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habe, so hat sie keinen Anlaß, sich durch meine dreiste Neugier beleidigt zu fühlen. Aber die Sache ist die, daß sie mir zwar erlaubt, Fragen zu stellen, sie aber nicht beantwortet. Manchmal beachtet sie sie überhaupt nicht. So stehen wir zueinander.

      Gestern wurde bei uns viel von einem Telegramm gesprochen, das schon vor vier Tagen nach Petersburg abgeschickt, auf das aber noch keine Antwort eingegangen war. Der General ist sichtlich aufgeregt und mit seinen Gedanken beschäftigt. Es handelt sich natürlich um die alte Tante. Auch der Franzose ist in Aufregung. So sprachen sie gestern nach dem Mittagessen lange und ernst miteinander. Der Ton des Franzosen ist uns allen gegenüber sehr hochmütig und geringschätzig. Es geht hier genau nach dem Sprichwort: »Wenn man ihn an den Tisch nimmt, so legt er gleich die Füße darauf.« Sogar gegen Polina benimmt er sich geringschätzig bis zur Ungezogenheit; jedoch nimmt er mit Vergnügen an den gemeinsamen Spaziergängen im Kurpark und an den Ausflügen zu Pferde und zu Wagen in die Umgegend teil. Mir ist schon längst etwas von den Beziehungen bekannt, die zwischen dem Franzosen und dem General bestehen: in Rußland wollten sie zusammen eine Fabrik errichten; ich weiß nicht, ob das Projekt aufgegeben ist, oder ob sie noch immer davon sprechen. Außerdem ist mir zufällig ein Teil eines Familiengeheimnisses bekanntgeworden: der Franzose hat im vorigen Jahr dem General wirklich aus einer bösen Klemme geholfen, indem er ihm dreißigtausend Rubel gab zur Deckung eines Defizits bei den Staatsgeldern, das sich herausstellte, als der General sein Amt abgab. Und nun hat er natürlich den General im Schraubstock; jetzt aber, gerade jetzt spielt in allen diesen Dingen doch Mademoiselle Blanche die Hauptrolle, und ich bin überzeugt, daß ich auch hierin mich nicht irre.

      Was ist diese Mademoiselle Blanche für eine Person? Hier bei uns wird gesagt, sie sei eine vornehme Französin, die mit ihrer Mutter zusammen lebe und ein kolossales Vermögen besitze. Es ist auch bekannt, daß sie eine Verwandte unseres Marquis ist, aber eine sehr entfernte Verwandte, eine weitläufige Cousine. Man sagt, vor meiner Abreise nach Paris hätten der Franzose und Mademoiselle Blanche sich gegeneinander weit förmlicher benommen und ihr Verkehr hätte sich in viel feinerer, gewählterer Form vollzogen; jetzt sähen ihre Bekanntschaft, Freundschaft und Verwandtschaft ungenierter und intimer aus. Vielleicht erscheint ihnen unsere Lage schon als dermaßen schlecht, daß sie es nicht für nötig erachten, vor uns erst noch viele Umstände zu machen und sich zu verstellen. Ich bemerkte schon vorgestern, daß Mister Astley Mademoiselle Blanche und ihre Mutter aufmerksam betrachtete. Es machte mir den Eindruck, als kenne er sie beide schon. Es schien mir auch, daß unser Franzose bereits früher mit Mister Astley zusammengetroffen sei. Indes ist Mister Astley so schüchtern, schwach und schweigsam, daß man sicher sein kann, er wird keine Indiskretion begehen. Wenigstens grüßt ihn der Franzose kaum und sieht ihn beinah nicht an, wonach anzunehmen ist, daß er sich nicht vor ihm fürchtet. Das kann man noch verstehen; aber warum sieht Mademoiselle Blanche ihn gleichfalls nicht an? Sie tat es nicht einmal, als der Marquis sich gestern verplapperte: bei einem Gespräch, an dem sich alle beteiligten, sagte er auf einmal, ich weiß nicht mehr aus welchem Anlaß, Mister Astley sei kolossal reich, das wisse er; da jedenfalls hätte doch Mademoiselle Blanche Mister Astley ansehen müssen! Der General befindet sich fast immer in Unruhe. Es ist begreiflich, welche Bedeutung jetzt für ihn ein Telegramm über den Tod der Tante haben würde!

