Melanie Lane

Von Blut & Magie


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Mutter, nicht wahr?«

      »Annabelle, ja. Sie starb vor zwei Jahren. Ein betrunkener Autofahrer hat sie auf dem Rückweg vom Flughafen erwischt.« Was er sicherlich schon wusste, dennoch tat es gut, die Tatsache auszusprechen. Es gehörte zum Heilungsprozess, die Wunde ab und an wieder aufzureißen, damit sie gleichmäßiger zusammenwachsen konnte.

      »Ich nehme nicht an, dass sie wusste, wer dein … wer unser Vater wirklich war«, gab ich zu bedenken.

      Nick schüttelte den Kopf und lehnte sich lässig an den Tresen.

      »Nein. Vor ein paar Jahren erzählte er mir von ihr, als klar wurde, dass ich nicht der Thronerbe war, den er gerne in mir sehen wollte.«

      »Hm.« Ich gab ein unbestimmtes Geräusch von mir. Das klang nicht gut. Es klang eher nach einer Menge unverarbeitetem Ballast. Aber wer war ich zu urteilen?

      »Er erzählte mir von einer wunderschönen Frau, einer Sterblichen, die ihn in der Welt der Menschen verzaubert hatte mit ihrer charismatischen, starken Art.«

      Oh ja, das klang nach meiner Mutter.

      »Ich glaube, er hätte sich gewünscht, dass sie unsterblich gewesen wäre.«

      »Und deine Mutter?« Ein Schatten legte sich über Nicks Gesicht.

      »Sie starb bei meiner Geburt.« Ah, verdammt.

      »Das tut mir sehr leid, Nick.« Das machte uns zu Waisen, dachte ich. Unsterblichkeit hin oder her, sowohl seine als auch meine Eltern waren tot. Aber ich hatte einen Bruder, so fantastisch das auch klang.

      »Hast du … ich meine, haben wir noch mehr lebende Verwandte?« Nick schüttelte den Kopf.

      »Nein. Es gibt nur noch dich und mich.«

      Gedankenverloren ließ er sein Weinglas kreisen und beobachtete die dunkelrote Flüssigkeit darin. »Wir hatten eine Tante, vor weit über zweihundert Jahren …«

      Zweihundert Jahre? Ich würde nicht ausflippen!

      »… aber ich habe sie nie kennengelernt und der Rest unserer Familie starb noch vor ihr.«

      Welch deprimierender Gedanke. Von einer anscheinend mächtigen, unsterblichen Familie waren nur noch er und ich übrig.

      »Wie sind sie gestorben?«, fragte ich neugierig. »Ich meine mit der Unsterblichkeit und so …«

      Nick seufzte leise und hörte auf, mit seinem Weinglas zu spielen.

      »Die meisten von ihnen wurden Opfer von Anschlägen. Den Namen Callahan zu tragen, macht uns automatisch zur Zielscheibe. In den Augen der falschen Leute«, fügte er rasch hinzu.

      Als hätte ich verstanden, was er mir da soeben erzählt hatte, nickte ich und lehnte mich auf meinem Hocker zurück.

      »Erklär mir das mit den Engeln«, bat ich leise.

      Ich begann zu akzeptieren, dass der Mann vor mir mein Bruder war. Es klang verrückt ja, aber ich fühlte es in der tiefe meines Herzens. Was auch immer diese kleinen Flammen ausgelöst hatten, sie hatten Nick und mich miteinander verbunden. Und dieses Gefühl konnte ich nicht einfach ignorieren.

      »Unsere Welt, unser Universum, wenn du so willst, heißt in der modernen Sprache der Menschen grob übersetzt sowas wie ›Anderswelt‹«, begann er. »Der Name wurde zunächst von den jüngeren Unsterblichen benutzt und hat sich in den letzten Jahrzehnten etabliert.« Er zuckte lässig mit den Schultern. »Ist auch einfacher, bei all den verschiedenen Sprachen und Dialekten. Innerhalb dieses Universums existieren verschiedene Welten, erreichbar und verbunden durch magische Portale. Unsere Heimat heißt Alliandoan, die Welt der Engel.«

      Okay, wow … das war … wow. Das waren zu viele Informationen auf einmal, also konzentrierte ich mich zunächst auf ein Thema. »Wie könnt ihr euch dann verständigen, bei all den Sprachen?«

      Nick zuckte lässig mit den Schultern. »Magie«, erwiderte er schlicht. »Die meisten der älteren Unsterblichen haben die verschiedenen Sprachen erlernt, aber die jüngeren Unsterblichen benutzen Runensteine zum Übersetzen. Entweder trägt man sie bei sich oder man bekommt sie wie ich, hm …«, er überlegte kurz, »implantiert wäre wohl das treffendste Wort.«

      »Dir hat jemand einen Stein unter die Haut gesetzt?«

      »Einen Zauber, keinen Stein.« Ah, ja. Okay.

