»Weder Sie noch ich haben unser Verhältnis als eine Spielerei betrachtet, und jetzt ist unser Schicksal entschieden. Diesem Lügenspiel, in dem wir leben, müssen wir unbedingt ein Ende machen«, äußerte er, sich nach allen Seiten umschauend.
»Ein Ende machen? Wie sollen wir ein Ende machen, Alexei?« fragte sie leise. Sie hatte sich jetzt beruhigt, und auf ihrem Gesichte strahlte ein zärtliches Lächeln.
»Du mußt deinen Mann verlassen und dein Leben mit dem meinen vereinigen.«
»Es ist auch so schon vereinigt«, antwortete sie kaum hörbar.
»Ja, aber völlig, völlig.«
»Aber wie soll ich das machen, Alexei? Belehre mich, wie ich das machen soll«, sagte sie mit trübem Spott über die Trostlosigkeit ihrer Lage. »Gibt es denn einen Ausweg aus einer solchen Lage? Bin ich denn nicht die Frau meines Mannes?«
»Aus jeder Lage gibt es einen Ausweg«, erwiderte er. »Man muß sich nur zu einem Entschlusse aufraffen. Alles ist besser als die Lage, in der du jetzt lebst. Ich sehe ja, wie du dich um alles quälst, um die Meinung der Welt und um deinen Sohn und um deinen Mann.«
»Ach, um meinen Mann nicht«, sagte sie mit einem ungezwungenen Lächeln. »Ich weiß nicht, wie es kommt; aber ich denke gar nicht an ihn. Er ist für mich nicht vorhanden.«
»Du sprichst nicht aufrichtig. Ich kenne dich. Du quälst dich auch um ihn.«
»Aber er weiß ja von nichts«, erwiderte sie, und plötzlich stieg ihr eine tiefe Röte ins Gesicht; Wangen, Stirn und Hals wurden dunkelrot, und Tränen der Scham traten ihr in die Augen. »Wir wollen gar nicht von ihm sprechen.«
23
Wronski hatte schon mehrmals, wenn auch nicht mit solcher Entschiedenheit wie jetzt, den Versuch gemacht, sie zu einer ernstlichen Prüfung ihrer Lage zu veranlassen, und war jedesmal bei ihr auf die gleiche Oberflächlichkeit und Leichtfertigkeit der Beurteilung gestoßen, die sie auch jetzt seiner Aufforderung gegenüber bekundet hatte. Es war, als ob in ihrer Lebenslage etwas enthalten sei, was sie sich nicht klarmachen könne oder nicht klarmachen wolle; es war, als ob sie, die wahre Anna, sich in sich selbst zurückzöge und dafür eine andere hervorträte, ein seltsames, ihm fremdes Weib, das er nicht liebte, sondern fürchtete, und das sich ihm widersetzte. Aber heute war er entschlossen, alles freiheraus zu sagen.
»Ob er es weiß oder nicht«, sprach Wronski in seinem gewöhnlichen festen, ruhigen Tone, »ob er es weiß oder nicht, das ist für uns nicht von Wichtigkeit. Wir können nicht ... Sie können nicht in dieser Lage bleiben, namentlich jetzt nicht.«
»Was soll ich also nach Ihrer Ansicht tun?« fragte sie mit demselben leisen Anfluge von Spott.
Sie, die eben noch so gefürchtet hatte, er könne ihre Schwangerschaft leichtnehmen, war jetzt unzufrieden damit, daß er aus diesem Ereignisse die Notwendigkeit folgerte, etwas zu unternehmen.
»Ihm alles offen darlegen und ihn verlassen.«
»Sehr wohl. Nehmen wir an, daß ich das tue«, antwortete sie. »Wissen Sie, was er darauf antworten wird? Ich kann alles voraussagen«, und in ihren Augen, die noch einen Augenblick vorher einen so zärtlichen Ausdruck hatten, flammte ein boshafter Glanz auf. »›Ah, Sie lieben einen anderen und haben sich mit ihm in ein verbrecherisches Verhältnis eingelassen?‹« (Sie machte ihren Mann nach und redete genauso, wie er zu reden pflegte: sie betonte stark das Wort ›verbrecherisch‹.) »›Ich habe Sie im voraus auf die Folgen in religiöser Hinsicht, in rechtlicher Hinsicht und in bezug auf das Familienleben aufmerksam gemacht. Sie haben nicht auf mich gehört. Jetzt kann ich nicht dulden, daß Unehre über meinen Namen gebracht werde‹« (›und über den Namen meines Sohnes‹, hatte sie hinzufügen wollen; aber es widerstand ihr, ihren Sohn in diese Spötterei mit hineinzubringen), »›daß Unehre über meinen Namen gebracht werde‹, und noch manches in diesem Stile«, fügte sie hinzu. »In Summa wird er mir in seinem Amtsstil mit aller Klarheit und Bestimmtheit sagen, daß er mich nicht freigeben könne, daß er aber alle in seiner Macht stehenden Maßregeln treffen werde, um ein Ärgernis zu verhüten. Und dann wird er mit Ruhe und Peinlichkeit ausführen, was er angekündigt hat. So wird sich die Sache gestalten. Er ist eben kein Mensch, sondern eine Maschine, und eine boshafte Maschine, wenn er zornig wird«, fügte sie hinzu, indem sie sich in Gedanken Alexei Alexandrowitsch mit allen Einzelheiten seiner Gestalt und seiner Redeweise vergegenwärtigte und ihm alles, was sie an ihm nur irgend Unschönes finden könnte, als Schuld anrechnete und wegen des schweren Vergehens, das sie sich ihm gegenüber hatte zuschulden kommen lassen, ihm nichts verzieh.
