Sarah Glicker

Seal Team 9


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meine Schwester auf.

       „Du solltest den Umzugshelfern vielleicht sagen, wo das Sofa stehen soll. Sonst wirst du nachher noch alles wieder umräumen dürfen“, verkündet Lynn und bleibt neben mir stehen. Allerdings sieht sie in die andere Richtung, nämlich in den Transporter.

       „Hmmm“, mache ich nur, da ich mit meinen Gedanken gerade ganz woanders bin.

       Langsam sieht sie mich an.

       „Ist alles in Ordnung?“

       „Ja, ich habe gerade nur über etwas nachgedacht.“

       Während ich spreche, werfe ich noch einen kurzen Blick auf das Haus von Brady, bevor ich mir einen der zahlreichen Kartons nehme, die vor der Laderampe stehen und verschwinde im Inneren meines Hauses.

       Den restlichen Tag versuche ich mich mit der Einrichtung abzulenken. Doch die Wahrheit ist, dass das nicht so einfach ist. Immer wieder schaue ich zum Fenster hinaus zu seinem Grundstück. Doch ich kann ihn weit und breit nirgends entdecken.

       Wundern tut es mich aber nicht. So betrunken wie er war, wird er sicherlich im Bett liegen, um seinen Rausch auszuschlafen.

       „Wir sehen uns die Tage. Versuche es ruhig angehen zu lassen. Ich weiß, dass du am liebsten alles sofort fertig haben willst, aber das geht nicht von heute auf morgen“, weist mich meine Schwester an, als sie sich abends von mir verabschiedet.

       Es ist so spät, dass die Sonne bereits untergegangen ist.

       „Da brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Zwischendurch muss ich auch noch arbeiten und heute werde ich eh nichts mehr machen.“

       Ein letztes Mal umarme ich sie, bevor sie sich umdreht und zu ihrem Wagen geht. Es dauert einen Moment, doch dann fährt sie vom Straßenrand an und verschwindet.

       Seufzend gehe ich wieder ins Haus und sehe mir das Chaos an. Möbel und Kartons sind überall verteilt. Doch wie ich meiner Schwester schon gesagt habe, werde ich heute nichts mehr machen. Ich bin seit drei Uhr nachts wach und muss jetzt dringend schlafen, damit ich morgen neu starten kann.

      3

      Brady

      Frustriert drehe ich mich auf den Rücken und starre an die Decke. Seit Wochen bin ich nun schon krankgeschrieben und langweile mich. Ich bin mir sicher, dass dies auch noch ein wenig so bleiben wird. Ich bin mir sicher, dass mein Therapeut es noch einige Male versuchen wird, bevor er mich an einen Kollegen verweist, der dann sein Glück versuchen soll. Sobald er allerdings merkt, dass er keinen Schritt weiter kommt, wird er mich testen, feststellen, dass ich einsatzfähig bin und mich wieder in den Dienst schicken.

      Woher ich das weiß?

      Weil es meistens so läuft!

      Ich war zwar noch nie in dieser Situation, doch bei der Ausbildung wird kein Geheimnis daraus gemacht. Und ich habe es auch schon von ein paar Kollegen gehört.

      Ich bin schließlich ein Navy Seal. Mit meiner Ausbildung und meiner Erfahrung kann man mich nicht ewig krankschreiben. Das werden auch die Therapeuten irgendwann einsehen.

      Solange bleibt mir jedoch nichts anderes übrig, als mich selber fit zu halten, damit ich es leichter habe, wieder in das Training hineinzufinden, sobald ich wieder im Dienst bin.

      Daher werfe ich die dünne Decke zur Seite und verlasse mein Bett. Schnell ziehe ich meine Trainingssachen an und binde meine Sportschuhe zu.

      Ich will nicht mehr Zeit verlieren, als es unbedingt nötig ist.

      So schnell wie möglich renne ich die Straße entlang, nachdem ich das Haus verlasse habe, in der ich wohne, und entferne mich so immer weiter von meinem zu Hause. Und je weiter ich renne, umso befreiter kann ich atmen. Es fühlt sich richtig an und mehr ist nicht für mich wichtig. Ein wenig kommt es mir so vor, als würden all meine Probleme verschwinden.

      Schon früher war es so. Beim Sport konnte ich alles vergessen und mich nur noch auf mein Training konzentrieren. Es hat mir dabei geholfen, dass ich die Dinge von einer anderen Seite sehe.

      Bei diesem Punkt hat das bis jetzt noch nicht funktioniert, denke ich zähneknirschend.