      »Aber auch das kann ich dir zu gegebener Zeit näher erklären. Arcadia«, fuhr er fort, »ist die Hauptstadt von Alliandoan. Dort wohnen wir. Oder zumindest steht dort unser Palast.«

      »Unser Palast?« Mein Kopf rauchte schon jetzt, dabei vermutete ich, dass Nick noch nicht mal richtig angefangen hatte.

      »Der Callahan Palast«, bestätigte er und trank einen Schluck Wein.

      »Jede Welt hat eine Hauptstadt und einen Regenten, ähnlich zu dieser Welt nehme ich an. Die einzelnen Welten werden seit jeher aristokratisch geführt. In unserem Universum sind Prinzessinnen und Prinzen oder gar Königinnen oder Könige nichts Ungewöhnliches, Lilly. Aber damals … da waren die Monarchien eher repräsentativ. Sie waren beschränkt. Es gab Gerichte, Verfassungen, Gesetze … vieles davon existiert so heute nicht mehr. Nach dem, was wir in unserer Welt als den Clash bezeichnen, haben sich die Regeln geändert. Und unser Vater hat sich als alleiniger Herrscher der Anderswelt etabliert. Die Engel sind, hm, die regierende Spezies, wenn du so willst. Wir genießen das höchste Ansehen und wir haben das letzte Wort.«

      Irgendwann also, vor langer Zeit, waren diese fremden Welten demokratisch gewesen und unser Vater hatte eine absolute Monarchie daraus gemacht? Ich wusste nicht, wie ich das finden sollte.

      »Erklär mir das genauer«, bat ich Nick daher. »Der Clash«, fuhr er fort, »war ein Kampf der Welten. Die Unseelie, aus ihrer eigenen Welt verstoßene, bösartige Feenwesen kämpften gegen uns und ein paar der anderen Welten. Sie hatten ihre Angriffe Jahrzehnte vorbereitet und sich Hilfe aus Abbadon geholt, um uns alle gleichzeitig angreifen zu können. Der Kampf selbst dauerte Jahrzehnte und löschte große Teile der Anderswelt aus. Die Engel, unser Vater, um genau zu sein, beendeten das Abschlachten, bevor die letzten unangetasteten Welten auch noch fallen konnten.«

      »Genießen die Engel daher so ein hohes Ansehen?«

      Eine kleine Ader an Nicks linkem Auge zuckte bei dem Wort Ansehen verdächtig. »Wir werden respektiert, ja.«

      Respektiert zu werden, war bei Weitem nicht dasselbe, wie gemocht zu werden.

      »Wie viele Welten gibt es?«

      »Früher?« Nick seufzte. »Wahrscheinlich unendlich viele, bedenkt man noch unbekannte oder in Ruhe gelassene Parallelwelten. In den Überlieferungen ist von mindestens dreißig bekannten Welten die Rede, aber die Zahlen schwanken. Heutzutage gibt es sieben, deren Grenzen und Portale in Takt sind und deren Völker in Frieden leben.«

      Sieben nur noch. Beunruhigt schaute ich zu ihm auf. »Alle anderen Welten sind … tot? Und die Menschen, ich meine Wesen …?« Nick lächelte mich an. »Wir selbst bezeichnen uns als Unsterbliche. Einige der Unsterblichen aus den verlorenen Welten suchten Zuflucht in anderen Welten.«

      »Und sie wurden aufgenommen?«

      »Mehr oder weniger«, murmelte er leise und ich bekam das Gefühl, dass mehr an der Geschichte dran war, als er aktuell preisgeben wollte.

      »Okay«, nickte ich, »das habe ich soweit verstanden. Erzähl mir mehr von den Welten.«

      »Einer der Minister aus Arcadia könnte dir dabei sicherlich besser weiterhelfen, aber ich gebe mein Bestes.«

      Er trat um den Tresen herum und setzte sich auf einen der Hocker neben mir. Mittlerweile war es dunkel geworden und die Küche wurde nur noch von ein paar wenigen Kerzen erhellt. Nick, der meinen Blick schon wieder richtig gedeutet hatte, wedelte nonchalant mit seiner freien Hand und entzündete damit die restlichen Kerzen auf dem Fenstersims.

      »Whoa!«

      Lachend stieß