Andrea Ross

Himmel (jetzt reicht's aber)


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nicht ebenfalls derart bescheuert benommen hatte. Die Antwort auf Mühlensteins Frage ersparte er sich, denn bei derartig oberflächlichem Small-Talk wäre sie ohnehin nicht erwünscht gewesen.

      Mühlenstein schleimte munter weiter, während er selbstgefällig seine Krawatte glatt strich. »Darf ich Ihnen etwas anbieten? Wollen Sie die Kombination direkt eingeben, während ich Ihnen über die Schulter blicke, oder möchten Sie diese lieber gleich für uns aufschreiben?« Schon lag ein eleganter Schreibblock aus handgeschöpftem Papier vor Stephen, auf welchem ein luxuriöser Waterman-Füllfederhalter prangte. Bestimmt stammte dieser noch aus dem Fundus seines Vaters, der stets größten Wert auf Statussymbole aller Art gelegt hatte.

      Stephen holte Luft. »Nun mal nicht so schnell! Aufschreiben werde ich überhaupt nichts, denn ich bin bei dieser Firma nicht beschäftigt; somit habe ich rechtlich auch keinerlei Verpflichtungen ihr gegenüber. Alles, was ich tun oder auch nicht tun werde, erfolgt aus freien Stücken. Soviel ich weiß, sind Sie derzeit sowieso nur kommissarisch eingesetzt, richtig?«

      Mühlensteins Miene hatte sich deutlich verfinstert. Verschwunden war nun das krampfhafte Lächeln; das Gesicht, welches er jetzt zur Schau stellte, spiegelte jedoch wenigstens seine ehrlichen Empfindungen wider – seine Mimik ließ keinen Zweifel daran entstehen, dass er seinen jungen Gesprächspartner geradewegs zum Teufel wünschte. Dennoch behielt er seine Reaktionen weitgehend im Griff, zwang sich weiterhin zu einem relativ freundlichen Tonfall.

      »Herr McLaman, lassen wir doch bitte diese albernen Spielchen! Wir sind hier schließlich nicht im Kindergarten und Sie sollten das Andenken Ihres Vaters ehren, meinen Sie nicht? Die Firma muss reibungslos weiterlaufen, gerade auch im finanziellen Interesse Ihrer Mutter, nicht wahr? Sie wissen ja sicherlich, wie viele Aktien Ihre Familie hält! Man wird mich aller Wahrscheinlichkeit nach auf meinem Posten bestätigen, das ist im Grunde nur noch eine Formsache. Es wäre nicht sehr klug von Ihnen, mir mit voller Absicht Steine in den Weg zu legen!«

      Volker K. Mühlenstein saß nun nicht mehr in betont lässiger Haltung hinter dem »Kommandostand«, wie Vaters riesiger Schreibtisch hinter vorgehaltener Hand von den Bediensteten allzu gerne genannt wurde. Vielmehr tigerte er angespannt hin und her, behielt Stephen dabei im Blick, als handele es sich um ein gefährliches Raubtier.

      Stephen freute sich diebisch, dass es ihm augenscheinlich gelungen war, diesen Möchtegern-Chef ziemlich aus der Fassung zu bringen. »Nein, es liegt mir selbstverständlich fern, unserem einstigen Familienunternehmen Schaden zuzufügen. Genau deshalb würde ich das weitere Schicksal der Firma gerne weiterhin aus der Nähe beobachten und in guten Händen wissen. Wie Sie schon sagten – auch und nicht zuletzt im Interesse meiner Mutter.«

      Mühlenstein rang sichtbar um Fassung, lockerte nervös seinen Krawattenknoten. »Was soll das, Stephen? Wollen Sie mich um einen Job ersuchen, mich erpressen, oder was sonst genau führen Sie im Schilde? Ich sage Ihnen gleich, dass …!«

      Stephen fiel ihm ins Wort. »Moment mal! Erstens wollen aktuell SIE etwas von MIR, schon vergessen? Da werde ich doch wohl über eine kleine Gegenleistung nachdenken dürfen. Zweitens kommen Sie um mich sowieso nicht herum. Mein Vater hatte kurz vor seinem Tod die Absicht, mich einzustellen, und Sie als sein Stellvertreter dürften hierüber informiert sein. Nur für den Fall meiner Absage wäre Simon Jansen für die offene Stelle infrage gekommen.« Er lehnte sich zufrieden zurück und wartete auf den emotionalen Vulkanausbruch.

      Draußen schien ein solcher soeben bereits stattgefunden zu haben; es war deutlich die hysterisch hohe Stimme Annika Huglers zu vernehmen. »Super«, dachte Steve anerkennend. »Gutes Timing, Mama.« Er wartete deshalb nicht ab, bis Mühlenstein zu einer Erwiderung fähig war und legte sofort nach:

      »Bevor Sie etwas dazu äußern – das war noch nicht alles an Bedingungen, die ich an die heutige Öffnung des Safes knüpfe! Also: Sie stellen mich als Projektleiter für die Programmierabteilung ein, sobald mein Vertrag mit der I-COMP GmbH ausgelaufen sein wird. Die Papiere hierzu unterzeichnen wir noch heute. Was die persönlichen Besitztümer meines Vaters aus diesem Büro angeht

