Tommy Krappweis

Mara und der Feuerbringer


Скачать книгу

sauer auf Loki und vielleicht war es gar keine so gute Idee, ihm von ihrem Treffen mit dem Halbgott zu erzählen …

      Aber wie es schien, hatte Balder etwas mit Loki gemeinsam. Er hatte hier unten im Totenreich die Jahrhunderte überdauert, ganz genauso wie sein Widersacher Loki in der Höhle am Rande der Zeit! War Balder vielleicht sogar Maras geheimnisvoller Auftraggeber und schützte sie deswegen vor der Hel?

      Mara schob ihre Gedanken beiseite. Sie musste sich konzentrieren und weiter zuhören. Denn schließlich diskutierte man gerade ihr Überleben.

      »Ja, es stimmt, einer der Asen bist du und immer noch mächtig«, sprach die Todesgöttin gerade. »Und doch bewegt deine Macht jenseits dieser Aschehügel nicht mehr als ein letztes Lüftchen aus dem Arsch eines sterbenden Greises.«

      Mara musste unwillkürlich an die Jungs in ihrer Klasse denken, die immer sofort loskicherten, wenn irgendwas auch nur entfernt nach »Pipikacka« klang. Allerdings bezweifelte sie sehr, dass sie auch hier gelacht hätten.

      »Ich weiß, dass ich hier nicht viel vermag, verehrte Hel, und dankbar bin ich für deine Gastfreundschaft«, erwiderte Balder und lächelte.

      Mara wusste nicht, ob er das ernst meinte. Zumindest hatte er nicht ironisch geklungen.

      Da wendete sich der leuchtende Gott an Mara und fragte mit seiner samtweichen Stimme: »Also, sprich selbst, Kind. Wer bist du und wie kamst du hierher?«

      Mara war ein wenig davon überrumpelt, dass nun nicht mehr über sie, sondern mit ihr gesprochen wurde, hatte sich aber schnell wieder im Griff. »Mein Name ist Mara Lorbeer und ich bin eine Spákona. Lok… lockerer nennt man mich auch gerne Litilvölva.«

      Sie hatte sich gerade entschieden, dass es vielleicht doch eine saudumme Idee war, in Balders Gegenwart von Loki zu sprechen. Der Gott hatte wohl nichts bemerkt, verzog keine Miene und wartete darauf, dass sie weitersprach.

      »Ähm, ich weiß nicht genau, wie ich hierherkam. Auf jeden Fall war ich gerade eben noch in einem milchig weißen Nichts irgendwo da oben. Ich wollte weg, aber es klappte nicht. Dann hat mich irgendwas plötzlich hinuntergezogen und darum bin ich da drüben gelandet, wo man noch meinen Abdruck sieht.« Mara hatte absichtlich verschwiegen, dass irgendwo da oben noch andere im Nebeldings hingen. Man konnte ja nie wissen.

      Balder nickte Mara überraschend freundlich zu und drehte sich dann lächelnd um zur Hel. »Siehst du, meine teure Aschekönigin? Das ist des Rätsels Lösung. Sie ist eine kleine Völva und darum konnte sie sehen in den weißen Nebeln. Zudem kennt sie noch ihren Namen, hat also auch ihr Leben nicht zurückgelassen in den Hvitmyrkr.«

      Dieses seltsame Wort klang für Mara wie ein Schreibfehler, aber sie konnte sich zusammenreimen, dass damit wohl das seltsame weiße Nichts gemeint war.

      Die Todesgöttin hatte nicht geantwortet. Ihr ausdrucksstarkes Schweigen gefiel Mara allerdings noch weniger.

      Dafür trat Balder jetzt ganz nah an die Hel heran. »Du kennst die Regeln, Herrin der Asche. Jeder Sterbliche ist dein, den der Strohtod ereilt. Und jeder auf dem Feld Gefallene ist ebenfalls dein, wenn die valkyrjar ihn nicht wählen für Odins Heer. Was jedoch nicht dein ist, sind die Lebenden.«

      Gespannt wartete Mara, was die Todesgöttin sagen würde. Womit sie nicht gerechnet hatte, war, dass die Hel so plötzlich neben ihr stand, als wäre sie die ganze Zeit nirgendwo anders gewesen. Bevor Mara irgendetwas tun konnte, hatte die Todesgöttin schon ihren Arm gepackt und die Handfläche grob nach oben gedreht. Fast gleichzeitig spürte Mara einen brennenden Schmerz und starrte schockiert auf eine tiefe, ringförmige Wunde an ihrem Unterarm. Blut quoll daraus hervor und sie biss die Zähne zusammen, um nicht zu schreien. Diesen Triumph wollte sie der Hel auf keinen Fall gönnen.

      »Das Mal Draupnirs«, hörte sie den Lichtgott sagen.

