Katrin Bentley

Allein zu zweit


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Kapitel 24

       Kapitel 25

       Kapitel 26

       Kapitel 27

       Kapitel 28

       Kapitel 29

       Kapitel 30

       Kapitel 31

       Das Asperger-Syndrom

       Anstelle eines Nachworts – Gedanken von Gavin, über …

       Dank

       »Menschen mit Asperger-Syndrom führen einen lebenslangen Kampf, um die verwirrende und komplizierte Welt zu verstehen, die voller Doppeldeutigkeiten und irreführender Gespräche ist und deren gesellschaftliche Erwartungen absolut keinen Sinn ergeben. Ihr Kampf ist nicht sichtbar, er beeinträchtigt nicht ihre Intelligenz, aber die Folgen, die diese Störung auf Beziehungen hat, können verheerend sein. Sie treffen auch die Menschen, die mit ihnen leben – ihre Partner, ihre Eltern und ihre Kinder. Es ist eine Familiengeschichte, die Anerkennung und Unterstützung braucht.«

      Maxine Aston

       Anstelle eines Vorworts – ein Brief von Gavin an seine Frau

       Liebe Katrin

       Es gibt so vieles, das ich Dir sagen möchte, aber ich habe Angst, mich falsch auszudrücken; und immer, wenn das passiert, wird es schwierig für mich, auf eine positive Art weiterzukommunizieren. Mich zurückzuziehen, ist dann leichter, als nach Erklärungen zu suchen, für die mir die Worte fehlen.

       Ich weiß nicht, was Glücklichsein ist, aber das Gefühl der Zufriedenheit kenne ich. Ich habe ein Ziel, arbeite darauf hin, und wenn ich Erfolg habe, bin ich zufrieden. Aber wie sehr ich mich auch anstrenge, überschwängliche Freude empfinde ich nie. Lange Zeit dachte ich, dass ich eines Morgens aufwachen würde und ebenso fühlen könnte wie andere Menschen. Heute weiß ich, dass das nie geschehen wird. Meine Andersartigkeit war nicht nur eine Phase. Mein Anderssein – das bin ich. Es könnten tausend Menschen um mich herum sein, und ich wäre trotzdem allein. So gesehen ist alles, was ich bisher mit Dir erleben durfte, ein unglaublich schönes Geschenk. Ich fühle zwar keine emotionalen Höhen und Tiefen, aber dank Dir habe ich viel unternommen und gesehen.

       Du und die Kinder, Ihr seid mir wichtig. Ich versuche, das zu zeigen, indem ich Euch gebe, was ich meiner Meinung nach zu bieten habe: Ich kann Fähigkeiten weitergeben, finanzielle Sicherheit bieten und schöne Ferien planen. Ich versuche auch, andere emotional zu unterstützen, und glaube, das sogar gut zu machen. Aber das Feedback meiner Mitmenschen zeigt mir, dass das nicht der Fall ist. Meine vielen Gedanken und Belehrungen, die ich weitergebe, sind wohl zu verwirrend.

       Die Liebe zu Dir drücke ich in meiner Liebessprache aus und nicht in Deiner. Es ist mir bewusst, dass ich das ändern sollte, aber in dem täglichen Stress ist es schwierig, immer wieder neue Kniffe zu lernen. Trotzdem möchte ich, dass Du ein erfülltes Leben hast und glücklich bist, dass Du Dich geliebt, geschätzt und verstanden fühlst. Ein Leben ohne Dich könnte ich mir nicht vorstellen.

       Gavin

       1

      Um Mitternacht an Silvester 2003 saß ich mutterseelenallein im Garten. Der Abend hatte schön begonnen. Erst gingen wir alle zusammen essen, dann schauten wir uns zu Hause einen Film an. Mittendrin bat ich Gavin, kurz die DVD anzuhalten; als ich nach wenigen Minuten zurückkam, waren alle im Bett. Verblüfft ging ich ins Schlafzimmer, aber Gavin hatte bereits das Licht ausgeknipst. »Was ist denn passiert?«, fragte ich enttäuscht, ich wusste doch, wie sehr sich Marc und Nadia immer auf das gemeinsame Anstoßen freuten. »Die Kinder haben herumgealbert. Als ich sie bat, still zu sein, und sie nicht aufhörten, habe ich sie ins Bett geschickt«, erklärte Gavin und drehte sich weg. Auf meine Frage, ob er denn nicht wenigstens mit mir anstoßen wolle, reagierte er nicht.

