K.P. Hand

Tiefschwarze Seelensplitter


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– mehr laienhaften – Arbeit gewesen war. Sie war einfach zu liebesbedürftig und zu einsam gewesen, um sich dem Risiko nicht zu stellen, welches mit jedem Treffen mit einem Fremden aus dem Internet einhergeht.

      Vielleicht fürchtete sie sogar, er wäre nur ein verrückter Stalker, doch der Wunsch nach Nähe und Bestätigung war drängender gewesen als jede Vernunft. Und was sollte Ihr schon in einem netten kleinen Café in der Innenstadt geschehen? Und dann war dieser Mann, dieser Fremde, auch noch so freundlich und charmant, wusste, was er sagen musste, um ihr ein gutes Selbstwertgefühl zu geben, das wegen der Scheidung ihres Gatten, der sie für eine dünnere Frau verlassen hatte, deutlich geschrumpft war. Also ging sie auf seine eher zögerliche, ja fast schüchterne, Einladung zu einem privateren Kaffee ein und folgte ihm nach Hause. Ohne zu wissen, dass sie nie wieder das Tageslicht sehen würde.

      Er blickte in das Loch, ohne etwas zu sehen, und legte bedauernd den Kopf schief. So einsam die Frau in den letzten Jahren gewesen war, so einsam würde sie nun auch hier begraben bleiben.

      Doch so sehr er sich auch anstrengte, sein Hass war größer als sein Mitleid.

      Erst bedeckte er den Sack mit einer dicken Schicht Erde, um die Urne nicht in Berührung mit seiner schändlichen Tat zu bringen – Die Toten müssen in Frieden ruhen, na ja zumindest diejenigen, die es verdienten –, dann schüttete er alles wieder zu.

      Im strömenden Regen ging er langsam durch den düsteren Wald zurück. Sein Wagen stand am Waldrand. Doch obwohl er jetzt aus vielerlei Gründen eine warme Dusche gebraucht hätte, um den kalten Regen, der durch seinen schwarzen Wollmantel drang, und auch um die Berührung der Frau endlich abzuwaschen, die ihm das Gefühl gab, schmutzig und wiederwertig zu sein, gab es noch viel zu tun, ehe er zurück in seine derzeitige Einzimmerwohnung konnte.

      Seine Springerstiefel, seine schwarze Jeans und ein Teil seines Mantels waren schlammbedeckt, als er den vom Regen recht sauber gewaschenen Spaten in den Kofferraum warf und vorne wieder einstieg.

      Er fuhr los und dachte auf dem Weg zur Stadt darüber nach, ob er nicht vielleicht irgendwie seine Taten erklären sollte. Der Öffentlichkeit.

      Wie viele böse Geschöpfe seines Handwerks taten es? Hinterließen kleine Botschaften, gaben den Jägern Rätseln auf, schrieben sogar Briefe an die Presse. Um sich wichtig zu machen, um sich Aufmerksamkeit oder Furcht zu sichern, oder vielleicht sogar um sich zu erklären. In den meisten Fällen jedoch, um das Gefühl von Macht zu spüren. Um sich nicht wie der Gejagte, sondern wie der Jäger zu fühlen.

      Aber was hätte es ihm gebracht, sich zu rechtfertigen, der weder Furcht noch Anerkennung hervorrufen wollte. Die Wahrheit war, er konnte nicht ganz definieren, warum er tat, was er tat. Er würde es weder sich, noch anderen je gänzlich erklären können.

      Rache?

      Ja, vielleicht. Rache war ein nur allzu menschliches Bestreben seit der Geschichte der Menschheit.

      Möglicherweise war er aber auch nur ein Mensch, der seine Gefühle nicht unter Kontrolle hatte, und mit Hass am allerwenigsten umgehen konnte. Hass auf Menschen. Insbesondere Frauen. Aber gelegentlich auch Männer.

      Er könnte versuchen, jemanden zu erklären, dass er jenen Hass schon seit frühster Kindheit verspürte, doch woher jener Hass kam und wie er anfing, konnte er sich nicht einmal selbst beantworten.

      Vielleicht bei seiner Mutter, die besessen von seinem Vater gewesen war und ihn dafür vernachlässigt hatte. Vielleicht wegen seines Vaters, der trotz aller Vergötterung zu Hause, selten bis gar nicht anwesend war, ihn aber, sobald er seine Familie mal mit seiner Anwesenheit beehrte, mit eiserner Strenge zu einem spießigen, schwer arbeitenden Mann erziehen wollte. Was jedoch scheiterte, denn so sehr er sich auch angestrengt hatte, er war nicht klug genug gewesen, um die Familie stolz zu machen.

