Felix Salten

Bambis Kinder


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Schritte, bevor er innezuhalten vermochte.

      »Geno ist doch der Geschwindeste«, konstatierte Lana.

      Gutmütig und ein wenig keuchend fragte Geno: »Warum hast du mich so erschreckt?«

      »Weil ich zeigen wollte, daß du es bist, der am schnellsten von uns läuft«, antwortete Lana.

      Gurri meinte: »Wenn wir an die Gefahr geglaubt hätten, wären wir alle rascher gewesen.«

      »Schaut doch unsere Mütter an«, warf Boso ein, »sie sind ganz ruhig beisammen.«

      Faline und Rolla sprachen während der Mahlzeit still miteinander. »Es ist schwer«, klagte Rolla, »ich weiß nicht, was ich tun soll ...«

      »Was meinst du denn?« erkundigte sich Faline.

      »Die Zeit ist nahe, in der die Gekrönten uns suchen; man hat keine Ruhe vor ihnen.«

      »Nun ... und ...?«

      »Ob ich mich wieder mit einem verbinde ...«

      »Du wirst wohl müssen«, entschied Faline.

      »Dir geht es gut«, flüsterte Rolla, »du bist glücklich. Du hast Bambi!«

      »Ja«, lächelte Faline, »da hast du recht, ich bin glücklich.«

      »War er schon bei den Kindern?« begehrte Rolla zu wissen.

      »Ein einziges Mal. Doch sie haben ihn nicht zu Gesicht bekommen.«

      Ehrfürchtig raunte Rolla: »Jedem von uns widerfährt es ganz selten, daß er den Fürsten erblickt. Immer ist's ein Fest.«

      »Auch ich sehe ihn oft lange nicht«, gestand Faline, »aber stets fühle ich seine Nähe.«

      »Rufst du ihn da nicht?«

      »Nein. Selbst wenn die Sehnsucht mich zwingen will. Du kennst ja die Zeit der Sehnsucht, nicht wahr? Selbst dann rufe ich ihn nicht. Er hat es mir einmal verboten. Ich ahne nicht, weshalb. Ich stelle keine Fragen, ich gehorche. Es geht eben so und nicht anders, ich muß Bambi blind gehorchen.«

      Leise, sehr leise sagte Rolla: »Ich werde niemanden rufen.«

      Es war finster geworden. Am nächtlichen Himmel glitzerten die Sterne. Im zackigen Jagdflug schwirrten Fledermäuse, warfen sich bald höher, bald tiefer. Lautlos schwebte die Eule daher, und von den Bäumen, darauf sie für Minuten ruhte, klang ihre melancholische Stimme, langgezogen, schwermütig, beinahe schön: »Haah – ah – hahaha – haa – ah!«

      Am Waldsaum erschien ein starker Rehbock, begann eifrig zu äsen, hob jedoch immer sein Haupt und sicherte.

      Die Kinder nahmen ihn wahr; sie wurden von Bangigkeit ergriffen.

      Gurri kam gelaufen. »Ist das der Vater?« fragte sie mit Herzklopfen.

      »Keine Spur! Der gehört zu den minder Gekrönten«, lautete die wegwerfende Antwort.

      Inzwischen deutete Geno auf den Rehbock und erkundigte sich bei Boso: »Ist der Gekrönte dort euer Vater?«

      Traurig entgegnete Boso: »Wir haben keinen Vater. Solange wir denken können, sind wir ohne Vater.«

      Lana teilte wichtig mit: »Unser Vater ist von der Donnerhand getroffen worden.«

      »Wir haben ihn nie gesehen«, ergänzte Boso, »die Mutter hat uns von ihm erzählt.«

      Sachlich fügte Lana hinzu: »Das ist geschehen, bevor wir noch auf der Welt waren.«

      »Die Mutter blieb bei dem gefallenen Vater stehen«, berichtete Boso, »er blutete stark und lebte schon nicht mehr. Trotzdem wollte sie ihn nicht verlassen. Aber«, schloß Lana, »sie durfte nicht bleiben, denn Er hat sie weggescheucht.«

      Gurri war von der Mutter zurückgekehrt; sie hatte einen Teil der Geschichte vernommen und meinte leichthin: »Man kann auch ohne Vater leben.«

      Lana seufzte ein wenig: »Es ist doch besser, wenn man einen Vater hat.«

      Verspätete Glühwürmchen tanzten über der Wiese auf und nieder, irrten als leuchtende Punkte durchs Gebüsch.

