Imra Gräfin Sztaray

Aus den letzten Jahren der Kaiserin Elisabeth


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Er entfern f e sich und wir warteten. Wir schritten die Gartenwege auf und nieder, die Zeit verstrich und wir fragten, was nun werden solle. Die Sache begann Ihre Majestät zu amüsieren, mich aber, was sollte ich es leugnen, brachte sie in Verlegenheit. Und es wollte sich noch immer kein Mensch zeigen. Endlich, nach langem Harren, erscheint der Lakai und meldet stotternd, Ihre Exzellenz sei nicht zu Hause. So entfernten wir uns denn erheitert und fest überzeugt, dass man uns hier nicht empfangen habe, und die Kaiserin meinte lachend, dass wir diese kleine Blamage gewiss der Toilettenfrage zu danken hätten. Ihre Exzellenz hatte der unverhoffte Besuch verwirrt und da sie nicht in entsprechender Pracht erscheinen konnte, ließ sie sich lieber verleugnen.

      Und doch, wenn die Gouverneurin gewusst hätte, wie einfach die Kaiserin sich kleidete, sie hätte sie wohl kaum von dannen ziehen lassen, ohne sie gesehen zu haben.

      Ihre Majestät trug immer Schwarz, nur an Kaisers Geburtstag machte sie eine Ausnahme und legte ein lichtes Gewand an. Auch heute war sie in einem eleganten, aber einfachen schwarzen Tuchkleide mit geradkrempigem schwarzem Tüllhut. Jedes ihrer Kleider konnte sie durch Hinaufknöpfen kürzen lassen, um im Gehen nicht gehindert zu sein. Zu dieser Toilette gehörten ein mit Leder gefütterter weißer Sonnenschirm und ein gelber Lederfächer; mit diesem schützte sie ihr Auge vor der Sonne und ihr Antlitz vor den Blicken der Neugierigen.

      Wir planten einen größeren Spaziergang zur Wallfahrtskirche von Notre Dame d'Afrique und bedurften eines guten Führers.

      Als der etwas behäbige, schwerfällig scheinende Mann sich vorstellte, fragten wir ihn, ob er gut zu Fuße sei. "Das wäre nicht übel," antwortete er beleidigt, "wenn ich mit Frauen nicht Schritt halten könnte."

      Mehr bedurfte es nicht — gleich war die Kaiserin zum Scherze bereit. In raschem Tempo schritten wir den von Algier nach Westen und ziemlich steil ansteigenden Berg hinan. Wir genossen eine abwechslungsvolle und, je höher wir klommen, immer ausgedehntere Aussicht auf Meer und Landschaft, Unserem Führer sagte jedoch das Tempo gar nicht zu, immerhin fügte er sich darein. Nach zweieinhalb Stunden erreichten wir die Kirche, damit aber noch lange nicht den Gipfel des Berges.

      Die Kirche ist kein sonderlich gelungener Bau. Umso schöner aber war die Aussicht, die sich uns von da bot. Unmittelbar vor der Kirche steht ein großes weißes Kreuz mit der Aufschrift: "Betet für die im Meere Verdorbenen", und wir beteten aus Herzensgrund und andachtsvoll angesichts des lächelnden Meeres, dieses unbegrenzten Friedhofes. Dann ging es weiter den Berg hinan. Wahrlich, es war ein mörderisches Tempo. Unser Führer pfauchte wie ein Dampfross und schnitt ein Gesicht dazu wie einer, der nun gleich genug von dem Spaß haben wird. Und so geschah es auch; er blieb stehen und erklärte, er sei des weiteren Weges unkundig. Wir mussten also Kehrt machen, um nicht ganz im Stiche gelassen zu werden. Auf dem Heimwege brachte sich der Arme nur mehr stolpernd fort und Bitterkeit und Vorwurf sprachen aus seinem bestaubten Antlitz. Um ihn einigermaßen zu trösten, traten wir, als die Stadt erreicht war, in ein türkisches Kaffeehaus. Da mochte sich der Gute ein wenig laben. Im Kaffeehause, oder vielmehr in der Küche, lagerten die Gäste durcheinander, in eine Wolke von Rauch gehüllt. So oft wir ein solches Lokal betraten, war ich voll Angst und Sorge. Doch dem Wesen der Kaiserin musste ein wunderbarer Zauber innewohnen, denn siehe da: die Lärmenden verstummten, die übrigen zogen sich ehrfurchtsvoll zurück, und solange wir da weilten, herrschte in der kleinen Kaffeeboutique eine Art feierliche Stimmung.

      Und hier erteilte die Kaiserin ihre Aufträge selbst. Zu solchen Zeiten war sie die verkörperte Anmut und Herzlichkeit und die Art, wie sie für die Bedienung dankte, zwang die fremdartige Umgebung fast zur Devotion.

      Trotz aller Bemühungen gelang es aber nicht vollständig, unseren Führer zu versöhnen, und als wir, in unser Hotel gelangt, ihn für den nächsten Tag engagieren wollten, verweigerte er den Dienst; "er sei kein Schnellläufer, um täglich dreißig Kilometer bergan bergab rennen zu können". Das Eingestehen seiner Blamage gefiel der Kaiserin ausnehmend.

