Sabine von der Wellen

Das Vermächtnis aus der Vergangenheit


Скачать книгу

      Plötzlich donnert der los: „Das reicht! Du kannst mir nicht so was an den Kopf hauen, wenn wir uns nicht wenigstens gegenüberstehen. Gib mir deine Adresse und ich sage dir alles, was du wissen willst … Auge in Auge!“ Seine Stimme klingt erschreckend dumpf und wütend.

      „Nene!“, antworte ich und lache auf. „Das Spiel hatten wir schon. Und dann nagelst du mich an die Wand“, brumme ich, genau wissend, dass ich dann keine Chance gegen ihn habe.

      Er zieht die Luft laut zwischen den Zähnen ein und versucht sich wohl zu beruhigen. Dann lacht er leise auf, was ich aber durchaus hören kann und was mir einen Stich in meinen Bauch versetzt. „Gerne, wann immer du willst!“

      Ich meine sogar ein laszives Grinsen in seiner Stimme mitklingen zu hören.

      „Vergiss es, ich habe allem körperlichen abgeschworen. Ich zahle nur noch die Wohnung und fertig“, zische ich und mir stockt der Atem. Wut kriecht augenblicklich durch meine Adern. Ich kann nicht fassen, dass er mich manipulieren kann, als wäre ich eine hirnlose Puppe und scheinbar mein Verstand bei ihm völlig aussetzt. Wie konnte ich so blöd sein und ihm das stecken?

      Ich lausche, ob Erik etwas aufgefallen ist und hoffe nur, er bringt da jetzt nichts in den passenden Zusammenhang.

      Da Erik nichts sagt, füge ich hinzu: „Und jetzt muss ich aufhören zu telen. Wie immer hast du es geschafft, mich dazu zu bringen, mit dir zu sprechen und die Zeiss-Clarkson Inquisition hat mal wieder perfekt funktioniert. Nicht wahr? Du kannst stolz auf dich sein“, füge ich noch mit einer Portion Gehässigkeit hinzu und hoffe, ihn damit schnell loszuwerden, bevor ich mich noch um Kopf und Kragen rede.

      Erik raunt fassungslos und mein Gebrabbel ignorierend: „Wie? Du zahlst die Wohnung körperlich? Ich hoffe, ich habe mich da verhört!“ Seine aufsteigende Wut und Fassungslosigkeit sind fast greifbar und mein Herz droht stehen zu bleiben.

      Verdammt!

      „Du hast dich verhört.“ Ich lache nervös auf. „Ich zahle meine Wohnung wie alle anderen mit Geld.“

      „Das du nicht hast“, brummt Erik und seine Stimme klingt wie die eines wütenden Grizzlys. „Wer ist dein Vermieter? Was für ein widerlicher, alter Sack ist das?“

      Ich schlucke und verteidige mich: „Natürlich habe ich Geld. Ich habe schließlich einen Job!“

      „Seit wann das denn?“, faucht er verächtlich.

      „Ich bin heute angefangen.“

      „Wer soll dir das glauben? Carolin, wenn du dich an jemanden verkaufst, ist was los!“, brüllt er mir ins Ohr.

      Ich weiß nicht, wann ich Erik je so wütend erlebt habe. Er erschreckt mich zutiefst und ich bin froh, dass ich ihn nur am Telefon habe.

      „Tue ich nicht“, antworte ich piepsend wie eine Maus. Das sind die Mädels in seinem Drogenmilieu, die so etwas machen müssen … nicht ich.

      „Ich will wissen, welches Schwein dir von heute auf morgen die Wohnung vermietet hat. Als Ellen mir das sagte, wusste ich gleich, dass da etwas nicht stimmen kann.“ Eriks Stimme klinkt eisig und ich weiß, ich habe den anderen Erik vor mir. Den, den alle fürchten und der in der Lage ist, jemanden ins Krankenhaus zu befördern.

      „Reg dich ab. Die Wohnung stand schon länger frei und ich bewohne sie nur, bis der rechtmäßige Mieter wieder zurückkommt. Und ich zahle gar nichts dafür“, versuche ich ihn zu beruhigen und bin unendlich froh, dass Erik weit weg ist.

      Ich höre ihn erneut die Luft einziehen und lostoben: „Verdammte Scheiße, ich kenne solche Penner. Warte nur! Ich kriege raus, wo du wohnst und wer das ist und ich mache den platt.“

      Ich bin völlig entsetzt, dass Erik sich so aufregt. Er dreht fast durch.

      „Erik, bitte! Das ist nicht so wie du denkst!“, rufe ich entsetzt.

      „Dann sag mir, wie es ist. Los! Erkläre es mir!“ Seine Stimme zittert vor Wut und ich bin erschrocken darüber, dass ihn das so gegen mich aufbringt. Da, wo er sich sonst herumtreibt, muss das doch noch als harmlos gelten.

