Siebe Josephine

Kasperle auf Burg Himmelhoch


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hinauf; das lag unter dem Dach, und die volle, helle Mondscheibe stand vor dem kleinen Fenster. Da brauchte man nicht Licht anzuzünden, Michele sah beim Mondenlicht, daß Kasperle traurig dreinsah, und Kasperle sah das von Michele.

      Es mochte ein Weilchen aber keiner anfangen zu fragen. Endlich tat das Kasperle einen kellertiefen Seufzer und fragte: »Michele, was hast?«

      »Kasperle, was hast du?«

      »Hach, ich hab’ zuerst gefragt!« schrie Kasperle und schoß über sein Bett einen Purzelbaum hinweg und kam gerade auf des Michele Magen zu sitzen.

      »Magenweh hab’ ich,« schrie der. »Au, bist du schwer!«

      Da rutschte Kasperle auf den Bettrand und fragte noch einmal, und sein kleines, unnützes Gesicht sah dabei ganz traurig aus: »Michele, was hast?«

      »Mir tut das Herz weh,« antwortete Michele.

      »Warum tut’s weh? Sitzt was Schlimmes drinnen?«

      »Ja, eine sitzt drinnen, die wird bald einen andern heiraten.«

      »Hach!« schrie Kasperle, »ich weiß, wer es ist: Rosemarie.«

      »Ja, die Gräfin Rosemarie.« Michele seufzte schwer. Und dann erzählte er, wie er die schöne Gräfin Rosemarie am Fürstenhofe gesehen habe, und er habe sie gar nicht anzusprechen gewagt. Aber da habe sie ihn auf einmal leise gefragt: »Ist Herr Michael, der berühmte Geiger, nicht des Kasperles Michele?«

      Da waren sie vertraut mitsammen geworden. Er hatte ihr vom Waldhaus erzählen müssen und von Kasperle, und sie waren beide glücklich mitsammen gewesen. Auf einmal aber sei der Herzog August Erasmus gekommen, mit ihm der Graf von Singerlingen, und da sei eins, zwei, drei Verlobung gefeiert worden, und in vier Wochen sollte Hochzeit sein. Michele aber hatte die schöne Gräfin Rosemarie nur noch einmal gesehen, da hatte er gespielt, und sie hatte dagesessen und die Tränen waren in ihren Schoß gefallen.

Illustration 021

      »Seitdem weint meine Geige immer, wenn ich spiele,« sagte Michele, »und viele Menschen weinen mit. Das kommt, weil ihr Herr Severin eine so zarte Seele gegeben hat.«

      »Ich geh’ als Gespenst zum Herzog,« kreischte Kasperle. Er trommelte wütend auf der Bettdecke herum.

      Michele aber erwiderte: »Kasperle, das hilft nichts. Die schöne Rosemarie wird Frau Gräfin von Singerlingen, und ich muß einsam bleiben mit meinem traurigen Herzen.«

      Kasperle schluchzte laut. Der Freund tat ihm zu leid, und er sagte: »Michele, ich helf’ dir.«

      »Wie denn, Kasperle?«

      Ja, wie denn? Wenn Kasperle das nur gleich gewußt hätte! »Ich entführe Rosemarie,« schrie er endlich.

      »Da mußt du erst ins Schloß gelangen, und das ist schwer. Da gibt es viele Wächter und Hunde, an denen du vorbei mußt. Und jetzt läßt der Herzog sogar noch überall Kasperles aufstellen, die aussehen wie du, überall an Weg und Pfad, auf Grenzsteinen, an Schlagbäumen setzt er Kasperlepuppen hin, darunter steht: ‚Wer einen, der lebendig ist und so aussieht, fängt, der bekommt hunderttausend Taler.‘«

      »Huuuh!« Kasperle riß nun aber seinen Mund sperrangelweit auf. »Das ist zuviel!« schrie er.

      »Ja, viel ist’s schon, und du kannst dir denken, wie arg alle Leute aufpassen, um dich zu fangen.«

      Kasperle nickte trübselig. Das war nun arg schlimm! Er dachte, daß neulich der böse Bäcker aus Protzendorf am Waldhaus vorbeigefahren war und gerufen hatte: »Komm mit, Kasperle, ich fahr’ dich ein Stück!« Ja, und beinahe wäre er der Einladung gefolgt. O jemine, da wäre er bös hereingefallen!

      »Aber woher hat der Herzog denn alle Kasperles?« fragte er plötzlich.

