Emile Zola

Nana


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um sie wiederzubekommen! An Stellen fehle es ja nicht, sie habe ja Bekanntschaften genug, aber sie sei, selbst in Zeiten der größten Klemme, bei Madame gebliebert, weil sie eben fest an die Zukunft von Madame glaube. Und zum Schluß ließ sie ihre Ratschläge von Stapel. Solange man jung sei, begehe man eben noch Dummheiten. Jetzt müsse man aber die Augen offenhalten, denn die Männer dächten an nichts anderes als an Scherz und Vergnügen. Oh, da solle doch kommen, was da wolle! Madame brauche ja nur ein Wort zu sagen, um ihren Gläubigern den Mund zu stopfen und um das Geld zu bekommen, das sie benötige.

      »Mit all deinen Reden aber bekomme ich keine dreihundert Franken«, versetzte Nana und vergrub die Finger in die wirr herabhängenden Locken. »Und dreihundert Franken muß ich haben, heute, auf der Stelle ... Es ist scheußlich, daß man keinen Menschen kennt, der einem dreihundert Franken gibt.«

      Sie suchte unter ihrer Bekanntschaft; sie dachte einen Augenblick an Madame Lerat, die sie gerade am heutigen Morgen erwartete, um sie nach Rambouillet zu schicken. Ihre verdrießliche Stimmung, die Sehnsucht nach ihrem Kinde verdarb ihr den Triumph des gestrigen Abends. Sich sagen zu müssen, daß es unter all jenen Männern, die ihr Beifall geklatscht hatten, keinen einzigen gebe, der ihr fünfzehn Louisdor borgen würde! Und dann könne man ja Geld noch nicht einmal ohne alles weitere annehmen! Mein Gott! Wie unglücklich sie doch war! Und immer und immer wieder kamen ihre Gedanken zurück auf ihren kleinen Herzbuben, der so schöne blaue Engelsaugen hatte, der so possierlich »Mama!« stammelte, daß sie vor Freude schier hätte sterben mögen.

      Im selben Augenblick aber ertönte die elektrische Glocke. Zoé kam zurück und meldete mit einer vertraulichen Gebärde:

      »Eine Frau ist draußen.«

      Sie hatte das Weib zwanzigmal schon gesehen, aber sie tat immer, als kenne sie sie nicht und auch nicht die Beziehungen, in denen sie zu den Pariser Damen vom Schlage Nanas stand, die fortwährend in der Geldklemme sitzen.

      »Sie hat mir ihren Namen genannt ... Madame Tricon!«

      »Die Tricon!« schrie Nana. »Ach, wahrhaftig, die hab' ich ja vergessen ... Laß sie eintreten!«

      Zoé führte eine alte Dame von hoher Gestalt herein, die lange Locken trug und die ganze Haltung einer Frau von Adel hatte, die Besuche bei ihren Anwälten macht. Dann verschwand Zoé geräuschlos, mit jener schlangenhaften, geschmeidigen Behendigkeit, mit der sie stets aus dem Zimmer glitt, sobald ein Herr eintrat. Übrigens hätte sie ruhig bleiben können, denn die Tricon setzte sich nicht einmal; nur wenige kurze Worte wurden zwischen den Frauen gewechselt.

      »Ich habe heute jemanden für Sie ... Haben Sie Lust?«

      »Ja ... wieviel wirft's ab?«

      »Zwanzig Louisdor ... Abgemacht?«

      »Abgemacht!«

      Dann sprach die Tricon sogleich vom Wetter; es sei recht hübsch trocken heute, recht angenehm zum Gehen. Sie müsse noch vier bis fünf Personen aufsuchen und könne darum nicht lange bleiben; als sie sich verabschiedete, warf sie flugs einen Blick in ein kleines Notizbuch. Sobald Nana allein war, atmete sie erleichtert auf. Ein leichtes Beben glitt über ihre Schultern, und fröstelnd kroch sie wieder in das warme Bett und räkelte sich behaglich mit der Faulheit einer verwöhnten Katze. Allmählich schlössen sich ihre Augen, sie lächelte bei dem Gedanken, daß sie morgen ihren kleinen Louis recht niedlich herausputzen wollte, während in dem Schlummer, der sie jetzt umfing, ihr fieberhaftes Träumen der vergangenen Nacht, ein langanhaltendes Rollen von Bravorufen wiederkehrte und sie in Schlaf lullte.

      Um elf Uhr, als Zoé Madame Lerat ins Zimmer hereinführte, schlief Nana noch. Aber das Geräusch, das die Eintretenden machten, weckte sie auf:

      »Ach, du bist's ... Du sollst heute nach Rambouillet fahren!«

      »Ich komme ja deshalb her«, erwiderte die Tante. »Es geht gegen Mittag ein Zug; ich habe Zeit, ihn zu benutzen.«

      »Nein, ich werde erst zu einer späteren Stunde Geld haben«, versetzte Nana, die sich jetzt im Bett aufrichtete und den Hals weit vorreckte. »Du kannst mit mir frühstücken, wir wollen dann sehen.«

      Zoé trug einen Frisiermantel herein.