      Es schien mir zwar, als ob Polina ein Gespräch mit mir absichtlich vermied; aber nun nahm auch ich meinerseits eine kühle, gleichgültige Miene an; ich meinte, sie werde sich mir allmählich doch wieder nähern. Dafür wandte ich gestern und heute meine Aufmerksamkeit vorzugsweise Mademoiselle Blanche zu. Der arme General, er ist ganz hin! Mit fünfundfünfzig Jahren sich so leidenschaftlich zu verlieben, das ist gewiß ein Unglück. Wenn man dazu noch seinen Witwerstand bedenkt und seine Kinder und seine total ruinierten Vermögensverhältnisse und seine Schulden und schließlich die Frauensperson, in die er sich verliebt hat! Mademoiselle Blanche ist eine schöne Erscheinung. Aber ich weiß nicht, ob man mich versteht, wenn ich sage: sie hat eines von den Gesichtern, vor denen man erschrecken kann. Ich wenigstens habe mich vor solchen Weibern immer gefürchtet. Sie ist wahrscheinlich ungefähr fünfundzwanzig Jahre alt. Sie ist hochgewachsen und breitschultrig; ihre Schultern zeigen eine schöne Rundung, Hals und Brust sind prachtvoll, die Hautfarbe zwischen gelblich und bräunlich, das Haar dunkelschwarz und so reich und üppig, daß es für zwei Köpfe ausreichen würde. Die Augen sind schwarz, das Weiße darin gelblich, der Blick dreist, die Zähne sehr weiß, die Lippen immer pomadisiert; sie riecht nach Moschus. Sie kleidet sich auffallend, reich, eigenartig, aber mit viel Geschmack. Ihre Füße und Hände sind wundervoll. Ihre Stimme ist ein heiserer Alt. Mitunter lacht sie laut auf und zeigt dabei all ihre Zähne; aber gewöhnlich verhält sie sich schweigsam und blickt nur dreist um sich, wenigstens in Polinas und Marja Filippownas Gegenwart. (Ein sonderbares Gerücht: es heißt, Marja Filippowna werde wieder nach Rußland zurückfahren.) Wie mir scheint, ist Mademoiselle Blanche ohne alle Bildung, vielleicht sogar nicht einmal klug, aber dafür mißtrauisch und schlau. Ich vermute, daß ihr Leben nicht ohne Abenteuer gewesen ist. Wenn ich alles sagen soll, so muß ich meine Meinung dahin aussprechen, daß der Marquis vielleicht überhaupt nicht ihr Verwandter und ihre Mutter gar nicht ihre Mutter ist. Aber man glaubt zu wissen, daß sie und ihre Mutter in Berlin, wo wir mit ihnen zusammentrafen, einige anständige Bekanntschaften hatten. Was den Marquis selbst betrifft, so zweifle ich bis auf diesen Augenblick, daß er ein Marquis ist; aber daß er zur anständigen Gesellschaft gerechnet wird, sowohl bei uns, zum Beispiel in Moskau, als auch an manchen Orten Deutschlands, unterliegt, wie es scheint, keinem Zweifel. Ich weiß nicht, was er eigentlich in Frankreich vorstellt; es heißt, er besitze dort ein Château. Ich hatte vor meiner Abreise geglaubt, es werde in diesen vierzehn Tagen sich mancherlei zutragen, weiß aber immer noch nicht sicher, ob zwischen Mademoiselle Blanche und dem General ein entscheidendes Wort gesprochen ist. Alles hängt jetzt von unserer Lage ab, das heißt davon, ob der General ihnen viel Geld zeigen kann. Wenn zum Beispiel die Nachricht käme, daß die alte Tante nicht gestorben sei, so würde (davon bin ich überzeugt) Mademoiselle Blanche sofort verschwinden. Es ist mir selbst erstaunlich und lächerlich, was ich für eine Klatschschwester geworden bin. Oh, wie ekelhaft mir das alles ist! Mit welchem Vergnügen würde ich mich von all diesen Menschen und von all diesen Verhältnissen losmachen! Aber kann ich denn von Polina weggehen? Kann ich es denn unterlassen, um sie herum zu spionieren? Gewiß, das Spionieren ist etwas Gemeines; aber was kümmert mich das?

      Interessant war mir gestern und heute auch Mister Astley. Ja, ich bin überzeugt, daß er in Polina verliebt ist! Es ist merkwürdig und lächerlich, wieviel manchmal der Blick eines schüchternen, reinen und keuschen Menschen, den die Liebe ergriffen hat, ausdrücken kann, namentlich in Augenblicken, wo der Betreffende lieber in die Erde versinken als durch ein Wort oder einen Blick etwas verraten möchte. Mister Astley begegnet uns sehr oft bei Spaziergängen. Er nimmt den Hut ab und geht vorbei, obgleich er natürlich von dem sehnsüchtigen Wunsch, sich uns anzuschließen, gequält wird. Wenn er dazu aufgefordert wird, lehnt er sofort ab. An Erholungsorten, im Kurhaus, bei der Musik oder bei der Fontäne, steht er mit Sicherheit irgendwo in der Nähe unserer Bank, und wo wir auch immer sind, im Park oder im Wald oder auf dem Schlangenberg, brauchen wir nur die Augen aufzumachen und uns umzuschauen, um unfehlbar irgendwo, entweder auf dem nächsten Steig oder hinter einem Gebüsch, ein Stückchen von Mister Astley zu erblicken. Es kommt mir vor, als suche er eine Gelegenheit, mit mir allein zu reden. Heute früh begegneten wir einander und wechselten einige Worte. Er spricht mitunter ganz ohne Zusammenhang. Kaum hatte er guten Tag gesagt, da fuhr er fort:

      »Ah, Mademoiselle Blanche! . . . Ich habe schon viele solche Damen kennengelernt wie Mademoiselle Blanche!«

      Dann schwieg er und sah mich bedeutsam an. Was er damit sagen wollte, weiß ich nicht; denn auf meine Frage, was das heißen solle, nickte er nur schlau lächelnd mit dem Kopf und fügte hinzu: »Ja, ja, so ist das . . . Hat Mademoiselle Polina Freude an Blumen?«

      »Ich weiß es nicht«, antwortete ich. »Ich kann es schlechterdings nicht sagen.«

      »Wie? Das wissen Sie nicht einmal?« rief er mit dem größten Erstaunen.

      »Ich weiß es nicht, ich habe gar nicht darauf geachtet«, wiederholte ich lachend.

      »Hm, das bringt mich auf einen besonderen Gedanken.«

      Nach diesen Worten nickte er mit dem Kopf und ging weiter. Übrigens machte