Susanna Egli

Eine Frau für jede Gelegenheit


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nicht damit, dass du mich siehst. Ich möchte dein Leben wirklich nicht unnötig belasten.“

      Die Designerin wurde blass. „Nein, Noelle, so habe ich es doch wirklich nicht gemeint! Es ist nur so, dass es für mich viel einfacher ist, wenn ich weiß, wann ich dich sehen kann, Liebling. Versuch doch, das zu verstehen, mein Herz.“

      Noelle schüttelte den Kopf. „Eine Frau wie dich werde ich nie verstehen, und wenn ich hundert Jahre alt werde.“ Sie griff nach der Türklinke. „Schau mal, vielleicht habe ich am Sonntagabend für dich Zeit, aber das weiß ich jetzt noch nicht. Sobald ich es genau weiß, schicke ich dir eine SMS.“

      „Versprichst du mir das?“

      Noelle kicherte amüsiert. „Weißt du, es ist doch eigentlich komisch. Im Grunde müsste ich diejenige sein, die drängt, nicht du.“ Sie machte die Tür auf. „Wenn es mir möglich ist, dann komme ich. Warum soll ich auch nicht? Es ist mein Job, ich lebe davon!“

      Frieda Rendorp wand sich vor Beschämung und Verlegenheit. „Musst du denn unsere Beziehung immer so nachdrücklich auf diese Basis stellen?“, fragte sie ein wenig gereizt. „Weißt du, ich habe auch einigen Stolz.“

      „Ja, natürlich. Klar, du hast auch deinen Stolz“, bemerkte Noelle gleichgültig und trat durch die Tür.

      Sie warf nicht einen Blick zurück zu der großen, dunkelhaarigen Frau, die ihr unter der Tür nachsah. Frieda Rendorp hatte sie schon für sich gestrichen oder wenigstens in eine dunkle, verhangene Ecke zurückgeschoben, wo man sie nach Bedarf wieder herausholen konnte. Das war ein Trick, den sie in den vergangenen vier Jahren bis zur Meisterschaft entwickelt hatte. Diesen Trick hielt sie selbst für ungeheuer wichtig und nützlich.

      Sie trat in den warmen Sonnenschein von Amsterdam hinaus und ließ ihre Hüften in den hautengen Hosen noch eine Spur verführerischer schwingen als sonst.

      Da fiel ihr etwas ein, was ihr ein Mann einmal gesagt hatte, als sie siebzehn war. Sie konnte sich nicht an den Namen dieses Mannes erinnern, nicht einmal an sein Gesicht. Er hatte ihr gesagt, sie habe das Gesicht eines Engels und den Körper einer Teufelin. So hatte er sie in einer Nacht in einem Hotel beschrieben.

      Das Gesicht eines Engels, den Körper einer Teufelin…

      Das hatte sie niemals vergessen, denn es gefiel ihr.

      Oh, sie war voll damit einverstanden.

      Noelle winkte ein Taxi heran, stieg ein und ließ sich nach Hause fahren.

      2

      Kurz vor Mittag kam Noelle zu Hause an.

      Unterwegs hatte sie nur einmal kurz zu einem herzhaften Frühstück angehalten.

      Zu Hause, das war für sie ein ziemlich heruntergekommener Bungalow in der Koningsvaren 73, Abcoude, einer kleinen Ortschaft, etwa 15 Kilometer südlich von Amsterdam gelegen.

      Die Straße bestand aus acht Häuschen, und das ihre lag ganz hinten am Ende. Als sie den Weg entlangging, überlegte sie, dass sie hier eine ganze Menge an Miete gespart hatte, im Vergleich zu den Preisen in Amsterdam. Aber wo war nur all das Geld geblieben? Nun ja, viel Miete konnte man sowieso nicht für Häuschen verlangen, die ganz so schäbig und baufällig aussahen.

      Sie sperrte die Tür auf und ließ sie weit offen, damit der muffige, abgestandene Geruch aus dem Bungalow verschwinden konnte. Es war kaum mehr als ein einziger großer Raum mit einem schrankgroßen Badezimmer.

      Noelle wohnte nun drei Monate hier, aber es sah noch genauso aus wie damals, als sie einzog. Die Bodendielen hatten sich teils geworfen, teils gesenkt; die Wände sahen verstaubt aus, und die Möbel waren richtig bunt zusammengewürfelt, ohne bunt auszusehen. Es waren billige IKEA Möbel, die ihre beste Zeit schon lange hinter sich hatten.

      Noch gleichgültiger hätte Noelle das alles nicht sein können, als es ihr war.

