bin ich hierhergekommen?“
„Pam hat dich gefunden.“
„Wo?“
„Bei dir zu Hause.“
Der Mann im weissen Kittel tritt auf mich zu und streckt mir seine Hand entgegen. „Guten Tag Frau Berner. Ich bin ihr zuständiger Arzt Dr. Stevens.“
„Wie lange bin ich schon hier?“
„Seit gut sechzig Stunden.“
„Wie bitte?“ Diese Information bringt mich sofort zum husten, was mir unheimlich weh tut. Die Bewegungen, die in meinem Innern vollführt werden, sind kaum auszuhalten.
„Die Krankenschwestern haben mir mitgeteilt, dass sie immer wieder kurz aufgewacht sind, aber sie waren nie ganz bei Bewusstsein.“
„Warum kann ich mich an nichts erinnern? Ich weiss nur noch, dass ich auf meine Freundin gewartet habe.“
„Sie leiden unter einem Gedächtnisverlust? Einer sogenannten retrograde Amnesie, das durch Ihren Unfall verursacht wurde.“
„Was für einen Unfall?“
„Anscheinend sind Sie die Treppe hinuntergestürzt.“
„Ich... ich...“ Mein Gehirn versucht sich angestrengt an einen Unfall zu erinnern. Aber da ist einfach nichts ausser Dunkelheit und Leere. Pam und ich wollten seit langem wieder einmal um die Häuser ziehen und jetzt liege ich, ohne den Grund zu wissen in einem Krankenhausbett.
„Zoe.“ Mams Stimme erklingt leise neben mir. „Ich kann dir nur erzählen, was Pam gesagt hat.“
„Und das wäre?“
„Als Pam letzten Freitagabend mehrmals bei dir geklingelt hat, versuchte sie die Tür zu öffnen, die zum Glück nicht verschlossen war. Sie sah dich am Ende der Fusstreppe am Boden liegen.“
Ich versuche tief ein und auszuatmen, um zur Ruhe zu kommen, was mir aber gleich wieder einen Stich in den Brustkorb verursacht.
„Ich kann nicht glauben, dass die letzten zweieinhalb Tage aus meinem Gedächtnis verschwunden sein sollen.“ wende ich mich an den Arzt, der immer noch an meinem Bett steht.
„Machen Sie sich nicht verrückt. Kommen Sie zuerst einmal wieder zu Kräften. Danach können wir mit den Gedächtnisübungen beginnen, die ihre Erinnerungen allenfalls wieder zurückbringen werden.“
„Ist das denn möglich?“ frage ich verwundert.
„Bei einer retrograden Amnesie kann es vorkommen, muss aber nicht sein. Ich empfehle Ihnen jetzt erst einmal Ruhe. Wenn Sie etwas benötigen oder Fragen haben, wenden Sie sich bitte an die Krankenschwestern.“
Eigentlich schwirren mir etliche Fragen im Kopf herum, die ich meinem Arzt stellen möchte, aber ich bin viel zu müde dazu.
Der Arzt zeigt auf einen Bändel, der oberhalb von meinem Kopf von einer Stange herunterbaumelt. „Wenn Sie auf diesen roten Knopf drücken, wird sogleich jemand bei Ihnen sein. Ich werde gegen Abend nochmals bei Ihnen vorbeischauen. Gute Besserung Frau Berner.“ mit diesen Worten verabschiedet sich Dr. Stevens und verlässt das Zimmer mit grossen, leisen Schritten.
Ich wende mich wieder meiner Mutter zu. „Wo ist Dad?“
„Er ist vor einer guten Stunde zur Arbeit. Er lässt dich grüssen. Sowie deine Geschwister und Pam. Ich werde deinem Vater nachher gleich Bescheid geben, dass du erwacht bist.“
„Von wem sind all die Blumen?“
„So wie es scheint, sind die meisten von Noah.“
„Noah? War er auch hier? Hast du ihn gesehen?“
„Er ist mir einmal begegnet, als ich gerade zu dir wollte und er schon wieder auf dem Weg in sein Büro war. Aber warum sollte er nicht hier gewesen sein?“ meine Mam sieht mich fragend an.
Ich versuche ihrem Blick auszuweichen und eine gute Miene zu machen, jedoch entgeht ihr nichts.
