Sabine von der Wellen

Das Vermächtnis aus der Vergangenheit


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meldet mein Handy eine SMS.

      „Lese ich da Sorge? Wer macht sich schon Sorgen um den Teufel? Ich werde auf mich achtgeben.“

      Ich tickere nur ein schnelles: „Danke!“, rein und lösche alles.

      Das Handy in meine Hosentasche verstauend, lese ich den Artikel weiter, den ich gefunden habe und schreibe mir einige Daten heraus, als Marcel hinter mir erscheint und sein nasses Haar über mir ausschüttelt.

      „Iiiih, Marcel nicht! Mein Laptop wird doch ganz nass“, quicke ich.

      Er lacht nur und hält seine Nase genüsslich schnüffelnd in die Luft. „Das riecht hier aber lecker. Ich habe einen Bärenhunger!“

      Ich stehe auf und stelle Teller auf den Tisch und lege Besteck dazu. „Dann komm, mein hungriger Bär.“

      Wir essen und ich frage: „Bist du heute Abend zu Hause?“

      „Ich habe nichts vor. Und du?“

      „Ich bleibe auf alle Fälle hier. Es tut mir gut, wenn ich mich noch ein wenig ausruhe. Nächste Woche wir anstrengend. Wir haben lange Schule und Mama hat sich noch nicht gemeldet, wann sie zu Julian fahren wollen.“

      „Oh Mann, willst du wirklich mitfahren?“

      Ich nicke entschlossen. Durch Erik habe ich das Gefühl, ich muss Julian eine Chance geben. Wenn er auch so unter der Vergangenheit leidet wie Erik, dann muss ich mit ihm reden. Vielleicht ist dieser Alchimistenmist wirklich ausgestanden und er kann zurückkommen und alles wird wieder gut. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

      „Wenn du meinst!“, brummt Marcel. „Aber schön, dass du heute Abend bei mir bleibst.“

      Wie er das sagt, versetzt mir einen Stich. Er tut fast so, als würde ich ihn ständig allein lassen.

      Am Sonntag fühle ich mich wirklich wieder fit. Der ruhige Samstagabend und der viele Schlaf füllten meine Kraftreserven auf. Nach dem Frühstück packt mich allerdings die Unruhe. Immer wieder schieben sich Bilder von wilden Bandenkriegen und aufmarschierenden Polizisten in meinen Kopf. Als in den Nachrichten auch noch von einem gesprengten Drogenring berichtet wird, ist es mit meiner sonntäglichen Ruhe ganz vorbei. Während Marcel mit Diego in den Garten geht, um eine Zigarette zu rauchen, schreibe ich eine SMS an Ellen2.

      „Ist alles in Ordnung? Geht es euch gut?“

      Ich schreibe es extra so, als beziehe ich meine Frage auch auf Daniel.

      Fast augenblicklich kommt zurück: „Ja, alles in Ordnung. Ich rufe dich später an.“

      Oh nein! Nicht anrufen!

      Aber mir ist klar, wenn Erik mich anrufen will, tut er das auch.

      „Klingel mich erst kurz an und ich suche mir einen ruhigen Platz“, schreibe ich zurück und hoffe, er versteht, was ich meine.

      Ich schiebe das Handy in meine Hosentasche und gehe auch in den Garten. Als ich um die Hausecke biege, sehe ich Marcel auf den Treppenstufen der Terrasse sitzen, die Zigarette im Mundwinkel und etwas in sein Handy eintippen.

      Marcel ist kein großer SMS Schreiber, was man an der umständlichen Eingabe der Buchstaben sieht. Es scheint ihn einige Mühe zu kosten und ich gehe zu ihm. „Nah, schreibst du einer deiner zahlreichen Verehrerinnen?“, witzele ich und Marcel fährt erschrocken zusammen. „Nein“, brummt er und steckt das Handy augenblicklich in seine Hosentasche.

      Das verwirrt mich. Will er sein Geschriebenes nicht wenigstens verschicken? Ich sehe ihn misstrauisch an. Marcel hat sein Handy neuerdings viel bei sich. Genauso wie ich.

      Er raucht seine Zigarette zu Ende und sagt: „Heute Nachmittag ist ein Spiel mit Werda Bremen. Schaust du dir das mit mir an?“

      „Oh, ich weiß nicht. Ich muss noch Hausaufgaben machen.“

      Er nickt nur und wirft mir einen seltsamen Blick zu, als hätte er auch nicht damit gerechnet.

