dass ich mich vorstelle. Damit wäre dann auch der größte Teil meiner Bildung, was Höflichkeit anbetrifft und Anstand, sozusagen, erschöpft. Sonst spreche ich grob, frei, auch unanständig die Wahrheit. Ich glaube, Höflichkeit ist meistens nicht die Wahrheit. Eine Vorstellung lohnt sich eigentlich kaum, denn mit mir ist, wie man wohl in guten Kreisen sagt, nicht viel los. Mit mir kann man weiß ,Gott nicht gesellschaftlich verkehren. Jedenfalls der brave, biedere Bürger und die treue, tugendsame Bürgerin nicht. Aber das macht ja nichts, und ich scheiß drauf. Mein Name ist Valentin. Das ist mein Vorname. Den Zunamen habe ich in meinem Leben so oft wechseln müssen, dass es überflüssig wäre, hier auch nur einen zu erwähnen. Ich bin meiner Mutter heute noch dankbar, dass sie mir den klangvollen Namen Valentin gegeben hat. Valentin ist in jeder Sprache klangvoll auszudrücken, am besten in spanisch. „Valentino“, klingt das nicht weich und warm, zutraulich, einschmeichelnd und anschmiegsam? Meinen Vater habe ich übrigens gar nicht gekannt, geschweige auf einem Bild gesehen. So viel wollte ich anfangs gar nicht erzählen, aber das ergab sich nun mal so.
Nein, erzählen wollte ich von der schwarzen Pepita, jenem Schankmädchen aus der Taverne in Bilbao. Die Taverne, an staubiger Kohlenpier liegt sie, und zwischen den dunklen Kohlenbergen fällt sie gar nicht so besonders auf. Es ist, als hätte man auch sie
einfach dort hingekippt. Ach so, Pepita. Um nun die Geschichte von ihr mit mir überhaupt
verstehen zu können, komme ich nicht darum herum, doch etwas aus meinem Leben zu erzählen. Ich habe keinen festen Wohnsitz. Als Besitz allerdings einen ausgedienten Zigeunerwagen. Ohne Räder. Aufgebockt und verankert auf einem Trümmergelände in Hamburg. Ja, viel ist nicht drin. Der Sessel dort? Ja, ja, Leder, sogar gutes, warmes, dunkles Leder, wenn auch ein paar Löcher hinein gebrannt sind, die eine verdammte Ähnlichkeit mit eitrigen Wunden haben. Den Sessel habe ich auf einer Versteigerung erstanden. Er gehörte zu der Villa, die runter brannte, angezündet von oben. Den Tisch habe ich mir selbst gezimmert. Der Sockel war alter Hauklotz. Das ausgebeilte Loch verdeckte ich mit einer Platte, beklebt mit einer geklauten Seekarte, worauf noch die Kurse eingezeichnet sind. Ein Bett habe ich nicht. In Schwungnähe meiner Hängematte protzt ganz lässig mein Tag- und Nachtschrank. „Jaffa-Oranges“ prahlt es in schwarzen Buchstaben von der Flügeltür, und bescheiden wirkt der „Darjeeling-Tea“ der Seitenwände.
Den Primuskocher hat mit der Zigeuner hinterlassen. Knut Andersen, mein ehemals bester Makker, hat mir die „Leda mit dem Schwan“ geschenkt. Er hat acht Wochen daran gemalt. Die Brüste der Leda sind ja ganz üppig getroffen, aber der Schwan ist reichlich gänserisch. Würde Knut noch leben, hinge das Bild nicht hier ... denn so ehre ich ihn. Das ist auch alles, und das genügt auch. Der Wohnsitz genügt doch. Ich bin im Jahr, und manchmal sind es auch zwei, nur einmal dort. Sonst sind nämlich meine wechselnden Wohnungen die Foxeln und Massenlogis und Rattenlöcher und manchmal die Zweimannskammern der großen und kleinen Schiffe.
Englische Trampdampfer. Schwedische Motorschiffe. Holländische Kümos. Spanische Coaster. Panamesische „Rostwagen“. Manchmal auch ein sittsames deutsches Kompanieschiff. Schiffe können auch sittsam und prüde sein, besonders die deutschen. So verschieden wie Menschen, so verschieden sind auch Schiffe. Es kommt auf den Charakter an, und Schiffe haben auch Charakter. Aber an sich ist es mir scheißegal, welcher verfluchte Himmel der sieben Weltmeere sich über mir spannt. Vollständig nevermind, ob das Wasser, das an den mehr oder weniger rostigen Platten der Schiffe vorbeirauscht, das Wasser des Indischen oder des Atlantischen oder des Pazifischen Ozeans ist. Es ist auch egal, ob das Deck eines schwimmenden Sarges oder eines venerischen Sottewers unter meinen Füßen aus Holz, aus Eisen oder aus Rost besteht. Mir ist es vollkommen gleichgültig, ob die Maschinenanlage abwrackreif oder runtergefahren ist, ob sie klappert oder klopft oder wie eine Alpina-Uhr leise tickert. Scheißegal ist mir das. Scheißegal ist mir auch, ob die Trikolore oder der Union Jack, das Sternenbanner oder der Dannebrog am Heck eines Kastens weht. Je mehr Dollars man verdienen kann, desto schöner ist die Flagge. Scheißegal ist mir ebenfalls, ob der Kapitän ein Deutscher oder Däne, ein Grieche, Portugiese, ein Neger oder Mamelucke ist, ob Jude, Christ oder Moslem. Die Hauptsache ist, dass er mit den Flöhen rechtzeitig rüber kommt, genügend Schnaps herausgibt und nicht schwul ist.