      Vielleicht waren die vielen familiären Kränkungen, die ständige Missachtung, die Vereinsamung, die Verachtung und die Ignoranz der eigenen Familie Schuld. Oder die Hänseleien in der Schule, die Tatsache, von der Gesellschaft schon im Jugendalter ausgeschlossen worden zu sein, weil man irgendwie seltsam war und darüber hinaus auch noch unter schlimmer Akne litt. Die ständigen Beleidigungen, Erniedrigungen und öffentlichen Demütigungen.

      Die Würde des Menschen sei unantastbar? Nicht in Schulen. Nicht unter Kindern.

      Möglicherweise kam jener ausschlaggebende Hass erst schleichend, ausgelöst durch ein frustriertes, tristes Leben, durch viele Enttäuschungen, den Druck der Gesellschaft, durch all die Angeber, Klugscheißer, Spießer und Möchtegernprofessoren, die sich für besser hielten als der Rest der Welt, denen man jeden Tag, jede Sekunde, überall auf der Straße begegnet, und die einen ohnehin labilen Menschen mit ihren verachtenden Blicken und unüberlegten bissigen Bemerkungen zur Weißglut trieben.

      Vielleicht gab es gar keinen richtigen Grund, keinen echten Grund. Vielleicht war er auch einfach nicht für diese Welt geschaffen, vielleicht trug gar niemand Schuld. Warum musste es immer einen Grund geben, eine verzweigte Hintergrund Geschichte, die beinahe herzzerreißend gewesen wäre?

      Na klar, er wusste, dass die Öffentlichkeit das brauchte, einen Grund, weshalb das Böse tat, was es tat, weil die Vorstellung, dass man mit gewissen Neigungen geboren wurde – darunter auch die Neigung, skrupellos Leben zu nehmen – zu beängstigend war.

      Dabei erschien es nur logisch.

      Täglich wurden Menschen mit Neigungen geboren, und nicht jede hatte einen sexuellen Hintergrund.

      Die vermutlich unverschonte Wahrheit wäre, dass er einfach zu labil war, zu schwach war, um die Dinge aus der Vergangenheit zu verarbeiten, seien sie für andere noch so belanglos, dass er sich jetzt an – für die Öffentlichkeit – unschuldigen Opfern rächte, für all das, was ihn innerlich zerriss. Angefangen bei arroganten, selbstverliebten Menschen, bevorzugt Frauen, weil sie ihn in seinem Leben immer wieder herablassend behandelt hatten, und die auch den einzigen Menschen in den Tod getrieben hatten, dem er vertraute, der für ihn da gewesen war.

      Insofern, ja, es ging um Rache.

      Doch er wusste auch, wie sinnlos Erklärungen in seinem Fall waren. Grundsätzlich war das Warum unwichtig, denn jede noch so befriedigende Erklärung seiner Entscheidungen, würde nichts an dem ändern, was er war.

      Ein Mörder.

      Und nein, er fühlte sich nicht wohl damit. Nein, er empfand keine perverse Freude an seinem Tun, er geilte sich nicht an seinen Taten auf, wichste nicht dabei oder vergewaltigte seine Opfer aus Lust. Im Gegenteil, er verabscheute sich selbst, konnte aber nicht damit aufhören.

      Er fühlte sich tagtäglich als würde er in einem Meer aus grausamen Erinnerungen ertrinken, als würde die Gesellschaft ihn ersticken, so weit entfernt er sich auch hielt, das Gefühl wurde tagtäglich unerträglicher, und seine Taten waren das einzige, was ihn befreien konnte, was ihm Luft zum Atmen schenkte.

      Es war nicht verständlich, nicht nachvollziehbar, nicht … verzeihlich, wenn man nicht in seiner Haut steckte.

      Er war Raven.

      Natürlich war das nicht sein richtiger Name, aber diesen hatte er abgelegt, als er sein normales Leben aufgegeben hatte, um seiner wahren Natur zu folgen. Und sein »Künstlername«, den eigentlich auch nur er kannte, gefiel ihm. Erschien passend. Er mochte Raben. Sie waren geheimnisvolle Einzelgänger, vor denen selbst ein Schwarm Krähen flüchtete, obwohl sie in der Überzahl waren.

      Er, Raven, war der geheimnisvolle Einzelgänger, und die Krähen, die vor ihm flohen, waren die Menschenscharen auf den Straßen, die ihr Leben so oberflächlich und rücksichtlos frönten.

      Ihnen einen Spiegel vorzuhalten, aus ihnen die Schlimmsten zu wählen und sie den Schmerz körperlich spüren zu lassen, den sie rücksichtslos und in voller Absicht anderen seelisch zufügten, erfüllte ihn mit Genugtuung, die selbst die größte Schuld übertünchte.

      Die Frau von heute hatte sterben müssen, weil sie, wie viele andere, nur ihren eigenen Vorteil im Sinn hatte. Weil sie nur an sich und ihre eigenen Gefühle gedacht hatte und, um sich besser zu fühlen, andere verletzt hatte. Eine Autorin und Buchbloggerin,