      Ich habe keine Ahnung, wie lange ich schon unterwegs bin. Doch ich spüre die Energie, die durch meinen Körper fließt und weiß, dass ich noch eine Weile so weitermachen kann. Daher mache ich das auch.

      Gerade gibt es nichts, was mich stoppen kann.

      Ich will mich auspowern und den ganzen Mist vergessen, der in meinem Leben passiert und passiert ist. Und das geht nur, wenn ich laufe und trainiere.

      Als ich irgendwann wieder in meine Straße einbiege, bleibe ich ruckartig stehen und atme tief durch, um meinen Puls wieder zu beruhigen. Auch aus dieser Entfernung kann ich meine neue Nachbarin erkennen. Kendra steht neben ihrem Wagen und scheint etwas daraus zu holen. Da ich mich jedoch auf der anderen Straßenseite befinde und ein paar Autos zwischen uns stehen, kann ich leider nicht so genau erkennen, was es ist.

      Für einen Moment beobachte ich sie. Mir ist bewusst, dass ich gestern gemein zu ihr war, als ich sie einfach angegangen bin, nachdem sie sich mir vorgestellt hat. Sie hat nichts Böses gesagt oder getan. Dennoch ist es die richtige Entscheidung gewesen.

      Sie kann und soll von Anfang an wissen, dass ich keine Lust habe, mich mit ihr zu unterhalten und sie mich in Ruhe lassen soll. Auf diese Weise will ich sie von mir fernhalten und so dafür sorgen, dass sie nicht mit diesem ganzen Mist belastet wird.

      Denn das ist noch etwas, was ich von meinen Kollegen gelernt habe. Diese Geschichte belastet nicht nur einen selbst, sondern auch alle Menschen, mit denen man zu tun hat. Jeden einzelnen, der sich in der Nähe befindet.

       Und das hat sie sicherlich nicht verdient.

      Ohne darauf zu warten, ob sie ins Haus gehen will oder aus der Einfahrt fährt, setze ich mich wieder in Bewegung und halte direkt auf sie zu. Dabei lasse ich sie keine Sekunde aus den Augen. Sie scheint etwas zu suchen oder zusammenzuräumen, auf jeden Fall verraten mir das ihre Bewegungen.

      Es dauert ein wenig, bis sie mich bemerkt, doch dann erkenne ich an ihrer Körperhaltung, dass sie nicht weiß, wie sie sich verhalten soll.

      Sie spannt sich an und betrachtet mich aufmerksam, als würde sie meine Laune so herausfinden wollen. Ihre Lippen sind so dicht aufeinander gepresst, dass sie nur noch eine dünne Linie sind. Sie ist nicht nur unsicher, sondern auch wütend.

      Ich habe die Hoffnung, dass sie kein Wort von sich gibt. Doch in dem Moment, in dem ich an ihr vorbeigehen will, bricht sie ihr Schweigen.

      „Wie ich sehe, bist du wieder nüchtern“, stellt sie trocken fest. Gleichzeitig bildet sich ein kleines Grinsen um ihre Lippen.

      Ruckartig bleibe ich stehen und drehe mich langsam zu ihr herum.

      Ich lasse sie keine Sekunde aus den Augen, als ich mich ihr wieder nähere. Dabei lasse ich meinen Blick über ihren Körper wandern. Gestern ist mir nicht aufgefallen, wie scharf sie ist. Das leugne ich nicht. Ihre Rundungen passen perfekt zu ihrer Größe und wie ich finde auch zu ihrem frechen Mundwerk. Ihre blonden Haare, die ihr in weichen Wellen über die Schultern fallen, lassen sie noch ein paar Jahre jünger aussehen, als sie eigentlich ist. Und ihre Augen funkeln vergnügt.

      Doch es ändert nichts an meiner Einstellung. Auch nicht für eine Nacht.

      An oberster Stelle steht für mich, dass ich so schnell wie möglich wieder in den Dienst komme, ohne, dass ich mit jemanden über diese Erfahrung sprechen zu müssen. Und ich bin mir sicher, dass ich da auf dem besten Weg bin.

      Ich sehe ihr an, dass es ihr immer unangenehmer wird.

       Wahrscheinlich fragt sie sich gerade, wieso sie überhaupt etwas gesagt hat.

       Ja, ich könnte sie einfach nicht beachten und in meinem Haus verschwinden. Doch ich habe nicht vor, sie schon gehen zu lassen.

       „Hat dir schon