      »Madame«, sprach sie leise, »der Friseur ist da.«

      Aber Nana hatte keine Lust, in das Toilettenkabinett zu gehen. Sie rief deshalb: »Kommen Sie nur hier herein, Francis!« Ein sauber gekleideter Herr stieß die Tür auf. Er grüßte. Nana war eben aus dem Bett gekrochen und stand barfüßig da. Sie hatte es nicht sonderlich eilig und streckte die Hände vor, damit Zoé die Ösen des Mantels zuheften könne. Und Francis, der sich hier ganz behaglich zu fühlen schien, wartete ruhig, ohne sich umzudrehen. Als sich Nana gesetzt und er den ersten Strich mit dem Kamm durch ihr Haar geführt hatte, begann er zu sprechen.

      »Madame hat wohl die Zeitungen noch nicht gelesen? Der ,Figaro' bringt einen ausgezeichneten Artikel.«

      Er hatte die betreffende Nummer der Zeitung gekauft. Madame Lerat setzte sich die Brille auf und las, am Fenster stehend, den Artikel laut vor. Ihre Gendarmenfigur reckte sich in die Höhe, die Flügel ihrer Nase weiteten sich, wenn sie ein galantes Adjektivum aus ihrem Munde schnellte. Es war eine Rezension aus Faucherys Feder, die, nach Schluß des Theaters geschrieben, in zwei Spalten glühenden Inhalts die Künstlerin auf geistvolle Weise verhöhnte, das Weib aber in unverblümter Bewunderung verherrlichte.

      »Ausgezeichnet!« meinte Francis.

      Nana ärgerte sich nicht wenig, daß man sich über ihre Stimme lustig machte. Dieser Fauchery war wirklich ein toller Wicht, aber sie wollte ihm seine schlaue Manier schon austreiben! Madame Lerat erklärte, nachdem sie den Artikel nochmals gelesen hatte, daß die Männer samt und sonders den Teufel in den Waden hätten, und verzichtete, zufrieden über diese Anspielung, auf weitere Erklärungen. Francis hatte inzwischen die Frisur von Nanas Haarputz vollendet und empfahl sich mit den Worten:

      »Ich werde die Abendzeitungen aufmerksam durchsehen ... Wie gewöhnlich um halb sechs Uhr heute, nicht wahr?«

      »Bringen Sie mir doch eine Büchse Pomade und ein Pfund gebrannte Mandeln von Boissier mit!« rief ihm Nana durch den Salon nach, als er eben die Tür draußen schloß.

      Jetzt fiel es den beiden Frauen, als sie sich allein sahen, erst ein, daß sie sich noch gar nicht begrüßt hatten, und sie drückten sich flugs ein paar derbe Küsse auf die Wangen. Der Zeitungsartikel hatte sie warm gemacht. Nana, bisher noch verschlafen, wurde wieder von dem Fieber ihres Triumphs ergriffen. Ah, Rose Mignon mochte einen reizenden Vormittag verleben! Da ihre Tante nicht hatte ins Theater kommen wollen, weil ihr aufregende Szenen, wie sie sagte, immer die Verdauung störten, schickte sich Nana an, ihr den Verlauf des Abends zu erzählen, und berauschte sich an ihren eigenen Schilderungen dermaßen, daß sie fast selber glaubte, ganz Paris sei unter dem Beifallssturm zusammengestürzt. Dann unterbrach sie sich plötzlich und fragte lachend: wer ihr das wohl vorausgesagt hätte, als sie noch in der Rue de la Goutte d'Or als kleines Ding auf dem Hintern herumgerutscht sei. Madame Lerat schüttelte den Kopf. Nein, nein, so etwas hätte man wahrlich nicht voraussehen können! Nun begann die Lerat zu sprechen, nahm eine ernste, würdige Miene an und nannte Nana ihre »liebe Tochter«. Sei sie denn nicht ihre zweite Mutter, seit die rechte mit Papa und Großmama wiedervereinigt war? Nana überkam eine lebhafte Rührung, sie war nahe daran, in Tränen aufzubrechen. Aber Madame Lerat betonte: »Hin ist hin«, und es lasse sich daran nichts ändern, das beste sei, vergangene Dinge nicht tagtäglich aufzurühren. Lange Zeit habe sie es unterlassen, ihre Nichte zu besuchen, denn man klage sie in der Familie an, daß sie sich mit der Kleinen zugrunde richte. Sie verlange durchaus keine vertraulichen Geständnisse, sie glaube schon selbst, daß sie immer ehrbar gelebt habe. Jetzt sei es ihr vollauf genügend, daß sie sie in guten Verhältnissen finde und daß sie sehen könne, mit welcher Liebe sie an ihrem kleinen Sohn hänge. Es gelte doch noch immer in dieser Welt nichts so viel wie Ehrbarkeit und Fleiß.

      »Von wem hast du denn eigentlich den Kleinen?« fragte sie, sich plötzlich unterbrechend, während ihre Augen von lebhafter Neugier aufleuchteten.

      Nana war überrascht und zögerte eine Sekunde mit der Antwort.

      »Von