»Aber Anna«, meinte Wronski in dem Bemühen, sie zu beruhigen, mit weicher, überredender Stimme. »Es ist doch trotzdem notwendig, es ihm zu sagen; dann werden wir je nach seiner Handlungsweise die unserige einrichten.«
»Was meinen Sie also? Soll ich fliehen?«
»Warum nicht auch das? Ich sehe keine Möglichkeit, in diesem Zustande zu verharren. Und ich meine das nicht mit Rücksicht auf mich, – ich sehe, daß Sie leiden.«
»Ja, ich soll fliehen und Ihre Geliebte werden«, sagte sie bitter.
»Anna!« erwiderte er in zärtlich vorwurfsvollem Tone.
»Ja«, fuhr sie fort, »Ihre Geliebte werden und alles zugrunde richten.«
Wieder hatte sie sagen wollen: ›meinen Sohn‹, aber sie konnte dieses Wort nicht herausbringen.
Wronski vermochte nicht zu begreifen, wie sie mit ihrer kraftvollen, ehrlichen Natur diesen Zustand steter Unwahrhaftigkeit ertragen und nicht den Wunsch hegen konnte, aus ihm herauszukommen; aber er erriet nicht, daß die Hauptursache ihres Verhaltens das Wort Sohn war, das sie sich nicht überwinden konnte, auszusprechen. Wenn sie an ihren Sohn dachte und an sein künftiges Verhältnis zu seiner Mutter, die seinem Vater davongegangen war, dann packte sie eine solche Angst vor diesem Schritte, daß sie nicht weiter überlegen konnte, sondern nach Frauenart sich nur mit unwahren Gedanken und Worten zu beruhigen suchte, damit nur ja alles beim alten bleibe und sie nicht an die entsetzliche Frage zu denken brauche, was aus ihrem Sohne werden solle.
»Ich bitte dich, ich bitte dich flehentlich«, sagte sie in plötzlich ganz anderem, aufrichtigem, zärtlichem Tone und ergriff seine Hand, »rede nie wieder mit mir davon!«
»Aber Anna ...«
»Nie wieder. Überlaß das mir! Ich kenne in vollem Umfange das Unwürdige und Entsetzliche meiner Lage; aber da einen Ausweg zu finden, ist nicht so leicht, wie du denkst. Überlaß das mir und höre auf mich! Rede nie wieder mit mir davon! Versprichst du mir das? – Nein, nein, versprich es mir!«
»Ich verspreche dir alles; aber ruhig kann ich nicht sein, besonders nach dem, was du mir gesagt hast. Ich kann nicht ruhig sein, wenn du nicht ruhig sein kannst.«
»Ich?« erwiderte sie. »Ja, ich quäle mich manchmal; aber das wird vorübergehen, wenn du nie wieder mit mir davon reden wirst. Nur dann, wenn du mit mir davon redest, nur dann quält es mich.«
»Das verstehe ich nicht«, antwortete er.
»Ich weiß«, unterbrach sie ihn, »wie schwer es deiner ehrlichen Natur wird, zu lügen, und du tust mir leid deswegen. Ich denke oft, daß du dir um meinetwillen dein Leben zerstört hast.«
»Genau dasselbe habe auch ich diesen Augenblick gedacht: Wie du nur hast um meinetwillen alles opfern können!« erwiderte er. »Ich kann es mir nicht verzeihen, daß du unglücklich bist.«
»Ich wäre unglücklich?« versetzte sie, indem sie zu ihm hintrat und ihn mit einem entzückten Lächeln der Liebe anblickte. »Ich bin wie ein Hungriger, dem man zu essen gegeben hat. Vielleicht friert er noch, vielleicht sind seine Kleider zerrissen, und er schämt sich; aber unglücklich ist er nicht. Ich wäre unglücklich? Nein, hier ist mein Glück ...«
In diesem Augenblick hörte sie die Stimme ihres Sohnes, der sich dem Hause näherte; sie schaute sich mit einem schnellen Blicke auf der Terrasse um und erhob sich hastig. In ihren Augen leuchtete das ihm wohlbekannte Feuer auf; mit