er seine grüne Brille ab, wischte sorgfältig die Gläser mit dem Ärmel seines Überrockes und steckte die Brille in die Tasche.
War Bon-Bon schon über das Erlebnis mit dem Buche erstaunt gewesen, so nahm seine Verblüffung wesentlich zu bei dem Schauspiel, das sich nun seinen Augen darbot. Als er mit dem Gefühl lebhafter Neugier seine Blicke erhob, um die Augenfarbe seines Gastes festzustellen, fand er sie entgegen seinen Erwartungen weder schwarz noch grau, wie es schließlich auch seinen Vorstellungen entsprochen hätte, weder gelb noch rot noch violett noch weiß noch grün noch von irgendeiner oben im Himmel oder unten auf Erden oder im Wasser unter der Erde auffindbaren Farbe. Kurz, Pierre Bon-Bon sah nicht nur, daß Seine Majestät überhaupt keine Augen hatte, sondern er konnte auch keine Spuren von einer früheren Anwesenheit derselben entdecken; denn der Platz, welchen die Natur den Augen sonst anweist, war einfach eine – Fleischfläche.
Es lag aber nicht in der Natur des Metaphysikers, sich der Frage zu enthalten, woher dieses außergewöhnliche Verhalten stamme; und Seine Majestät antwortete würdig, befriedigend und ohne Zögern.
»Augen? mein lieber Bon-Bon, Augen? Sagtest du nicht so? – oh! – ah! – Ich verstehe. Die lächerlichen Drucke, die im Umlauf sind, haben dir eine falsche Vorstellung von meinem Äußeren beigebracht. Augen, Pierre Bon-Bon, sind gut und schön an ihrem richtigen Orte – der ist, wie du behaupten möchtest, der Kopf? Richtig – der Kopf eines Wurms. Auch dir sind diese Sehwerkzeuge unentbehrlich, ich werde dich aber überzeugen, daß meine Sehkraft durchdringender ist als die deine. In der Ecke dort sehe ich eine Katze, eine hübsche Katze; sieh sie dir an, beobachte sie gut. Nun, Bon-Bon, kannst du ihre Gedanken erkennen – die Gedanken, sage ich, die Überlegungen, die Vorstellungen, die sich in ihrem Schädel entwickeln? Da hast du's ja – du kannst es nicht. Sie denkt, daß wir die Länge ihres Schwanzes und die Tiefgründigkeit ihres Gemütes bewundern. Sie ist eben mit sich darüber ins reine gekommen, daß ich der ausgezeichnetste aller Priester bin und daß sie in dir den oberflächlichsten aller Metaphysiker erblickt. Du siehst also, daß ich keineswegs ganz blind bin; aber für einen meines Standes würden die Augen, von denen du sprichst, nur eine Last und im übrigen jederzeit der Gefahr ausgesetzt sein, durch eine Röstgabel oder durch eine Ofengabel aus den Höhlen gerissen zu werden. Ich gestehe allerdings zu, daß dir diese optischen Dinger hier unentbehrlich sein mögen. Bemühe dich also, Bon-Bon, sie gut zu gebrauchen; – meine Sehkraft aber liegt im Innern.«
Hierauf schenkte sich der Gast von dem Weine ein, der auf dem Tische stand, schenkte auch Bon-Bons Humpen voll und forderte ihn auf, ohne Bedenken zu trinken und sich ganz wie zu Hause zu fühlen.
»Dein Buch hier ist tatsächlich hervorragend, Pierre«, mit diesen Worten nahm Seine Majestät die Unterhaltung wieder auf und klopfte ihrem Freund verständnisvoll auf die Schulter, gerade als letzterer sein Glas niedersetzte, nachdem er seine unbedingte Zustimmung zur Rede des Gastes zu erkennen gegeben hatte. »Dein Buch ist gut gemacht, auf Ehre, es ist ein Werk nach meinem Sinne. Immerhin könnte, meiner Meinung nach, in der Sache noch manches verbessert werden, und manche Begriffe erinnern an Aristoteles. Dieser war einer meiner allerintimsten Bekannten. Ich hatte eine große Zuneigung zu ihm wegen seines schrecklich schlechten Charakters und wegen seiner herrlichen Fertigkeit, Verwirrung anzurichten. Nur eine wirklich begründete Wahrheit ist in allem zu finden, was er schrieb, und die habe ich ihm eingegeben aus purem Mitleid mit seiner Albernheit. Ich vermute, Pierre Bon-Bon, daß du wohl weißt, von welcher herrlichen Lehre hier die Rede ist?«
»Ich kann nicht behaupten, daß ich – – –«
»Wirklich? Nun, ich war es, der Aristoteles beibrachte, daß die Menschen durch das Niesen überschüssige Gedanken auf dem Wege des Gesichtsvorsprunges entfernen.«
»Und das ist – hup! – zweifellos auch der Fall«, sagte der Metaphysiker, füllte sich zu gleicher Zeit seinen Humpen aufs neue mit Champagner und bot dem Gaste seine Schnupftabaksdose hin.