      »Was kann das sein?« staunten die Kinder. Sie rannten zu den Müttern.

      »Sieh doch, wie schön!« rief Lana und Boso flüsterte erregt: »Wunderschön!«

      Der tote Vater war vergessen.

      »Mutter«, bestürmte Gurri als erste Faline, »woher kommen diese Lichter?«

      »Guck dort hinauf«, wies Faline zum Himmel.

      Die vier Kinder hoben die Augen zu den Sternen empor.

      »Dort funkeln unzählige Lichter«, sprach Faline, »größere und kleinwinzige und alle sind lebendig. Einige von ihnen werden neugierig, wie es hier unten zugeht. So neugierig werden sie, daß sie sich nicht begnügen, uns gleich den anderen aus der Ferne zu betrachten. Sie fliegen herunter. Aber das ist ein großes Wagnis.«

      »Wieso ein Wagnis?« forschte Geno dringend, den dieses Wort reizte.

      »Nun, es sind die Kleinsten und die Jüngsten, die das tun«, redete Faline weiter, »es ist eine ungeheure Entfernung; sie werden oft beim Zurückfliegen müde, sie werden ganz erschöpft. Denn das Herunterfliegen ist leicht, das Hinauffliegen jedoch ist furchtbar anstrengend.«

      »Was geschieht ihnen dann?« fragte Gurri.

      »Sie löschen aus und sterben.«

      »Traurig ist das«, meinte Geno, »ihre Eltern sollten sie warnen, sollten ihnen verbieten, herunterzufliegen.«

      »Neugierige, vorwitzige Kinder lassen sich nicht warnen, und das Verbieten nützt noch weniger«, sagte Faline.

      »Hörst du, Gurri?« mahnte Geno.

      Aber Gurri brach aus: »Ich bewundere alle! Sie sind tapfer!«

      »Was hilft das Tapfersein, wenn man daran sterben muß?« erwog Geno.

      »Schön ist es!« schwärmte Gurri, »beneidenswert schön!«

      »Sicherheit und Leben«, beharrte Geno, »bleiben immer das Schönste.«

      Die Kinder rannten dem tanzenden Schweben der Glühwürmchen nach; jedes irrte genarrt in eine andere Richtung.

      Die Mütter blieben wieder allein.

      »Woher weißt du das?« erkundigte sich Rolla.

      »Was denn?«

      »Nun, das von den Lichtern?«

      »Meine Mutter hat es mir erzählt, als ich noch klein war«, antwortete Faline, »ich bin gerade so erstaunt gewesen wie jetzt unsere Kinder. Mich rührt auch heute noch der Anblick dieser verlorenen Lichter.«

      »Hast du bemerkt, sie kommen nur einmal«, sagte Rolla, »nur einmal, wenn alles wieder grün geworden ist, wenn die Kräuter duften und die Vögel singen und der Kuckuck wieder ruft.«

      »So?«

      »Ja, Faline! Und eine ganze Zeit, wenn sie fort sind, diese Lichter, ich fühle genau, wie lange diese Zeit währt, da ergreift uns die Sehnsucht, die so unwiderstehlich ist. Und dann werden wir von den Gekrönten zärtlich verwöhnt. Die Lichter sind mir stets die ersten Vorboten.«

      »Mir ist das nie aufgefallen«, entgegnete Faline, »du aber denkst immer nur daran.«

      Rolla beteuerte: »Diesmal werde ich wohl keine Sehnsucht haben.«

      »Wer weiß«, zweifelte Faline.

      »Ich glaube es nicht«, sprach Rolla vor sich hin, »seit Er mit der Donnerhand meinen Gatten ermordet hat – oh! nie kann ich vergessen, wie er im Blut dagelegen ist und sich nicht mehr geregt hat – seit jenem Morgen fürchte ich mich nur vor der Sehnsucht.«

      »Du sagst ja selbst«, versetzte Faline, »daß die Sehnsucht unwiderstehlich ist.«

      »Eben