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Forschungsmethoden in der Fremdsprachendidaktik


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so dass sich „[a]us dem Besonderen eines Einzelfalls […] stets noch anderes von allgemeiner Relevanz ableiten [lässt], als nur das, was dem Theoretiker in seinen kategorialen Blick gelangt“ (Fatke 2010: 167). Als Vorteile gelten insbesondere der hohe Grad an Vollständigkeit und die Tiefe der Analyse, die Integration vielfältiger Sichtweisen und Interpretationen sowie die Möglichkeit, dass die Leser/innen im dargestellten Fall ihre Wirklichkeit wiedererkennen und daraus Erkenntnisse gewinnen können (vgl. Nunan/Bailey 2009: 166–167). Wichtig ist daher eine vielschichtige, offene Herangehensweise, wobei die Methodentriangulation zugleich eine relative Gewähr biete, Methodenfehler vergleichend zu erkennen bzw. zu vermeiden (Lamnek 2010: 273). Grundlage der Forschung ist die gezielte Auswahl des Falls bzw. der Fälle (‚typische‘ Fälle vs. gezielt abweichende oder extreme Fälle, vgl. auch Kapitel 4.3). In Studien mit mehreren Fällen folgt der individuellen Auswertung häufig ein FallvergleichFallvergleich mit dem Ziel der Erfassung der überindividuellen Phänomene sowie einer Typisierung (Lamnek 2010: 291–292, zur Typenbildung vgl. auch Kapitel 5.3.5).

      Fallstudien in der Fremdsprachendidaktik

      Auch in der deutschsprachigen Fremdsprachendidaktik erfreut sich der Einsatz von Fallstudien großer Beliebtheit. Neben den vielen Studien zum Zweit- und Fremdsprachenerwerb existiert eine Fülle von kleineren und größeren Untersuchungen, die in der Datenbank des ifs (Informationszentrum Fremdsprachenforschung) als „Fallstudie“ klassifiziert werden. Diese Beliebtheit dürfte nicht nur daran liegen, dass dieses Design eine Möglichkeit darstellt, der Faktorenkomplexion des Lehrens und Lernens von Sprachen gerecht zu werden, sondern vor allem daran, dass „die Einzelfallstudie als elementarer Baustein jeder qualitativen Studie anzusehen ist, denn eine qualitative Befragung von dreißig Personen etwa besteht aus dreißig Einzelfallstudien, die sich der gleichen Erhebungstechnik bedienen und analytisch miteinander verbunden sind“ (Lamnek 2010: 285). Häufig werden auch einzelne Fälle etwa aus einer umfangreicheren (Interview-) Studie vorab veröffentlicht.

      Für die Auswahl eines Beispiels aus der Fremdsprachendidaktik wurde daher ein engeres Verständnis von FallstudieFallstudie zugrunde gelegt: Fallstudie verstanden als eine mehrmethodische Untersuchung unterschiedlicher Konstituenten eines oderer mehrerer komplexer Fälle. Beispiele hierfür sind u.a. die Studien von Biebricher (2008), Bär (2009), Burwitz-Melzer (2003), Freitag-Hild (2010), Grünewald (2006), Kimes-Link (2013), Roters (2012), Peuschel (2012), Schubert (2013), Steininger (2014) und Tesch (2010).

      Grünewald (2006) konzipiert seine Untersuchung zur subjektiv wahrgenommenen Wirkung verschiedener Computeranwendungen im spanischen Anfangsunterricht aufgrund der zugrunde gelegten konstruktivistischen Auffassung von Fremdsprachenlernen (ebda.: 21–53) als Fallstudie. Um den Motivationsverlauf und den selbst eingeschätzten Lernfortschritt von Schüler/innen aus drei neunten Klassen (n=60) zu erheben, verwendet er unterschiedliche Instrumente: Eingangsfragebogen, strukturiertes Lerntagebuch mit Motivationskurven, Abschlussfragebogen und Leitfadeninterviews mit 15 ausgewählten Schüler/innen. Grünewald versteht die Falldarstellung als „Methode“, die bereits mit der Datenaufbereitung und der Fallanalyse beginnt (vgl. ebda.: 167–168). Daher verfolgt die Auswertung der Daten mit Hilfe des Transkriptionsprogramms MAXQDA das Ziel, jeden einzelnen Fall möglichst individuell zu erfassen. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, wurden die Kategorien aus dem Material entwickelt und es wurden zu jedem/jeder Lerner/in zusätzlich zu den Daten aus den Interviews die Daten aus den anderen Untersuchungsinstrumenten mit kodiert. Ausgewählt wurden schließlich sechs Fälle (zu den Auswahlkriterien vgl. ebda.: 151–152), die auf jeweils gut 20 Seiten dargestellt und in einer vergleichenden Synopse zusammengestellt werden. Die in Form von „zusammenfassenden Thesen“ dargestellten Ergebnisse beruhen ausschließlich auf diesen sechs Fällen. In der abschließenden Reflexion kommt Grünewald zu dem Schluss „dass methodisch kontrollierte Einzelfalldarstellung[en] mehr können, als Theorien zu veranschaulichen oder zu überprüfen. Sie können auch mehr als nur Hypothesen für weitere […] Forschung generieren: Sie tragen zur Gewinnung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse und damit letztendlich zur Theoriebildung bei“ (ebda.: 316).

