schien offenbar bereit, nicht in sie zu dringen. Er schien bereit, die Sache auf sich beruhen zu lassen, wie er gesagt hatte, dann würde er sie in Bern absetzen und ihre Wege würden sich trennen. Aber es war ja komplizierter. Sie fühlte, dass er sie mochte, und sie ihn auch. Und dass er jemand war, der ihr helfen könnte, an den sie sich wenden könnte, wenn sie in Bern Schwierigkeiten bekäme.
„Du meinst die Spanner-Geschichte?“, fragte sie nach einer langen Pause. Jules sah das junge Mädchen überrascht an.
„Ja!“, sagte er dann. „Du warst dabei, nicht wahr?“
„Alle, die mitgemacht haben, waren noch damals noch minderjährig und hatten nicht die Kraft und den Mut sich zu wehren und...“, setzte Lisa an und versuchte, sachlich zu sprechen.
„Du brauchst da überhaupt nichts zu erklären!“, meinte Jules. „Oder sagen wir mal zu entschuldigen. Sag mir nur: Du bist das Mädchen, das abgehauen ist mit den ganzen Adressen...“
„Nein! Das stimmt nicht! Natürlich bin ich abgehauen, und es tut mir leid, dass ich deine Mutter gestern angelogen habe...“
„Die weiß zwar, dass du abgehauen bist, aber nicht warum!“, focht Jules ein.
„Und wenn ich nicht abgehauen wäre, säße ich heute noch in diesem verfluchten Heim unter staatlicher Aufsicht! Und die Adressen hatte ich nie! Hab mich auch nie dafür interessiert! Bis sie mir in dem Heim sagten, dass ich dort bleiben muss, bis... bis entweder der Anführer gefunden ist...“
„Der das alles organisiert hat.“
„Genau. Oder bis ich die Listen rausgerückt hätte...“
„Und wo sind die?“, fragte Jules.
Lisa spürte, dass er noch immer zweifelte, dass sie die Wahrheit sagte.
„Ich habe keine Ahnung! Gabriel Wehrli muss sie haben! Ich habe nur einen Anhaltspunkt: Ich glaube, dass ich die Firma kenne, die, na, wie sagt man?“
„Das Computerprogramm erstellt hat?“
„Ja, genau. Aber...“
„Und die ist in der Schweiz ansässig?“
Lisa zögerte.
„In Bern?“, hakte Jules nach.
„Ja.“ Mehr sagte sie nicht.
Sie fuhren eine Weile schweigend durch die Landschaft, die sich jetzt sehr verändert hatte. Es war noch etwas wärmer geworden. Jules fuhr mit offenem Verdeck. Lisa war froh, vom Fahrtwind gekühlt zu werden. Und das Anfang Oktober, dachte sie sich.
„Traurig?“, fragte Jules.
Lisa nickte, fühlte Tränen hochkommen, unterdrückte sie jedoch. Der Junge strich ihr mit der Hand über die Wange. Sie hätte jetzt am liebsten, so wie vor ein paar Wochen mit dem Heimleiter, mit ihm im Bett gelegen und sich trösten, drücken und umarmen lassen. Ein bisschen weinen, ein bisschen geküsst werden, dann mehr küssen als weinen, dann schon wieder lachen über einen Scherz, dann seine Hände fühlen, erst ganz zurückhaltend, dann da, wo sie die meiste Aufregung verursachten. Der Heimleiter hatte es gut verstanden, sie zu trösten. Wie oft hatte der Mann wohl traurige, verzweifelte Mädchen zu sich ins Bett genommen? Sie beruhigt, sie gestreichelt, bei ihnen und sicher auch mit ihnen geschlafen, und ihnen in dieser Weise zum Aufstieg in der strengen Hierarchie verholfen, ihnen Hoffnung gegeben, nicht mehr am untersten Ende der Leiter die Quälereien der anderen Mädchen ertragen zu müssen.
Die friedensstiftende, beruhigende Wirkung des Betts!
