Melanie Lane

Von Blut & Magie


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weiß wirklich nicht …«

      »Ich warte«, unterbrach er mich sanft und griff nach meiner Hand. Ich versteifte mich automatisch. Ein zutiefst verletzter Ausdruck trat in Todds braune Augen. »Wir kennen uns seit über fünf Jahren, Lilly. Wovor hast du Angst?«

      Angst hatte ich keine. Desinteresse wohl eher. Da ich aber an meinem Job hing und nicht in der Stimmung war, Todd meine Gefühlswelt näher zu erläutern, schenkte ich ihm ein Lächeln.

      »Können wir da vielleicht ein anderes Mal drüber reden?« Eine feige Ausrede. »Bitte?«

      Todd nickte brüsk und ließ meine Hand endlich wieder los. »Ein anderes Mal«, bestätigte er.

      »Bald!«

      Nie hätte ich lieber sagen wollen. Für heute aber reichte es mir, wenn ich Feierabend machen und endlich nach Hause gehen konnte. Nach dem Tod meiner Mutter hatte ich unsere große Altbauwohnung verkauft und war in ein süßes, kleines Loft-Studio gezogen. Ein Zimmer nur für mich alleine. Ich brauchte keine vier Zimmer, wenn ich doch nur alleine war. Und es war okay. Ich hatte meinen Frieden damit gemacht. Zumindest sagte ich mir das täglich, wenn ich meine Wohnung aufschloss, um es mir vor dem Fernseher gemütlich zu machen. Oder ein heißes Bad zu nehmen. Alleine. Es war okay. Da ich keine Geschwister oder andere lebende Verwandte hatte, war Annabelles Besitz komplett auf mich übergegangen. Eine hübsche Summe hatte meine Mutter auf der hohen Kante gehabt. Ich hätte das Geld zwar sofort eingetauscht, um sie wieder zurückzubekommen, aber da das unmöglich war, machte mir das kleine Vermögen mein Leben immerhin ein wenig leichter. Die Hintertür wurde erneut geöffnet und Marco lugte hindurch.

      »Es ist angerichtet, guapa. Komm rein und iss.« Er warf unserem Boss einen bedeutungsschweren Blick zu. »Und Todd?«

      »Ja?«

      »Du solltest Susie helfen.«

      Mit einem unterdrückten Fluchen wandte Todd sich von mir ab und stakste zurück ins Café.

      »Susie helfen?«

      Marco erwiderte mein Grinsen. »Jemand musste dich doch vor ihm retten.«

      Seufzend ergriff ich seine ausgestreckte Hand und ließ mich von ihm in die Küche ziehen. Liebevoll hatte er einen kleinen Tisch in der Ecke gedeckt. Eine große Portion Pasta und ein noch größeres Glas Wein warteten bereits auf mich.

      »Das sieht himmlisch aus, Marco!« Plötzlich wie ausgehungert setzte ich mich und griff beherzt nach der Gabel. »Und Todd ist einer von den Guten«, fügte ich hinzu. Ich wollte nicht, dass Marco einen falschen Eindruck von ihm bekam. Mein Boss war in den letzten fünf Jahren wirklich gut zu mir gewesen und er hatte mir viel durchgehen lassen.

      »Dennoch muss er verstehen, dass ein no, ist ein no. No?« Tja, wenn man es so betrachtete.

      »Vermutlich«, gestand ich und machte mich dann über meinen Teller Pasta her. Genug jetzt mit dem Männer Drama. Ich würde mir dieses Festmahl nicht kaputt machen lassen. Ob dieser Nick noch im Café wartete? Ich konnte es mir nicht vorstellen. Wahrscheinlich war er geflüchtet, nachdem er, beabsichtigt oder unbeabsichtigt, eine solch verwirrende Reaktion in mir hervorgerufen hatte. Leise seufzend trank ich einen großen Schluck Rotwein, und begann mich zu entspannen. Ich würde das Café heute jedenfalls nicht mehr betreten, denn entweder hatte der Fremde tatsächlich etwas Merkwürdiges von mir gewollt oder ich hatte mich komplett zum Affen gemacht. So oder so würde ich nach diesem kleinen Festmahl nach Hause gehen und diesen Tag einfach hinter mir lassen.