»Auch zu Plato,« fuhr Seine Majestät fort, indem Sie die Schnupftabaksdose und das damit verbundene Kompliment bescheiden ablehnte, »auch zu Plato fühlte ich einst freundschaftliche Zuneigung. Du kennst Plato, Bon-Bon? – Ah, nein, bitte tausendmal um Entschuldigung. Er traf mit mir eines Tages im Parthenon von Athen zusammen und sagte mir, daß er um eine Idee verlegen sei. Ich forderte ihn auf, niederzuschreiben, daß ὁ νους ἐστιν αὐλος. Er sagte, dies würde er tun und ging nach Hause, während ich mich hinüber zu den Pyramiden begab. Aber mein Gewissen strafte mich, weil ich eine Wahrheit geäußert hatte, wenn auch nur, um einem Freunde zu helfen. Ich eilte zurück nach Athen und kam hinter dem Stuhle des Philosophen an, als er gerade das Wort αὐλος niederschrieb.
Nun gab ich schleunigst dem Lambda einen Nasenstüber mit meinem Finger, so daß es auf dem Kopfe stand. Der Satz steht also jetzt folgendermaßen da: ὁ νους ἐστιν αὐγος und dieser Satz ist, wie dir bekannt sein wird, die Grunddoktrin seiner metaphysischen Schriften.«
»Waren Sie jemals in Rom?« fragte der Restaurateur, als er seine zweite Flasche Champagner austrank und für eine genügende Zufuhr von Chambertin sorgte.
»Nur einmal, Herr Bon-Bon, nur ein einziges Mal,« sprach der Teufel in einem Tone, als sagte er etwas Auswendiggelerntes her. »In früheren Zeiten herrschte dort fünf Jahre lang Anarchie. Während dieser Zeit war die Republik aller ihrer Beamten beraubt und hatte keine Oberleitung außer der der Volkstribunen, denen aber keinerlei Exekutivmacht zuband; damals, Herr Bon-Bon, damals war ich zum einzigen Male in Rom, und so kann ich keinerlei irdische Verbindung mit den dortigen Philosophen haben.«
»Wie denken Sie über – wie denken Sie über – hup! – Epikur?«
»Was ich über wen denke?« rief der Teufel im Tone höchstens Erstaunens. »Es fällt Ihnen doch wohl kaum bei, Epikur irgendwie zu tadeln. Was ich über Epikur denke. Meinen Sie mich damit, Herr? – Ich bin Epikur. Ich bin derselbe Philosoph, der jene hundert Abhandlungen erfaßte, die Diogenes Laertes bewahrte.«
»Das ist eine Lüge.« schrie der Metaphysiker, denn der Wein war ihm ein wenig zu Kopfe gestiegen.
»Sehr gut! – sehr gut, mein Herr! – wirklich sehr gut, mein Herr.« sagte Seine Majestät offenbar ungeheuer geschmeichelt.
»Das ist eine Lüge.« wiederholte der Restaurateur gebieterisch; »das ist eine – hup! – eine Lüge.«
»Gut, gut, wie du willst!« sagte der Teufel in beschwichtigendem Tone, und Bon-Bon, der Seine Majestät in der einen Streitfrage geschlagen hatte, hielt es für seine Pflicht, eine zweite Flasche Chambertin zu beendigen.
»Wie ich schon gesagt habe,« fuhr der Besucher fort – »wie ich schon vorhin bemerkt habe, finden sich einige sehr outrierte Begriffe in Ihrem Buche, Herr Bon-Bon. Was zum Beispiel wollen Sie mit all dem Schwindel betreffs der Seele sagen? Aber, bitte, was ist die Seele?«
»Die – hup! – Seele«, antwortete der Metaphysiker, indem er sich auf sein Manuskript bezog, »ist unzweifelhaft – – –«
»Nein, mein Herr.«
»Ganz zweifellos – – –«
»Nein, mein Herr.« »Unbestreitbar – – –«
»Nein, mein Herr.«
»Erwiesenermaßen – – –«
»Nein, mein Herr.«
»Unstreitig – – –«
»Nein, mein Herr.«
»Hup! – – –«
»Nein, mein Herr.«
»Und ohne jede Frage ein – – –«
»Nein, mein Herr, die Seele ist nichts dergleichen.«
(Hier nahm der Philosoph, indem seine Augen Blitze schossen, die Gelegenheit wahr, auf einen Schlag seiner dritten Flasche Chambertin ein Ende zu bereiten.)
»Dann – hup! – bitte, mein Herr, – was – was ist sie?«
»Gehört nicht hierher, Herr