Dass ich nun keine Familie habe oder vielmehr keine mehr habe, das kam so: In einer nicht allzu großen Werkstatt, ganz in der Nähe von Coventry, stellte ein Mann in der letzten Arbeitsstunde irgendeines Tages ein Ding fertig, und das Ding wurde eine kleine Bombe. Von dieser kleinen Bombe genügten an jenem hellen Sonntag ein paar winzige Splitterchen, um meine Familie, Frau und Kind, zu töten. Was soll ich da nun noch mit einer Wohnung? Zur gleichen Zeit war ich wohl in den Südstaaten und pflückte Baumwolle oder stahl einer alten Negerin aus ihrem abgelegten Kopftuch einen Kanten Brot. Vielleicht war das um diese Zeit, genau ist das gar nicht zu sagen. Möglich ist allerdings, dass ich gerade in der Bremsbox eines amerikanischen Eilgüterzuges hockte, frierend, hungrig, und die ausgefranste Kippe meiner letzten Camel quälte. Es kann aber auch sein, dass ich klappernd und nass im Schutze einer schiefen Scheune stand, derweil der Farmer mit der Flinte fluchend ums Haus schlich und ich für mein Leben keinen fuckin Cent mehr gab. Aber ich blieb doch übrig.
Da ich ja nun von Pepita erzählen wollte, muss ich sagen, dass sie damals auch übrigblieb. Das war aber viele Jahre früher. Als die Bombe eines roten oder Francobombers, was weiß ich, die Behausung ihrer Eltern in alle Winde wehte, blieb Pepita übrig. Sie war damals zwei Jahre alt.
Dass man mir im Vorschiff eines schwedischen Dampfers mit einem Kartoffelschälmesser das linke Auge vermasselte, bringt mir im Monat wohl sechzig Kronen ein, bewirkte aber auch, dass ich vom Matrosenlogis ins Heizerdeck umtakelte. Und so zuckelte ich auf einem elenden Steamer als Heizer die portugiesische und spanische Küste ab.
Ein Zuckerschlecken war das verdammt nicht. Hin und her, auf und ab. Teufel und Valentino, was war das für ein Hundeleben. Ja, auf den grünen hohen Hängen der handnahen Küste glänzte gleißende Sonne. In die fressgierige, fanatische Feuergruft, das Höllenloch des Heizraumes fiel kein Sonnenstrahl.
Aber für mich war die helle Sonne jene kleine Pepita, dort in der dunklen, tristen Taverne am Kohlenpier zu Bilbao. Ein Stinkloch, dieser Weinladen, und mit Verlaub gesagt ... der Wein war sauer. Und darum glaube ich auch nicht, dass es der Wein war, der die Matrosen und Heizer, die Stewards und Köche, schwarz, weiß, gelb oder braun, in diese Bodega zog. Ein Stinkladen. Verräuchert. Der ausgelatschte Zementboden mit Abfallen und faulen Fischresten wieder geglättet. Spucke. Kotze. Speckige Tische. Aus dem dunklen, gegerbten Ziegenbalg rann träge Vino tinto in die billigen Gläser. Wie Blut sah der aus. Herrenlose, magere Köter verschlangen gierig Fischreste. Weinlachen zeichneten Seekarten.
Ja, Pepita, das Schankmädchen, zog sie alle an, die Seeleute aller Nationen ... und auch mich. Ein kleines funkelndes Kreuz aus hellem Silber lag um ihren dunkelbraunen Hals. Ja, der Hals … So verschieden ist das nun. Der eine verliebt sich in das Gesicht, der andere in die Stimme, der nächste in die Beine, Brüste, Hüften und was weiß ich. Ja, und ich verliebte mich eben in den Hals. Pepita stellte mir ein Glas des billigsten Weines auf den Tisch. Ich sah in ihre nachtschwarzen Augen, auf ihren Hals, in ihren Busenausschnitt und in das Weinglas. Und mir schien die Sonne. Sonst ist es dunkel hier, so dunkel wie die Augen Pepitas.
Rostige Dampfer schlafen am Pier. An dem Kohlenkai ächzen dreckige Särge in ihren Leinen. Klatscht tintiges Brakwasser gegen morsches Holz. Wieseln geduckt fette Ratten längs den Kranschienen. Rumoren und rumoren und stöhnen die Laufkatzen. Polternd fallen die Lasten. Der Kohlenstaub glitzert im Lampenlicht wie Flitter.
Aber Pepita ist da. Teufel, Señore, ihre Augen sehen mich an, oft, und meine Augen wandern mit ihr, von Tisch zu Tisch, zur Tonbank, wandern über ihre Hände, die den Ziegenbalg drücken und das Glas halten, und fassen wieder die Augen, die dunklen, großen, tiefen Augen. Und ihre Augen suchen auch mich immer wieder. Ein silbernes Kreuz an einem silbernen Kettchen liegt um ihren dunkelbraunen Hals.
Und als der letzte Kohlenarbeiter ging, die letzten Seeleute krakeelend ihre Zeche bezahlten und eingehakt und torkelnd vom Dunkel der Nacht geschluckt wurden, die herrenlosen Hunde an die Kohlenpier gejagt, wusste ich und wusste Pepita, dass wir, Wrackteile des Lebens, aufeinander zu trieben. Sie, die damals übrigblieb und ich, der übrig bin.
Vom kleinen eckschiefen