      „Vielleicht wollen deine Jungs herkommen und mitgucken?“, schlage ich vor.

      „Ich frage sie mal“, antwortet Marcel nur und ich stehe auf, um ins Haus zurückzugehen. Ich möchte mir etwas zum Lesen holen.

      „Soll ich dir etwas mit rausbringen?“, frage ich Marcel und er schüttelt den Kopf.

      Ich gehe um die Hausecke und bleibe stehen. Irgendwie bin ich beunruhigt. Irgendetwas an Marcel beunruhigt mich.

      Ich drehe mich um und schaue vorsichtig um die Hausecke und sehe ihn erneut sein Handy in die Hand nehmen und etwas schreiben.

      Mit gerunzelter Stirn setze ich meinen Weg fort. Also ist da was im Busch. Marcel schreibt SMSen und ich soll das nicht mitbekommen.

      Ich beschließe, etwas schrecklich Verwerfliches zu tun. Ich werde mal in seinem Handy etwas schnüffeln müssen.

      Sofort spüre ich diesen Wurm in mir. Noch klein und schmierig und deshalb nur eben wahrzunehmen. Aber ich habe Angst davor, dass er zu einer Python wird, die mich erneut von innen heraus zerfetzen will.

      Ich beeile mich, mir ein Buch zu greifen und laufe schnell wieder hinaus.

      Marcel sitzt nur da und schaut Diego zu, der durch die Büsche streift und alles untersucht. „Der Kleine ist richtig groß geworden“, sagt er, stolz wie ein richtiger Papa.

      „Ja, ist er“, sage ich und setze mich dicht neben ihn, lege meinen Arm um seinen Nacken und lehne mich an seine Schulter.

      „Du siehst wieder ausgeruhter aus. Das Wochenende hat dir gutgetan“, raunt er und sieht mich zufrieden an.

      Ich nicke nur.

      Er legt seinen Finger unter mein Kinn und küsst mich. „Das war ein schönes Wochenende. Diese Woche wird anstrengend und wir werden uns nicht viel sehen können.“

      „Ich weiß“, flüstere ich an seiner Schulter.

      Er nimmt meinen Arm und zieht mich über sein Bein zwischen seine Beine, damit ich eine Stufe unter ihm zum Sitzen komme. Beide Arme um mich schlingend, haucht er in meine Haare: „Weißt du, dass ich dich liebe?“

      Ich nicke, greife hinter mich und lege meine Hand auf seine Wange, während er mir einen Kuss auf meinen Hals drückt.

      Warum rege ich mich auf, weil Marcel mal jemandem schreibt? Es ist nichts! Er liebt mich immer noch, also!

      Wir sitzen lange zusammen und schauen Diego bei seinen Spielchen zu. Aber irgendwann muss ich reingehen und mich an meine Hausaufgaben machen.

      Marcel bietet mir erneut an, mir zu helfen, wenn ich nicht klarkomme. Aber er bleibt noch draußen und ich sehe ihn wenig später in der Garage verschwinden.

      Zum ersten Mal grübele ich darüber nach, was passiert, wenn wir uns trennen. Wenn er auf einmal eine andere hätte.

      Ich verdränge den Gedanken daran. Es würde mir den Boden unter den Füßen wegziehen.

      Am Nachmittag habe ich meine Hausaufgaben fertig, den Bericht geschrieben, der eigentlich erst nächste Woche dran ist, und meine Mappen geordnet und alle Blätter eingeheftet. Marcel ist immer noch draußen und putzt seinen Golf von innen. Diego hat er bei sich und lässt ihn durchs Auto toben. Mittlerweile haben wir keine Angst mehr, den Kater auch außerhalb des Zaunes laufen zu lassen, der sowieso kein Hindernis mehr für ihn darstellt. Marcel überlegt schon, ob wir ihm irgendwo eine Klappe einbauen können, damit er jederzeit raus und rein gehen kann.

      Diego kommt zu mir ins Wohnzimmer gelaufen und Marcel folgt ihm, den Eimer und die schmutzigen Lappen in der Hand. „So, mein Auto blitzt und blinkt wieder“, sagt er und sieht zufrieden aus. „Außerdem muss der Mustang, den ich gestern gesehen habe, hier irgendwo aus unserer Nachbarschaft kommen“, meint er noch und geht ins Badezimmer, um die Lappen in die Waschmaschine zu werfen.

      „Warum meinst du das?“, rufe ich ihm verunsichert hinterher.

      Marcel