      Die Studie von Rauschert (2014) ist ein Beispiel für ein Design, das FallstudieFallstudie und AktionsforschungAktionsforschung (Abschnitt 3) verknüpft. Ausgehend von dem bisher nur in der Pädagogik bekannten Unterrichtsansatz des Service Learning setzt sich die Arbeit mit der Frage auseinander, wie im Englischunterricht in der gymnasialen Mittelstufe durch Projektarbeit, die fachspezifische Ziele und Inhalte mit sozialem Engagement verbindet, interkulturelle und kommunikative Kompetenzen gefördert werden können. Ausgehend von Byrams Modell (Byram 1997) der interkulturellen kommunikativen Kompetenz und dem Leitgedanken des Service Learning gestaltet die Verfasserin ein Projekt in einer 10. Klasse, in dessen Rahmen die Schüler/innen in Zusammenarbeit mit indischen Schüler/innen ein Magazin zum Thema „Happiness“ erarbeiten und produzieren, dessen Erlös einer indischen Schule zugute kommt. Rauschert diskutiert den „action research cycle“ anhand ihres eigenen Projekts (Rauschert 2014: 161–166). Dabei reflektiert sie ihre eigenen Rollen als Forscherin und Lehrerin und setzt sich mit kritischen Einschätzungen dieses Forschungsansatzes auseinander. Somit wird deutlich, dass die Wahl des forscherischen Vorgehens getragen ist von genauer Kenntnis des Ansatzes in seinen Schwächen und Stärken, von nachvollziehbaren Überlegungen zur Passung von Forschungsthema, Fragestellungen und Methode und von (selbst-)kritischer Reflexion der eigenen Rolle. In den einzelnen Projektphasen werden unterschiedliche Formen der Datenerhebung eingesetzt, zu denen erstens ein Fragebogen im Pretest-Posttest-Format zur Feststellung interkultureller Fähigkeiten, Kenntnisse sowie Einstellungen, zweitens drei Befragungen der beteiligten Schüler/innen in Form von Interviews, drittens eine (simulierte) Pressekonferenz, viertens eine freie Textproduktion (Portfolio) und schließlich eine schriftliche Abschlussbefragung ein Jahr nach dem Projekt zählen. Alle Formen der Datenerhebung werden im Hinblick auf die Gütekriterien empirischer Forschung genau analysiert. Der eingesetzte Fragebogen wurde sowohl mit einer großen Stichprobe pilotiert als auch einem Expertenrating unterworfen.

      4.2.2 Forschungsprogramm Subjektive TheorienForschungsprogramm Subjektive Theorien (FST) (FST)

      Das zentrale Ziel qualitativer Forschung ist die Erhebung der Innen-Innensicht bzw. BinnensichtBinnensicht der Forschungspartner/innen. Dazu gibt es eine Reihe von Konzepten und Zugängen, z.B. die Erforschung von Einstellungen (attitudes), Überzeugungen (beliefs), Wissen (knowledge) oder persönliche Konstrukten (personal constructs) bzw. Konzepten (conceptions). In der deutschsprachigen fremdsprachendidaktischen Forschung wurde der vergleichsweise weit gefasste, integrative Ansatz der „subjektiven Theorien“ besonders populär.

      Hauptvertreterin dieses Ansatzes im deutschsprachigen Raum ist eine Gruppe um Norbert Groeben, die in den 1970er und 80er Jahren das „Forschungsprogramm Subjektive TheorienForschungsprogramm Subjektive Theorien (FST)“ (FST)Forschungsprogramm Subjektive Theorien (FST) (Groeben et al. 1988, s. im Folgenden auch Scheele/Groeben 1998) entwickelte. Dieses theoretisch und methodisch ausgereifte, anspruchsvolle Modell geht von der sog. „Strukturparallelität“ des Denkens aus, d.h. davon, dass Forscher/innen und Forschungspartner/-innen prinzipiell die gleichen Denkstrukturen und -prozesse verwenden, die zum Aufbau von „Subjektiven Theorien“ führen. Damit werden relativ stabile Denkinhalte und -strukturen bezeichnet, die sich auf die eigene Person, auf andere Personen und die übrige Welt beziehen können. Sie können sowohl aus bewussten wie auch aus impliziten, dem Bewusstsein der Personen nicht zugänglichen Kognitionen bestehen und weisen eine zumindest implizite Argumentationsstruktur auf. In Analogie zu wissenschaftlichen Theorien dienen sie u.a. dazu, Situationen zu definieren, Sachverhalte zu erklären, Vorhersagen zu treffen oder Handlungsentwürfe und -empfehlungen zu konstruieren. Im FST wird Subjektiven Theorien zudem eine zumindest potenziell handlungsleitende Funktion zugeschrieben. In der sog. „engen Begriffsexplikation“ werden zwei weitere Anforderungen an Subjektive Theorien gestellt: Sie müssen im „Dialog-Konsens“ zwischen Forscher/in und Forschungspartner/in rekonstruierbar sein, d.h. es soll durch eine nachträgliche kommunikative Validierung sichergestellt werden, dass die erhobene Subjektive Theorie adäquat verstanden und rekonstruiert worden ist. Zudem soll durch eine „explanative“ oder Handlungsvalidierung festgestellt werden, ob die rekonstruierte subjektive Theorie auch tatsächlich