      Eine knappe Stunde später stand ich, mit zwei Flaschen Rotwein bewaffnet, in meinem Hausflur und kramte in den tiefen meiner Tasche nach dem Schlüssel. Da ich im fünften Stock wohnte, hatte ich niemanden mehr über oder neben mir. Die letzten Stufen des Hausflurs führten lediglich zu meiner Wohnungstür unter dem Dach. Und genauso liebte ich es. Die Flaschen in meinem Arm klirrten gefährlich, als ich aufschloss und meine Wohnung betrat. Der Schlüssel landete automatisch auf einer kleinen Konsole neben dem Eingang. Ich schloss die Tür mit der Hüfte und stellte die beiden Flaschen auf dem dunklen Tresen meiner offenen Wohnküche ab. Das Loft und ich? Es war Liebe auf den ersten Blick gewesen. Ich ging zum großen, antiken Schrank links von meinem Bett, um mir etwas Bequemes anzuziehen. Die übliche schwarze Yogahose und der graue, weiche Oversize Sweater meiner Mom lagen schon griffbereit ganz oben auf dem Haufen frischer Wäsche, die ich vorgestern lustlos in den Schrank gestopft hatte. Ich schlenderte ins Bad, wusch mir das Gesicht und befand mich drei Schritte weiter zurück in meiner Küche. Die Wohnung mochte klein sein, aber sie war optimal geschnitten. Die offene Wohnküche, das kleine Badezimmer mit Wanne sowie mein Bett und der Kleiderschrank, ein Erbstück unserer Familie, waren alles, was ich brauchte. Das, und mein bequemes, graues Lümmel-Sofa mit den hübschen blauen Kissen. In der Mitte zwischen Bett und Sofa stand ein kleiner Tisch mit Fernseher. Mittlerweile entspannt und wieder mehr ich selbst, griff ich nach der ersten Flasche Wein auf dem Tresen. Mit einem lauten Plopp, das wie Musik in meinen Ohren klang, entkorkte ich die Flasche und schenkte mir ein großzügiges Glas ein. Es war nicht so, dass ich regelmäßig trank. Da ich, was Alkohol anging, einen seltsamen Stoffwechsel hatte, hatten Partys und Clubs noch nie einen großen Reiz auf mich ausgeübt.

      Auf unserer letzten Weihnachtsfeier waren sowohl Todd und Marco als auch Susie feucht fröhlich nach Hause gegangen. Ich jedoch hatte nach vier Gläsern Wein und zwei Gin Tonic so gut wie nichts gemerkt. Also hatte ich es aufgegeben. Lediglich Rotwein war als absolute Schwäche geblieben, denn ich liebte den Geschmack. Und es hatte etwas von Gemütlichkeit und Geselligkeit, sich mit einem Glas Wein vor den Kamin oder den Fernseher zu setzen. Oder stundenlang in der Küche zu quatschen. Annabelle und ich hatten das ab und an getan, als ich alt genug geworden war. Meine Mutter hatte ihren süßen Weißwein geliebt, aber auch sie war stets bei klarem Verstand geblieben. Es hat etwas mit unseren Enzymen zu tun, hatte sie mir einst erklärt. Alle Frauen in unserer Familie hatten dieses Enzym, das den Alkohol quasi neutralisierte. Zugegeben, es hörte sich ein wenig seltsam an, aber ich hatte nicht weiter nachgefragt. Irgendeine chemische Erklärung gab es bestimmt, sie interessierte mich nur nicht. Und ändern konnte ich es sowieso nicht. Also hatte ich diese Information mit dem Wissen abgespeichert, dass ich äußerst trinkfest war.

      Nicht mal zehn Minuten später hatte ich mich mit meinem Glas unter die Decke auf dem Sofa gekuschelt und scrollte mich durch Netflix. Was sollte ich gucken? Wie so oft blieb ich bei Supernatural hängen. Selbst Mom hatte die Serie geliebt. Sam und Dean gegen den Rest der Welt. So hatte ich Annabelle und mich auch manchmal empfunden. Sie war keine klassische Mutter gewesen, so viel stand fest. Ich hatte nie feste Regeln auferlegt bekommen oder war bestraft worden. Sie war da gewesen, wir hatten über alles reden können, aber eigentlich hatte jeder sein eigenes Leben gelebt. Ihren Erziehungsstil hätte man wohl am ehesten als antiautoritär bezeichnen können. Sehr Anti.

      Grinsend trank ich einen Schluck Wein. Manchmal waren wir eher Mitbewohner als Mutter und Tochter gewesen. Besonders, als ich ein Teenager wurde. Die anderen Kids hatten mich immer um meine schöne, aufregende Mutter beneidet. Es hatte jedoch Zeiten gegeben, in denen ich sie beneidet hatte. Mit Sechzehn jeden Abend in eine leere Wohnung zu kommen und sich selbst versorgen zu müssen, war nicht so cool gewesen, wie es sich vielleicht anhörte. Dennoch war unsere Beziehung auf eine ganz eigene Art sehr innig gewesen. Sie hatte mich geliebt, das wusste ich. Und dann war sie gestorben und hatte mich zurückgelassen. Hier war ich nun. Alleine, aber glücklich. Obwohl, wenn ich ehrlich zu mir selbst war, war glücklich vielleicht nicht das richtige Adjektiv, um meinen Ist-Zustand zu beschreiben. Zufrieden traf es eher.

      Die Worte des Fremden kamen mir erneut ins Gedächtnis. Was, wenn ich dir eine Familie geben könnte? Und wie hätte er das bitte anstellen wollen? Auf die traditionelle Art in der Horizontalen oder hatte er vielleicht etwas ganz anderes gemeint? In diesem Moment riss mein Fernseher mich aus meinen Gedanken. Meine Unentschlossenheit wurde mit der dritten Folge der sechsten Staffel Supernatural belohnt. So wurde mir diese Entscheidung wenigstens abgenommen. Am Ende wäre ich wahrscheinlich eh wieder genau dort gelandet. In den Tiefen meines Herzens war ich ein Gewohnheitstier. Drei Stunden und eineinhalb Flaschen Wein später fielen mir langsam, aber sicher die Augen zu. Eine Weile versuchte ich noch gegen den Schlaf