Er beneidete ihn um seine Reise aufs Land. Auch er habe das Bedürfnis nach Ruhe, aber die Geschäfte hielten ihn in Paris zurück.
Madame Dambreuse neigte, auf seinen Arm gestützt, leicht das Haupt; und die geistvolle Anmut ihres Gesichts stimmte gar nicht mit dem vorher so mürrischen Ausdruck darin überein.
»Man findet hier doch angenehme Zerstreuungen,« sagte sie bei den letzten Worten ihres Gatten. »Wie dumm dieses Stück ist, nicht wahr?« Und alle drei blieben stehen, und sprachen über Theater und neue Stücke.
Frédéric, der an das Gebaren der Provinzdamen gewöhnt war, hatte noch bei keiner Frau eine solche Gewandtheit der Manieren, diese Einfachheit gesehen, die ein Raffinement ist, das naive Leute für den Ausdruck augenblicklicher Sympathie nehmen.
Sie rechneten nach seiner Rückkehr auf ihn; Monsieur Dambreuse trug ihm Grüße für Vater Roque auf. Zu Haus verfehlte Frédéric nicht, Deslauriers von dieser Aufnahme zu erzählen.
»Famos!« erwiderte der Schreiber, »aber laß dich von deiner Mama nicht einschüchtern. Komm sofort zurück.«
Am Morgen nach seiner Ankunft, nach dem Frühstück, führte Madame Moreau ihren Sohn in den Garten.
Sie pries sich glücklich, ihn in einem Beruf zu sehen, denn sie waren nicht so reich wie man annahm; der Boden hatte wenig Ertrag, die Pächter zahlten schlecht; sie war sogar gezwungen, ihren Wagen zu verkaufen. Kurz, sie schilderte ihm ihre Lage. In den ersten Verlegenheiten ihres Witwentums hatte Monsieur Roque, der sehr verschlagen war, ihr Gelddarlehen gewährt, die wider ihren Willen erneuert und prolongiert wurden. Plötzlich war er gekommen, sie zurückzufordern, und sie war auf seine Bedingungen eingegangen, indem sie ihm das Gut Presles zu einem Spottpreise abtrat. Zehn Jahre später sei ihr Kapital bei dem Bankrott eines Bankhauses in Melun verloren gegangen. Als Vater Roque sich von neuem meldete, hatte sie aus Furcht vor Hypotheken und wegen der Zukunft ihres Sohnes den nützlichen äußeren Schein zu wahren, nochmals auf ihn gehört. Doch jetzt wäre sie schuldenfrei und es blieben ihnen etwa zehntausend Francs Rente, wovon zweitausenddreihundert als sein Erbteil ihm gehörten.
»Das ist nicht möglich!« rief Frédéric.
Sie machte eine Kopfbewegung, die andeutete, daß es sehr möglich sei.
Aber sein Oheim würde ihm doch etwas hinterlassen?
Noch war nichts sicher.
Und schweigend machten sie einen Gang durch den Garten. Dann zog sie ihn an ihr Herz und sagte mit tränenerstickter Stimme:
»Ach, mein armer Junge! Ich habe viele Träume aufgeben müssen!«
Er setzte sich auf die Bank im Schatten einer hohen Akazie.
Sie riet ihm, Gehilfe des Anwalts Monsieur Prouharam zu werden, der ihm seine Praxis übergeben würde; wenn er sie dann recht in die Höhe brächte, könnte er sie wieder verkaufen und eine gute Partie machen.
Frédéric hörte nicht mehr zu. Mechanisch blickte er über die Hecke in den andern Garten gegenüber.
Ein kleines rothaariges Mädchen von etwa zwölf Jahren befand sich ganz allein darin. Es hatte sich Ohrringe von Ebereschenbeeren gemacht, sein Leibchen von grauer Leinwand ließ die von der Sonne leise goldig gebräunten Schultern frei, das weiße Röckchen hatte Obstflecke; und über der ganzen Gestalt lag die Anmut eines jungen, wilden, nervösen und zugleich zarten Tieres. Die Gegenwart eines Unbekannten überraschte es offenbar, denn es war mit seiner Gießkanne in der Hand plötzlich stehen geblieben und heftete seine hellen, grünlichblauen Augäpfel auf ihn.
»Das ist die Tochter von Monsieur Roque,« sagte Madame Moreau. »Er hat seine Haushälterin geheiratet und sein Kind anerkannt.«
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