      Zu Hause, das war für Noelle ein Raum, wo sie sich duschen, umziehen und ein paar Stunden ungestörten Schlafes finden konnte. Sie hatte nicht das geringste Interesse daran, etwas an der Einrichtung oder Aufmachung zu verbessern, da sie ja so wenig Zeit wie möglich hier verbrachte. Sie brauchte eben eine feste Adresse, eine Operationsbasis, wenn man so wollte, und die Ausgabe dafür war ein notwendiges Übel. Das machte sich auf den ersten Blick bemerkbar.

      Sie stellte ihre Handtasche auf dem runden Tisch im Raum ab und ging zum Fenster an der Rückseite des Häuschens, um ein wenig Durchzug zu schaffen, damit frische Luft hereinkam. Von diesem Fenster aus hatte sie eine recht malerische Aussicht auf einen schiefen Zaun, eine verwahrloste Gasse und ein Netzwerk von Wäscheleinen.

      Nein, schön war die Aussicht ganz bestimmt nicht, und wenn Noelle an den zauberhaften Ausblick von Frieda Rendorps Wohnung dachte, dann war sie wieder einmal wütend darüber, dass sie so primitiv hausen musste. Manchmal gestand sie sich in hellsichtigen Momenten sogar ein, dass der Grund dafür, dass sie Frieda nicht mochte, in ihrem Neid auf den Luxus lag, in dem die andere lebte.

      Sie ging gerade daran, sich auszuziehen, als sie einen Zettel bemerkte, der durch die Tür geschoben worden sein musste. Sie hob ihn auf und erkannte Arjen Calkoens Gekritzel:

      »Es wurde ein Paket für dich abgegeben«

      Sie lächelte, ehe sie zu dem hohen Wandschirm ging, der jene Ecke des großen Raumes abteilte, den sie als Ankleideraum benützte.

      Sie schlüpfte aus dem Pullover, zog den Reißverschluss ihrer hautengen Hosen auf, streifte sie ab und stieg heraus. Dann schob sie ihr winziges Höschen über die Schenkel hinunter und eilte in das Bad. Es bestand eigentlich nur aus einer alten Badewanne, einer Toilette und einem Waschbecken.

      Sie stieg in die Wanne, schob den Duschvorhang vor, und duschte lange und gründlich, um den letzten Rest von Friedas schwerem Parfüm von ihrer Haut zu waschen. Sie rieb sich dann, während sie das Bad verließ, mit einem überdimensionalen Badetuch ab.

      Noelle trocknete sich hinter dem Wandschirm eben die langen Beine ab, als sie das bekannte Klopfsignal an der Tür hörte. Sie schlang sich das Badetuch um den Körper und stopfte es unter einem Arm fest, ehe sie um den Wandschirm lugte.

      Arjen Calkoen lehnte am Türrahmen. Sein langer, schlanker, schlaksiger Körper steckte in einem fleckigen Sporthemd und einer zerknitterten Jeans. Sein Haarschopf starrte ungekämmt nach allen Richtungen.

      „Hallo“, sagte sie lächelnd und kam hinter dem Wandschirm heraus.

      „Hallo“, antwortete er und nickte. „Hast du meinen Zettel gefunden?“

      „Ja. Vielen Dank auch.“

      Er machte eine Kopfbewegung in Richtung seines Bungalows. „Ich hab eben Kaffee aufgebrüht. Magst du einen?“

      „Klingt großartig.“

      „Bin gleich wieder da, und bringe dir das Päckchen mit“, versicherte er eifrig und musterte beifällig die langen, schlanken Beine, die unter dem Badetuch herausschauten. Dann verschwand er nach nebenan.

      Noelle machte sich daran, ihr langes Haar zu bürsten. Als er zurückkam, hatte er in der einen Hand zwei Tassen, in der anderen ein kleines Päckchen.

      „Trink lieber, solange er heiß ist“, rief er durch die offene Badezimmertür. Er ließ sich in seinen Lieblingssessel fallen, der verdächtig krachte.

      „In einer Minute bin ich fertig“, sagte Noelle, band ihr Haar zurück und prüfte noch einmal den Sitz ihres Badetuches.

      „Ich habe die ganze letzte Nacht auf dich gewartet“, sagte Arjen. „Ich dachte, du hättest vielleicht Lust, ein bisschen im See schwimmen zu gehen.“

      Er meinte damit den nahe gelegenen Abcoudersee.

      Noelle zögerte ein wenig und runzelte die Brauen. „Ich bin ziemlich spät nach Hause gekommen.“

      „Ja, das weiß ich.“

      Ein wenig verärgert trat sie hinter dem Schirm hervor