„Sag schon, was ist los?“
„Wir haben uns gestritten.“
„Wieso habt ihr euch gestritten?“
„Das weiss ich auch nicht mehr so genau. Wahrscheinlich wieder wegen irgendeiner unnötiger Sache.“ leugne ich ihr vor.
„Wann?“
„Am Abend bevor ich den Unfall hatte.“
„Jetzt verstehe ich auch, warum er so viele Rosensträusse gebracht hat.“
„Wahrscheinlich hat er ein schlechtes Gewissen. Aber das ist mir momentan egal. Soll er doch.“ Ich fühle mich plötzlich total erschlagen und kann mein gesundes Auge kaum noch offen halten. „Mam ich brauche etwas Schlaf. Bist du mir böse?“
„Meine Kleine, natürlich nicht.“ Sie fährt mir mit ihrer zarten Hand über meinen Kopf und streicht mir ein paar meiner langen, braunen Haare aus dem Gesicht. „Erhole dich schnell wieder. Hörst du? Schliesslich ist bald dein dreissigster Geburtstag und den möchten wir gebührend mit dir feiern.“
„Ach ja mein Geburtstag.“
„Freust du dich nicht?“
„Ehrlich gesagt, nein. Im Augenblick sicher nicht. Aber es geht ja noch fast drei Wochen. Zum Glück.“ Meine Lippen bewegen sich bei den letzten Wörtern kaum noch und ich spüre wie mir meine Mutter einen Kuss auf die Stirn drückt, bevor ich in einen unruhigen Schlaf falle.
Langsam öffne ich wieder meine Augen so gut es geht. Ich habe keine Ahnung, wie lange es her ist, seit meine Mutter bei mir war und wie lange ich geschlafen habe. Ich weiss jedoch, dass mich irgendwas aus dem Schlaf geholt haben muss. Nur was? Eine kleine Bewegung neben meinem Bett erweckt meine Aufmerksamkeit.
„Hallo mein Schatz.“ begrüsst mich Noah und küsst mich auf meinen Mund.
Ich erstarre sogleich, als seine Lippen die meinen berühren. Kein Wort schlüpft aus mir heraus. Ich bin einfach nicht fähig irgendwas zu erwähnen. Vor noch nicht allzu langer Zeit genoss ich noch seine Liebkosungen. Doch dies gehört nun der Vergangenheit an. Ich wollte meiner Mam noch nicht erzählen, dass ich mich von Noah getrennt habe. Sie hätte mich mit Fragen durchlöchert. Um diese zu beantworten bin ich noch nicht bereit und habe auch keine Kraft, mich mit der ganzen Situation auseinander zu setzten.
Ich spüre wie Noah meine verbundene Hand in seine Hände nimmt und sanft mit seinen Fingern auf und ab streicht.
„Hast du starke Schmerzen?“ er schaut mir tief in die Augen.
Ich versuche meine Hand wegzuziehen, aber er lässt mich nicht los. „Was willst du hier?“
„Was für eine Begrüssung ist das denn? Habe ich das verdient?“
„Ich will dich nicht mehr sehen. Das weisst du ganz genau. Wir haben Schluss gemacht.“
„Du hast Schluss gemacht.“
„Wo ist da der Unterschied?“
„Ich habe dir gesagt, dass ich nicht bereit bin, dich gehen zu lassen.“
„Was soll das heissen?“
„Genau das was ich sage. Ich werde dir beweisen, dass ich dich für immer lieben werde und du wirst merken, dass ich der Richtige für dich bin.“
„Lass mich endlich in Ruhe.“ Mir wird fast übel bei dem Gedanken, dass er mich nicht gehen lassen will. Noch bis vor einem Jahr war ich die glücklichste Frau auf der Welt. Noah war am Anfang unserer Beziehung so aufmerksam, humor- und rücksichtsvoll, dass ich nicht anders konnte, als ihn zu lieben. Nur leider entpuppte er sich all mehr zu einem kontrollsüchtigen Freak.
Mir wir es ganz anders, als ich zum zweiten Mal versuche meine Hand von seinen zu lösen. Er lässt mich einfach nicht los und ich bin ihm hilflos ausgeliefert. Ich schaue ihn an. „Bitte lass mich in Ruhe und geh. Bitte.“