      Traurig setzte ich mich draußen auf einen Liegestuhl und hatte wieder einmal niemanden, dem ich ein gutes neues Jahr wünschen konnte. Ich hörte das Gelächter der Nachbarn und dachte sehnsüchtig an all die lustigen Silvesternächte in der Schweiz, die ich einst im Kreis meiner Freunde verbracht hatte. Als nebenan die Sektkorken knallten, stieß ich selbst mit mir an und fragte mich, was das neue Jahr wohl bringen würde.

      Gavin kam mir vor wie eine komplizierte Rechnung, egal wie ich sie anpackte, sie ging einfach nicht auf. Ich wusste einzig und allein, dass er nicht so funktionierte wie andere Menschen. Da ich niemanden zum Reden hatte, griff ich zum Tagebuch und schrieb:

       »Das letzte Jahr war schöner als das davor. Marc geht es wieder besser, und den Autounfall haben wir mit großem Glück mehr oder weniger heil überstanden. Sonst ist aber alles beim Alten, unsere Ehe ist nach wie vor anstrengend, und Gavin macht mir immer mehr Sorgen. Seine Laune wechselt in Sekundenschnelle, während sein Gesichtsausdruck immer gleich bleibt. Er scheint verschiedene Persönlichkeiten zu besitzen. Mal redet er ununterbrochen, dann zieht er sich tagelang zurück. Gesprächen über Gefühle weicht er aus. Manchmal stellt er Fragen wie ›Was ist Glück?‹ oder ›Wie weiß man, dass man jemanden liebt?‹. Er scheint keine Ahnung zu haben, was in ihm vorgeht.

       Wenn er ein Projekt anpackt, erledigt er das mit unglaublicher Exaktheit, was er von mir natürlich auch erwartet, aber mir fehlt leider die Fähigkeit zu einer solchen Präzision. Sein ausgeprägter Perfektionismus benötigt viel Zeit und führt dazu, dass er lieber gar nichts macht als etwas, das seinen Ansprüchen nicht genügt. Größere Projekte stressen ihn enorm, da er oft den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht.

       Abends im Schwimmklub trägt er eine Sonnenbrille, weil ihn das starke Neonlicht stört. Sonnencreme auf der Haut findet er schrecklich, und auch bestimmte Leintücher verträgt Gavin nicht. Kälte macht ihm dagegen nichts aus, er kann selbst bei Eis und Schnee in Shorts herumlaufen. Er weigert sich, mich moralisch zu unterstützen, und zeigt kaum Mitgefühl. Bin ich mal traurig, scheint er verärgert und geht mir aus dem Weg. Der Ausdruck ›Es tut mir leid‹ ist ihm fremd. In all den Jahren hat er sich nie für etwas entschuldigt, der Fehler liegt immer bei andern. Für ihn gibt es nur einen Weg, nämlich seinen. Er allein hat recht, andere Ansichten akzeptiert er nicht.

       In seinem Kopf scheint es genaue Verhaltensregeln zu geben, die er strikt befolgt und deren Einhaltung er auch von uns verlangt. Jede unerwartete Veränderung, jede Abweichung vom Gewohnten stresst ihn. Wollen wir etwas unternehmen, fällt ihm sofort ein, was schieflaufen könnte, deshalb bleiben wir meist zu Hause. Er motiviert oder lobt nie und teilt anderen seine Meinung unverblümt mit.

       Immer wieder bin ich überrascht von seinem erstaunlichen Gedächtnis für Fakten und Zahlen. Noch Jahre später kann er sich genauestens an Preise, Telefon- oder Kontonummern erinnern. Vor kurzem sagte er: ›Ich wünschte, alle Menschen hätten statt Namen Nummern, dann würde ich sie nie vergessen.‹ Beim Tennisspiel behält er jeden Ballwechsel, jeden Aufschlag, jeden Fehler, alle Zwischenstände und Resultate im Kopf. Es ist, als ob er ein Videogerät im Gehirn hätte, das alles aufnimmt und für den späteren