      »Die hat der gute Meister Friedolin selbst geschnitzt.« Michele streichelte seinen kleinen Freund. »Alle Kasperlemänner haben bei ihm neue Puppen bestellt; die hat ihnen dann der Herzog für viel, viel Geld abgekauft.«

      »Ich bleib’ im Waldhaus und gehe keinen Schritt mehr raus,« rief Kasperle ängstlich.

      »Ja, das tu nur!«

      »Aber Rosemarie!« Auf einmal fiel die dem Kasperle wieder ein, er rief: »Ich helfe dir.«

      »Ach, mir kann niemand helfen!« klagte Michele. »Und meine Geige wird immer, immer weinen müssen.«

      »Nä,« schrie Kasperle, »ich helfe dir, ich weiß noch nicht wie, aber über Nacht ist’s gedacht.«

      Und dann stieg Kasperle in sein Bett, denn allemal, wenn er über etwas nachdenken wollte, fand er es am besten, im Bett zu liegen oder draußen unter einer der großen, uralten Tannen. Viel dachte das Kasperle ja gerade nicht nach. Wenn es sagte: »Ich will’s mir überlegen,« und im Bett lag, dann rasselte das nachher gleich fürchterlich: das Kasperle schlief und schnarchte.

      An diesem Abend aber blieb es still im Bubenstübchen, in dem nun auch wieder der berühmte Geiger Michael lag. Der seufzte manchmal tief, und dann steckte Kasperle seine Nase tief, tief in die Kissen hinein und seufzte auch.

      Und der Mond schüttete seine silbernen Strahlen in die kleine Kammer. Ach, hätten darauf doch lauter gute und absonderlich kluge Einfälle gesessen! Wunderbar war es aber, immer wenn der Mond so recht hell schien, dann meinte Kasperle ein weißes Haus zu sehen, einen Garten mit bunten Blumen, und in dem Garten saß er, sah froh zu dem Hause hin und dachte: Endlich bin ich daheim! Und dann kamen etliche Kasperlebuben und Kasperlemädels angehüpft, die riefen: »Endlich bist du wieder auf unserer Insel!«

      Wie sonderbar das war! Auch heute sah Kasperle das weiße Haus und den bunten Garten vor sich, und dabei lag er doch im Bett und dachte darüber nach, wie er dem Michele helfen könnte.

      Kasperle schlug die Augen wieder auf. Der Mond sah noch immer in das Kammerfenster hinein, er lachte ordentlich. Und auf einmal, er wußte kaum, wie es geschehen, stieg Kasperle leise, leise aus dem Bett, kletterte auf das Fenster, kletterte hinaus, schwang sich draußen auf das Dach, und da saß er im vollen Mondenlicht auf dem Dach des Waldhauses.

      Wie schön das war! Licht floß an den hohen Tannen herab, glitzerte unten auf der Waldwiese, und die Bäume rauschten geheimnisvoll. Und wie Kasperle so saß und in den Wald hineinsah, blickte er auch die drei Wege entlang, die von den Dörfern Lindendorf, Schönau und Protzendorf nach dem Waldhaus führten.

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      Auf dem Wege aber, der von Protzendorf herkam, wanderte ein Mann. Komisch war das, der Mann ging gebückt, blieb manchmal stehen und schaute sich dann um, als ob er irgend etwas vorhätte und sich nicht recht traute.

      Warum nur Flock nicht bellt! dachte Kasperle, und gerade da kam Flock angerannt. »Wauwauwau!« bellte er laut, aber da warf ihm der Mann etwas hin und schnapp! griff Flock danach. Wahrhaftig, es sah wie eine große Wurst aus! Und Flock vergaß rasch

      das Bellen. Kasperle dachte: Na, warte du, du bist mir ein schöner Wächter!

      Himmel, und was geschah nun!

      Kasperle legte sich vor Schreck platt auf das Dach. Er sah nämlich, wie der Mann sich an das Waldhaus heranschlich, eine Leiter nahm und diese gerade an das offene Kammerfenster lehnte, aus dem Kasperle vor einem Weilchen herausgeklettert war.

      Ja, und potztausend, der Mann war der Schäfer Damian ohne Maul aus Protzendorf! Den hatte Kasperle einst arg gekränkt auf seiner kunterbunten Reise in die Welt hinaus, von der der Kasperlemann den Kindern in Wutzelheim erzählt hatte. Und jetzt wollte ihn Damian heimlich rauben, ganz sicher wollte er das!

      Ei, das soll dir schlecht bekommen! dachte Kasperle. Er rutschte auf dem Dach entlang, leise, ganz leise, und als Damian gerade in das Kammerfenster gewutscht war, gab er von oben der Leiter einen Stoß und fing ein mörderliches Geschrei an: »Michele, Michele, zur Hilfe!«

      Damian, der in dem Kämmerchen