      – die können Sie praktischerweise gleich in MEIN Büro schaffen lassen. Einschließlich dieses Fotos dort hinten.«

      Stephen zeigte auf die gerahmte Fotografie, welche die Firmenbelegschaft der LAMANTEC zur Zeit des Börsengangs des Unternehmens abbildete; auf diesem Foto war auch Mirjam Krahler, Thomas‘ einstige Sekretärin, zu sehen, die gleichzeitig Lenas Mutter war. Jetzt, im Jahre 2004, galt sie noch für jedermann als verschollen, war nach ihrem plötzlichen Verschwinden schließlich mangels anderer Erkenntnisse für tot erklärt worden. Einzig Stephen wusste dank seiner parallelen Existenzen, dass sie putzmunter mit falschem Pass in der tschechischen Hauptstadt lebte.

      Stephen nahm seinen Blick von der Fotografie, fixierte wieder Volker Mühlenstein und fuhr fort. »So ehren wir dann gleichzeitig das Andenken meines Vaters, woran Ihnen ja dankenswerterweise anscheinend viel zu liegen scheint. Simon Jansen wird trotzdem zusätzlich als Programmierer eingestellt, denn mit ihm kann ich mir eine sehr gute Zusammenarbeit vorstellen; er wird gleichzeitig mein Stellvertreter. Wir haben viel vor, daher kann ich von Anfang an eine Verstärkung meines Teams gut gebrauchen.«

      Die Frauenstimme aus dem Vorzimmer referierte noch lauter und Volker Mühlenstein blickte bereits missbilligend in Richtung der Türe. Stephen bemerkte das mit unverhohlener Freude.

      »Und außerdem werden Sie eine neue Chefsekretärin benötigen, diese Hugler können Sie vergessen. Die arbeitet sowieso nicht effektiv, außer beim Spinnen von Intrigen. Ihre Nachfolgerin habe ich heute gleich mitgebracht; es handelt sich um meine Mutter Kirstie McLaman, die vor Jahren diesen Posten schon einmal innehatte. Auch ihre Verträge werden gleich im Anschluss unterzeichnet, wobei sie selbst entscheiden kann, wann sie zu uns wechseln möchte.«

      Steve schlug lässig die Beine übereinander und schickte ein verschwörerisches Augenzwinkern in Richtung des hypernervösen Volker K. Mühlenstein. »Nach alledem können wir meinetwegen diesen Safe öffnen und Ihre angeschlagenen Nerven beruhigen. Dann haben Sie als Gegenleistung wenigstens die reelle Chance auf den Posten als Vorstandsvorsitzender und General Manager.«

      Mühlenstein explodierte nicht. Er fräste lediglich mit stahlhartem Blick ein imaginäres Loch in die dezent grau gestrichene Wand hinter dem »Kommandostand«. Anscheinend zeigten die vielen Seminare für Führungspersonen, die ihm die LAMANTEC AG hatte angedeihen lassen, eine sehr gute Wirkung. Vielleicht fehlte ihm auch nur das schottisch-irische Temperament, welches bei Mitgliedern der Familie McLaman hin und wieder zu ungewollt emotionalen Ausbrüchen führte, überlegte Stephen.

      »Sie meinen also, dies sei eine Sache auf Gegenseitigkeit, ja?«

      »Genau das meine ich. Eine Win-Win-Situation für Sie, meine Mutter und auch für mich. Vor allem aber für die LAMANTEC AG, deren Überleben mir mehr am Herzen liegt, als mein Vater jemals ahnte.« Stephen lächelte und fügte in Gedanken hinzu:

      »Jedenfalls nicht in diesem Leben und nicht im Jahre 2004.« Volker K. Mühlenstein seufzte und strich eine seiner mit Gel behandelten Haarsträhnen zurück an ihren Platz. »Ich muss Ihr

      … na, sagen wir: Angebot … kurz überdenken. Bitte warten Sie einen Moment draußen, Annika soll Ihnen und Ihrer Mutter einstweilen eine Tasse Kaffee machen.«

      Als er den Raum nach einer genickten Zustimmung verließ, wusste Stephen McLaman bereits, dass er dieses Duell gewonnen hatte. Es war ihm gelungen, seine Erpressung so aussehen zu lassen, als handele es sich um einen notwendigen Deal. Natürlich war Mühlenstein nicht von gestern, er hatte diese Finte sehr wohl bemerkt. Dennoch blieb ihm unglücklicherweise keine andere Wahl, sofern er an seinem neuen Posten hing und auf der bevorstehenden Aufsichtsratssitzung nicht wie ein desinformierter Idiot dastehen wollte. Stephen hatte ihm diese unangenehme Tatsache auf eine äußerst intelligente Weise untergeschoben, welche ihm nun kaum eine alternative Möglichkeit des Handelns übrig ließ; der Vorschlag gab Mühlenstein allerdings fairerweise gleichzeitig die Chance, dem vorgeschlagenen Kuhhandel zuzustimmen, ohne dabei komplett sein Gesicht zu verlieren.

      Die Lebenserfahrung aus zwei verschiedenen Vorleben schien sich eben doch manchmal auszuzahlen, musste Stephen vor sich selbst widerstrebend