete. Sein Tonfall war weder herablassend noch kühl, und in seinen Augen funkelte echtes Interesse.

      „Ja, Sir. Verstehe, Sir“, gab Steve zögernd wieder und kam sich deplatziert vor. „Danke für die Einladung. Sehr großzügig.“

      Charlie blickte ihn aus schmalen Augen an und rieb sich das Kinn. „Kumpel, ich kann das nachvollziehen. Du bist schockiert.“

      „Äh…ja?“

      „Ja, du denkst: Oh, mein Gott, dort steht Charlie O´Neill und verdient mehr Scheine als meine ganze Verwandtschaft zusammen. Der Brötchengeber von vierzehntausend Menschen und Hauptaktionär von SpaceTec“, schmunzelte Charlie gelassen und winkte ab. „Vergiss einfach diese Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Scheiße. Wir sind nur zwei Typen in einem Büro. Ich will dich reden hören. Rede einfach mit mir. Teile mir deine intimsten Gedanken mit. Es gibt keine dummen Ideen. Lass uns unsere Gedanken teilen.“

      Mit einem perplexen Gesichtsausdruck starrte Steve den Eigentümer an. Er hoffte, dass sich Charlie O´Neill nicht als homosexuell entpuppte und ihn zu Dingen zwingen wollte, die Steve garantiert nicht machen würde – Erfolg hin, Erfolg her. Man erzählte sich am Campus, Charlie würde aus reichem Hause stammen und hatte einen eh schon erfolgreichen Betrieb in Rekordzeit anwachsen lassen während Steve selbst in einem stadtnahen Diner Teller wusch und Zeitungen austrug, um sich überhaupt die Studentengebühren leisten zu können. Die beiden Männer trennten Welten – und jetzt gab sich sein zukünftiger Chef freundlich und kollegial, als wäre die Kluft zwischen beiden kaum der Rede wert. Aus einem Impuls blieb er bei