      Auch er stand nun neben ihr und blickte auf die Wunde. Ohne ein weiteres Wort ergriff auch er Maras Arm, aber er tat es so sanft, dass sie gar nicht auf die Idee kam, sich zu wehren.

      Balder umschloss die blutende Stelle mit beiden Händen und schloss seine Augen. Auch Mara musste die Augen schließen, als seine Hände in einem solch hellen Licht erstrahlten, dass sie es sogar durch die geschlossenen Lider hindurch sehen konnte.

      Als das Licht wieder schwächer wurde, ließ Balder Maras Arm los. Die Wunde war geschlossen und vernarbt. Auch der Schmerz war verschwunden und die Stelle sah nun so aus, als hätte sich Mara vor Jahren einmal bei irgendeinem Unfall verletzt. Der einzige Unterschied war, dass die Narbe nicht rötlich war, sondern tiefschwarz.

      »Danke«, flüsterte Mara und der Lichtgott strich ihr beruhigend über die Schulter, bevor er sich wieder der Hel zuwendete. »Das Mal Draupnirs ist nicht leichtfertig zu vergeben. Was bezweckst du damit, Schlangenschwester?«

      Anstelle einer Antwort streckte die Hel nur ihre Hand aus. Eine Aschewolke schwebte vom Boden hinauf und sammelte sich auf ihrer Handfläche. Sie schloss die krallenartigen Finger und presste sie kurz zusammen. Mara glaubte, ein leises Knirschen zu hören. Und obwohl es nicht so aussah, als müsse die Hel sich sonderlich anstrengen, wusste sie doch, was für eine unfassbare Kraft hier gerade am Werk war. Als die Todesgöttin die Hand wieder öffnete, war die Asche verschwunden. Stattdessen lag dort ein schwarz glänzender Edelstein.

      Mit einem Gesichtsausdruck, der vielleicht ein Grinsen sein sollte, hielt die Hel Mara den Edelstein entgegen. »Überbringe das dem Loki, meinem Vater, wenn du vermagst.«

      Bei der Erwähnung von Loki schielte Mara vorsichtig zu Balder hinüber, doch der blieb regungslos.

      Vorsichtig nahm sie den schwarzen Stein aus der Hand der Hel. Er war so groß, dass sie ihn gerade so mit ihrer Hand umschließen konnte, aber klein genug, um ihn in die Hosentasche zu stopfen. Genau das tat Mara nun auch und zwar genauso beiläufig, als würde sie ein Päckchen Kaugummi einstecken. Die sollte jetzt bloß nicht denken, dass sie beeindruckt war von diesem Kunststückchen.

      »Ich gewähre dir so viel Zeit, wie der Ring des Draupnir acht Kinder gebiert. Schaffst du es, hast du die Wahrheit gesprochen, das Mal wird vergehen und ich löse meinen Griff. Schaffst du es nicht, werde ich deine Seele verschlingen.«

      Mara war sich nicht sicher, ob sie das mit dem Mal und den Kindern richtig verstanden hatte, aber so viel war klar: Die Hel würde sie gehen lassen, wenn sie Loki dafür den Klunker vorbeibrachte, und das sollte eigentlich kein Problem sein.

      »Okay«, sagte Mara und die Hel blickte sie irgendwie irritiert an. Wenn man so etwas überhaupt von einem Wesen ohne Augen sagen konnte. Was hatte sie denn jetzt wieder?

      Ach so, natürlich: Woher sollte die Todesgöttin hier unten schon mal das Wort »Okay« gehört haben? Mara beeilte sich, zu verbessern. »Ich meinte, wir haben einen Deal … Ach Mist, okay … Mist, nicht okay! Also: Hiermit gilt das … Geschäft als … als geltend.«

      Mit diesem gestammelten Schwur streckte Mara ihre Hand aus und bereute es sofort, denn die Hel schlug erst ein, nachdem sie einen beachtlichen Batzen grünlichen Schleims auf die Handfläche gespuckt hatte. Igitt.

      Mara starrte auf die zähflüssigen Speichelfäden zwischen ihren Fingern und überlegte fieberhaft, wohin damit. Sie hatte sich gerade für ihre Hose entschieden und war erstaunt, als plötzlich etwas ihre Sicht blockierte. Es war ein Tisch.

       Kapitel 8

      Das Eichhörnchen saß vor Dr. Thurisaz auf einer Stuhllehne und musterte ihn aus dunklen Knopfaugen.

      »Ja, ich weiß das sogar sehr gut. Und jetzt verschwinde!«, sagte Thurisaz gerade und klang dabei ziemlich genervt.

      Das Eichhörnchen antwortete nicht, sprang von der Stuhllehne und verschwand durchs Fenster nach draußen.

      Du