Esther Donkor

SESSIONS


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auch nie gemocht«, sagt eine mit hängenden Mundwinkeln wie Angela Merkel. Sie sitzt dir direkt gegenüber.

      »Wer ist denn Manfred? War das ihr Mann?«, fragt eine Frau mit mahagonirotem Kurzhaarschnitt, die am Kopfende des Tisches sitzt.

      »Ja ja, das ist mein Mann. Der ist voriges Jahr gestorben, Manfred heißt der«

      Merkel schlägt einen kläglichen Ton an.

      »Ich bin auch alleine. Aber schon seit zweitausendsieben«, sagt die Rothaarige und schlürft an ihrem Suppenlöffel.

      »Im Badezimmer habe ich ihn gefunden, er lag einfach so auf dem Boden. Und als die Ärzte kamen, da war es schon zu spät. Ich sag noch zu ihm, Manfred, bleib ruhig, gleich kommen die Ärzte. Aber da war er schon nicht mehr«. Merkel starrt ins Leere während sie spricht, hat ganz glasige Augen.

      »Haben Sie Kinder?«, fragt die Rothaarige.

      »Zwei Töchter, einen Sohn und vier Enkelkinder. Aber die wohnen alle in Hamburg. Die sehe ich nicht oft. Ein Urenkelchen ist auch unterwegs gerade«. Merkel hat sich wieder gefasst, du glaubst fast den Hauch eines Lächelns in ihrem Gesicht zu erkennen. Happy End, denkst du und tauchst zufrieden deinen Löffel in die Fleischsuppe. Omi zuliebe. Dann wirst du halt ab morgen vegetarisch. Jetzt darf die Weißhaarige nur nicht wieder anfangen vom Kotzen und Kacken zu sprechen. Immer positiv denken.

      »Hörst du?«, Omi ruft dir zu.

      »Die Hilde kriegt ein Urenkel! Wann krieg ich denn endlich eins?«

      Der ganze Tisch schweigt, alle starren dich an mit stechenden Laserblicken, trotz der trüben Augen. Röcheln und Schniefen und dein laut pochendes Herz. Vor Scham. Und Frust. Und Wut über diese Bloßstellung deines Sexuallebens.

      »Das will ich aber doch noch erleben! Die Jüngste bin ich auch nicht mehr und der Oppi ist schon tot! So lange hast du dir Zeit gelassen und jetzt ist er tot!«

      Omi lässt nicht locker. Sie hat bereits zwei Schnäpse getrunken. Außerdem steht da ein Radler vor ihr auf dem Tisch.

      »Jetzt noch nicht, Omi«

      Du. Kleinlaut. Herzrasen.

      »Wie alt bist du denn nochmal, wenn ich fragen darf?«, fragt Alzheimer-Walter, der dir als Kind immer fünf Mark zugesteckt hat.

      »Neunundzwanzig«, antwortest du.

      »Nüngenzwanzig? Met nüngenzwanzig wor ich met meiner jüngsten schwanger, met der Uschi!«, ruft die Weißhaarige. Viel zu stolz, deiner Meinung nach.

      »Un ich musste öntlich met anpacken, do han mer jerade dat Hus jebaut«, fährt sie fort.

      »Da lasse ich mir noch was Zeit«, hörst du dich sagen.

      »Mit dem Haus oder mit den Kindern?«, ruft Alzheimer-Walter und lacht laut über seinen eigenen Witz. Die anderen stimmen mit ein. Schallendes Gelächter am Tisch.

      »Haben Sie einen Partner?«, fragt Merkel. Du schüttelst den Kopf. Entsetzte Minen.

      »Die jungen Leute heutzutage«, sagt die Rothaarige.

      »Dass wir Frauen nicht ewig warten können, das verstehen die nicht«

      »Ewig will ich ja nicht warten, nur, also jetzt im Moment…«

      Du stammelst.

      »Was ist denn?«, ruft Omi wieder.

      »Sonst endest du wie die Frau Hammerschmidt. Die hat am ganzen Körper Plaque, weil die sich seit Jahren nicht gewaschen hat. Die hat ja keinen an sich rangelassen, die war ja ganz alleine in dem großen Haus. Willst du so enden? Ich habe deine Mutter, die mich jetzt im Alter pflegt. Deine Mutter hat dich, wenn sie später nicht mehr kann. Und wen hast du dann später?«

      Deine Gedanken fliegen. Die Suppe sieht aus wie Kotze und ist bestimmt schon kalt. Du willst die nicht mehr essen. Du denkst: Ich will hier raus. Ich hab noch so viel vor. Ich brauche nen vernünftigen Kerl. Ich will mir jetzt die Figur noch nicht ruinieren. Vielleicht will ich gar kein Kind. Niemals. Wie soll ich das erziehen? Ich habe einen Kater. Ich will jetzt ein Bier. Ich brauche Zeit für mich, aber ich habe keine Zeit. Ich habe Probleme. Ich muss nachdenken. Ich habe kein Geld. Mein Job fuckt mich ab. Ich weiß nicht genau, was ich will. Ich will frei sein. Ich muss mich noch entscheiden. Aber ich will keine alten Leute pflegen. Auch nicht meine Eltern. Noch nicht. Und ich will niemals so enden. Oder doch. Und ich habe Angst.

      Aber du sagst nix.

      Ist ja deine Omi.

       La familia es todo.

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