      Die Mönche von Kouba besitzen einen berühmten Weinkeller. Eines Tages sandte Ihre Majestät mich und Berzeviczy zur Weinprobe dahin. Sie selbst liebte den Wein nicht, doch pflegte sie in berühmteren Kellereien öfters Einkäufe zu machen und den Wein sodann Erzherzogin Marie Valerie zu senden.

      Heimgekehrt, war ich voll des Lobes über die wunderbare Lage des Klosters, und die Folge davon war eine sechsstündige Fußwanderung. Doch es lohnte der Mühe. Ein prachtvoller schattiger Weg führte dahin, vom flachen Dache des Gebäudes aber bot sich eine unvergleichlich schöne Aussicht auf das Meer, die schöne Ebene und auf das jetzt bis zur Sohle im Schnee prangende Atlasgebirge.

      Ihre Majestät genoss lange und stumm das hinreißende Bild und als der Prior, der der "Gräfin Hohenembs" und ihrer Genossin mit großer Zuvorkommenheit den Führer machte, sich für einen Moment abwandte, flüsterte sie mir zu: "Der sieht diese Herrlichkeit auch nur, wenn er Gelegenheit hat, sie anderen zu zeigen . . . Wahrlich, die frommen Väter wissen diesen Ort gar nicht zu würdigen."

      Auf unserem Gange um das Kloster kamen wir zu einer Schlucht, über die ein Brett quer hingelegt war. Die Kaiserin hatte Angst und erbat sich meine Hilfe. Ich ergriff ihre Hand und führte sie, selbst rückwärts schreitend, über das Brett. Noch heute verstehe ich nicht, dass ich weder Schwindel noch Furcht empfand, während ich doch sonst an Schwindel leide und vor der Tiefe zurückschaudere. Wie froh und glücklich war ich, dass ich ihr nützlich sein konnte und es einen Augenblick gab, da sie meiner bedurfte. —

      Wir hatten kein Glück mit dem Wetter. Es gab kaum einen Tag, an dem uns der Regen nicht durchnässte, trotzdem aber sollten wir nun auch das arabische Stadtviertel besichtigen. Von allen Seiten hieß es, dass dies nur in bewaffneter Begleitung ratsam sei, weil Geld und Leben dort nicht sicher wären. Wir gingen in Begleitung zweier Detektivs und die Sache lief gut ab.

      Dieses unverfälschte arabische Nest mutet eigentümlich und fremdartig an, ist aber durchaus nicht schön; ein wüstes Bild in drückender Luft. Die Gassen sind eher Gässchen und die weißgetünchten, flachdachigen stockhohen Häuser, an denen nur hie und da ein Fenster angebracht ist, gleichen eher Gefängnissen als Wohnstätten. Nur wenn ab und zu eines der verschlossenen niedrigen Tore sich für einen Augenblick öffnet, verraten die vom Hofe herauslachenden Blumenbeete, dass es da drinnen doch ein wenig freundlicher aussieht.

      Die auf den Schwellen lungernden Männer verleihen der Gasse einiges Leben. Sie beschäftigen sich zumeist mit einer Stickerei, oder tun wenigstens dergleichen, denn ich sah sie meist Zigaretten rauchen oder Kaffee schlürfen. Frauen sahen wir nirgends, diese werden hinter den Mauern gehütet. "Ein furchtbares Leben," bemerkte die Kaiserin, "wie bedauere ich diese armen Geschöpfe, ich kann nie genug Freiheit und Luft haben und der Gedanke, dass ich so leben müsste, erfüllt mich mit Schaudern."

      Sie atmete auf, als das arabische Stadtviertel hinter uns lag und vor uns die Kasbah, die befestigte Kaserne des Regimentes Chasseurs d'Afrique. Die Reiter machten eben auf dem Platze ihre Übungen. Mit Vergnügen betrachtete die Kaiserin die mit weißen Burnussen bekleideten, auf feurigen Rossen einher sprengenden stattlichen Soldaten. Sie erkannte sofort den guten Reiter, doch gab es auch welche, die sie mitleidig betrachtete und dabei wohl auch bedauerte, dass das eine oder andere feurige Tier nicht von ihr geritten werde.

      Zu Hause angekommen, führte mich Ihre Majestät in ihre Appartements, um mich wägen zu lassen. Sie fand mein damaliges Gewicht von 62 Kilogramm sehr bedeutend.

      Die Kaiserin wog sich fast täglich, um so ihre Gewichtzunahme zu kontrollieren. Ich sah wiederholt das Journal, das sie darüber führte. Die eingetragenen Zahlen konnten keine bedeutenden Abweichungen aufweisen, dagegen fanden sich umso mehr Randbemerkungen. Ich glaube, dieses Wiegejournal bewahrt viele ihrer Gedanken, weil sie zu diesem durch viele Jahre benützten Buche unbedingtes Vertrauen hatte.

      Der Regen fiel ununterbrochen in Strömen, trotzdem aber, oder vielleicht gerade deshalb, plante die Kaiserin einen großen Ausflug: nach Biskra, an den Rand der großen Wüste. Das wird erst das wahre Afrika sein; dieses hat die alles beleckende Kultur noch nicht verdorben und ihm, gleich Algier, halbeuropäischen Anstrich gegeben. Es wird herrlich sein: auf Kamelrücken Ausflüge in die Oasen zu machen und von den Bäumen die selbstgepflückten Datteln zu essen.

      Unsere