In früheren Jahren war Lisa oft in das Bett ihrer Eltern gekrochen, hatte sofort Wärme und Geborgenheit gespürt. Wie es alle Jungen und Mädchen tun. Weder ihre Mutter noch ihr Vater hatten dagegen etwas gehabt. Natürlich - ihre Mutter hatte immer ein wenig Eifersucht gezeigt, wenn sie mit ihrem Vater schmuste, im Bett und auch sonst. Lisa erinnerte sich, wie sie dicht bei ihm lag, manchmal sogar auf ihm. Sie wurde gestreichelt, am ganzen Körper, und genoss die befriedigende Gewissheit, dass das, was ihr Vater tat „nicht schlimm“ war, obwohl nie ein anderer Mann jemals sie so berühren hätte dürfen wie ihr Vater. Oftmals auch hatte sie seine männliche Härte gespürt, obwohl ihr Vater diese stets zu verbergen suchte, aber sie hatte auch nie das Bedürfnis gehabt, danach zu fragen, was das Harte zwischen seinen Beinen sei - nein, sie wusste, dass Männer das haben, und ob hart oder nicht hart, darüber machte sie sich keinerlei Gedanken. Lisa wusste genau, welches das letzte Mal gewesen war, als sie so im elterlichen Bett lag, mit ihrem Vater schmuste und tollte, bis er sie auf sich zog und sie mit einem Klaps auf den Popo „strafte“. Ihre Mutter erhob sich, meinte noch ein wenig missmutig: „Los, jetzt aber Schluss!“, und verschwand im Bad. Lisa aber blieb liegen, wie sie war, fühlte die wohltuenden kräftigen Hände ihres Vaters auf ihrem Hintern, wusste auch, dass sich seine männliche Härte gegen ihr Schambein presste. Tat ihm das nicht weh? Instinktiv machte Lisa ihre Beine breit...
Seitdem war ihr Vater abweisend, kühl zu ihr. Nie wieder war sie in seinem oder dem Bett ihrer Mutter. Obwohl sie gerade in dem Alter war, wo sie Anerkennung gebraucht hätte, Anerkennung, dass ihre Brüste heraustraten, Anerkennung, dass Härchen wuchsen unter ihren Achseln und am untersten Stück ihres Bauchs, Anerkennung und Mitgefühl, wenn es aus ihrer Scheide blutete, Anerkennung dafür, dass sie zur Frau heranreifte.
Jetzt war sie eine Frau, dachte Lisa, und sie war froh, eine richtige Frau zu sein.
War Jules du Mez neben ihr ein richtiger Mann?
Lisa sah ihn heimlich von der Seite an, und auf einmal kamen ihr Zweifel. Sie hatte sich ja vorhin in dem Weinberg nicht entblößt, weil sie musste, sondern vor allem, weil sie ihm zeigen wollte, dass sie bereit war, mit ihm zu schlafen, dass sie jetzt gerne mit ihm geschlafen hätte, wenn sie ihre Tage nicht gehabt hätte, und dass sie auch, jetzt, sofort, bereit war, ihm als Mann Befriedigung zu gewähren, wenn auch nur als Ersatz.
Hatte Jules schon einmal mit einem Mädchen geschlafen?
Er konnte küssen, konnte streicheln, sicher. Hatte ihn schon einmal ein Mädchen gestreichelt, so, wie es Jungen gern haben? Hatte schon einmal ein Mädchen oder eine Frau an seinem Glied geleckt, es in den Mund genommen, daran gesaugt?
Lisa hatte keinerlei Ekel empfunden, als sie Timos oder Lucas Eichel im Mund hatte, diese zu lutschen und zu saugen. Sperma hatte Lisa bislang noch nicht in den Mund bekommen, obwohl sie auch dazu bereit gewesen wäre, nachdem Lucas ihr klargemacht hatte, dass dieser Stoff im Mund eines Mädchens wirkungslos war.
„In zehn Minuten sind wir in Bern!“, riss Jules das junge Mädchen aus seinen Überlegungen. „Was wirst du jetzt machen?“
Lisa zögerte. Was würde sie jetzt machen? Gute Frage.
„Und du, was machst du?“
„Ich muss nach Fribourg, in die Vorlesung. Aber erst möchte ich sehen, wo du unterkommst. Du wirst ja ein Hotel brauchen, oder?“
Lisa nickte. Jetzt wurde es ernst.
„Wenn du in Fribourg bist - kann ich dich da irgendwie erreichen?“, fragte sie.
Jules nickte. „Das wollte ich dir gerade vorschlagen. Ich gebe dir meine Handynummer, du kannst mich jederzeit anrufen oder mir eine Nachricht per SMS oder über WhatsApp schicken.“
Lisa nickte und beschloss, sich in Bern ein Wegwerf-Handy zu besorgen.
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