      „Okay, ich sage es dir. Aber bitte reg dich nicht auf … und du machst auf keinen Fall irgendwen platt.“ Mir ist klar, dass es bestimmt einen Vermieter für die Wohnung gibt, der sicherlich auch nicht gerade jung ist. Wenn Erik dem je begegnet, wird er ihn ins Krankenhaus befördern, weil er denkt, ich gehe mit ihm ins Bett, um die Wohnung zu bezahlen.

      „Ich bin in Tims Wohnung“, sage ich resigniert. „Er war vorgestern hier und hat mit mir alles aus Marcels Wohnung geholt und in seine gebracht. Er hat die Vermieter angerufen und ihnen gesagt, dass ich seine Schwester bin und die Wohnung solange bewohne, bis er wieder da ist. Also bitte, lass die armen Vermieter am Leben.“

      Es dauert einige Augenblicke bis Erik knurrt: „Tim? Oh Mann, der Arsch! Ich hätte es mir denken können, dass er wieder seine Finger mit im Spiel hat. Und klar lässt er dich da umsonst drinnen wohnen. Asche hat er schließlich genug. Und ich wette, er hat es sich nicht nehmen lassen, dich nebenbei erneut zu vernaschen. Das tut er offenbar mit Vorliebe! Dass der immer zur Stelle ist, wenn du Marcel verlässt. Als wenn er das riecht!“ Erik klingt jetzt eher fassungslos, als wütend. Aber das es Tim ist, scheint die Lage etwas zu entspannen. Scheinbar ist ihm das lieber, als irgend so ein schmieriger, fetter Vermieter, der jetzt täglich an meiner Tür kratzt.

      Ich sage nichts. Was soll ich auch sagen?

      „Okay, das reicht“, knurrt Erik schwer atmend, als hätte er gerade einen Bus mit bloßen Händen gestoppt. „Ich habe ein echt großes Problem mit dir und wir werden das noch klären müssen. Warte, bis ich dich in die Finger kriege. Mich hat noch nie jemand so zum Kochen gebracht. Du schockst mich in einer Tour.“ Er klingt völlig fertig.

      „Aber ich brauchte doch was, wo ich bleiben kann“, sage ich kleinlaut.

      „Ich habe dir eine Wohnung angeboten, verdammt! Auch kostenlos! Und du hättest dafür mit niemandem ins Bett steigen müssen.“

      Nun muss ich doch auflachen. Aber ich sage lieber nichts. Scheinbar reicht das aber schon.

      „Was soll das jetzt? Glaubst du mir nicht?“, zischt er.

      „Hm … lass mich mal nachdenken.“ Ich kann es mir einfach nicht verkneifen. „Ich habe schon für die zwei Einser in meinen Hausaufgaben den gleichen Preis bezahlt.“

      Irgendwo knallt etwas und ich fahre erschrocken zusammen.

      „Du hast mit mir geschlafen, weil du das wolltest!“, tobt Erik.

      Ich will ihn beruhigen. „Stimmt! Ich habe immer mit dir geschlafen, weil ich das wollte. Du bringst mich halt immer dazu, es zu wollen. Aber damit ist jetzt Schluss.“ Nun bin ich es, die völlig fertig klingt. „Und du solltest einfach zufrieden sein. Du hast ganz klar eine Begabung. Immerhin wusstest du, dass ich Marcel und Diego mal verlassen werde. Und zwar wegen dir. Nicht nur - aber auch wegen dir. Und genauso ist es jetzt.“

      Als Erik nach einiger Zeit antwortet, klingt er wieder ruhiger. „Ja, ihr passt nicht zusammen. Marcel hat dich nicht im Griff. Keiner hat dich im Griff. Vielleicht Tim, das weiß ich nicht. Du bist eine Aufgabe, der nicht jeder gewachsen ist. Ich glaube, ich melde mich für weitere Psychologiekurse an, um es mit dir aufnehmen zu können.“

      Seine Worte und die Art, wie er sie mir niedergeschlagen ins Handy raunt, verwirren mich.

      „Nein!“, antworte ich ihm aufrichtig. „Ich bin nur so schrecklich durcheinander und finde meinen Weg nicht. Mehr ist da nicht. Deshalb brauche ich Zeit. Wenn ich wieder klar denken kann, sieht alles anders aus. Ich dachte, dass ich eine klare Linie habe … mit Marcel. Aber Osnabrück, Ellen und du … Ich habe meinen Weg wieder völlig aus dem Blick verloren.“ Dass ich das so zugebe, hätte ich niemals gedacht. Aber Erik bringt mich dazu, Dinge zu sagen, die ich nicht von mir erwarte.

      „Wie ich so oft“, meint er betroffen. „Wir sind ziemlich gleich. Darum brauchen wir uns.“

      Mir stockt der Atem,