Quäntchen von Lokis Göttergeschenk verbraucht. Mara konnte gar nicht sagen, ob sie es mit ihren eigenen Kräften überhaupt hinbekommen würde. Am Ende reichte es vielleicht gerade so für die Reise dorthin, aber nicht mehr für die Rückfahrkarte. Bloß nicht!
Mama betrat das Wohnzimmer, in den Händen hielt sie zwei Kaffeetassen. »Bitte entschuldigen Sie den etwas labbrigen Kaffee-Ersatz, das ist mir furchtbar unangenehm. Aber ich habe leider vergessen, heute mal wieder echtes Pulver zu kaufen. Ich weiß natürlich, dass das vom energetischen Standpunkt her grundfalsch ist, aber ich habe mich irgendwann an dieses lösliche Chemiezeugs gewöhnt. Ich denk mir dann immer: Ein Laster darf ich mir doch vielleicht gönnen.« Sie lachte und Mara versuchte, ihre Mutter mit den Augen des Professors zu sehen.
Kann schon sein, dass Mama trotz ihres Wicca-Zeugs ganz okay rüberkommt, dachte sie. Auf jeden Fall stand ihr das Lachen besser als der sparsame Spitzmund …
Kapitel 3
Warum muss ich eigentlich jetzt sogar in den Ferien so früh aufstehen«, grummelte Mara vor sich hin, als sie sich am darauffolgenden Freitag aus dem Bett wälzte und mit den Füßen blind nach ihren Hausschuhen tastete. Na ja, früh übt sich, wer die Welt retten will.
Sie hatte vor einem Jahr Der Herr der Ringe von Tolkien gelesen, nachdem ihr die Filme so gut gefallen hatten. Mara war total überrascht gewesen, dass die Hobbits im Buch gar nicht gleich loszogen, um den Ring aus dem Auenland fortzubringen, sondern erst noch eine Menge Zeit verging. Monate, wenn Mara richtig gelesen hatte. Sie selbst hatte schon ein mulmiges Gefühl, wenn sie mal für eine halbe Stunde nicht an ihre große Aufgabe dachte. Die ganze Zeit über hatte sie zudem das Gefühl, bei Loki und Sigyn in der Höhle mal wieder nach dem Rechten sehen zu müssen. Aber gleichzeitig war sie sich auch ziemlich sicher, dass der sich schon melden würde, wenn er etwas brauchte. Das hatte er ja die letzten Male auch recht eindrucksvoll getan, indem er einfach durch die Leute gesprochen hatte, die gerade in Maras Nähe waren.
Mama war schon länger wach, und als Mara wachgeduscht und reisefertig ins Wohnzimmer kam, war sie gerade dabei, ihre Steine in einen Koffer zu packen.
»Aber Mama, meinst du nicht, wir finden im Mühlthal auch ein paar Flusskiesel?«, stöhnte Mara und kannte die Antwort bereits.
»Das sind nicht irgendwelche Flusskiesel, Mara, sondern meine Focus Stones™. Bitte sei nicht so ignorant, dazu hast du keinen Grund mehr.«
»Aber jetzt ist der halbe Koffer voll und du willst doch bestimmt auch noch ein paar Klamotten mitnehmen«, entgegnete Mara lahm.
»Nicht nur das«, antwortete Mama und legte wie zur Bestätigung auch noch ein Päckchen Räucherstäbchen, den dazugehörigen Aschefänger, zwei Kerzen und eine Kristallpyramide dazu. »Wir fahren schließlich nicht in den Badeurlaub, sondern auf ein Seminar.«
»Wär’ aber vielleicht auch mal ganz nett«, murmelte Mara zurück und verließ das Wohnzimmer, bevor es vielleicht noch zum Streit kam. Nicht dass sie sich nachher noch im Auto vor Professor Weissinger angifteten.
Der Professor stand wie verabredet um Punkt acht Uhr mit seinem Kombi vor ihrer Haustür. Für ihn war die ganze Sache dann doch etwas sehr kurzfristig gewesen, aber er hatte den Stapel mit den zu korrigierenden Arbeiten seiner Studenten einfach eingepackt.
Sein Auto war nichts anderes als die natürliche Verlängerung seines Büros in der Uni. Nur, dass hier noch nie die Putzfrau das Schloss aufgebrochen hatte, um wenigstens einmal in zwei Jahren durchzusaugen.
Der Professor nahm die Blicke mit Humor. »Guten Morgen allerseits. Ja, das ist mein Wagen und er ist für mich nichts anderes als ein Transportmittel. Wenn der Berg auf der Rückbank so hoch ist, dass der Kram beim Bremsen nach vorn zwischen die Pedale fällt, schmeiß ich ihn weg.«
Er öffnete den Kofferraum und stoppte routiniert einen labbrigen Pappkarton, bevor der sich auf die Straße entleeren konnte.
»Brauch mal eine neue Schachtel, die fällt schon auseinander«, brummelte er und benützte Maras kleinen Koffer, um den Karton zu stabilisieren. Dann griff er zu Mamas Koffer, versuchte, ihn zu heben, und stutzte. »Hoppla, Frau Lorbeer, was haben wir denn da eingepackt? Die Steinsammlung aus dem Wohnzimmerregal?«
Mama antwortete einfach nur: »Ja.«
Der Professor runzelte kurz die Stirn, wuchtete aber dann das Koffermonster mit einem unterdrückten Grunzer in den Kofferraum.
»Wer ist eigentlich der Nasenbär da am Erdgeschossfenster, der uns schon die ganze Zeit so interessiert zuschaut?«, fragte er dann und deutete mit dem Daumen über die Schulter.
Mara drehte sich um und sah hinter der Gardine das argwöhnische Gesicht von Nachbar Dahnberger verschwinden.
Fast schade, dass der so schnell von allein wieder aufgewacht ist, dachte Mara. Wüsste auch gerne, wie ich ihn überhaupt hab einschlafen lassen, dann würde ich das jetzt glatt noch mal machen.
»Das ist Nachbar Dahnberger«, erklärte Mama. »Ich glaube, er versucht, seine innere Leere zu füllen mit dem Leben anderer Menschen.«
Wow, Mama, das war echt cool gesagt, dachte Mara und fragte sich, warum sie das jetzt nicht laut ausgesprochen hatte.
»Ha, schön formuliert, Frau Lorbeer«, übernahm stattdessen der Professor das Lob. »Ach, ist das nicht sogar der, der euch dauernd hinterherspioniert, Mara?«
Mara nickte und auch Mama verdrehte die Augen. Der Professor nickte nur zurück, setzte dann sein freundlichstes Lächeln auf, stapfte ans Fenster und klopfte. Ununterbrochen, ziemlich heftig und auch ziemlich schnell. Was hatte er vor?
Es dauerte einen Moment, bis Herr Dahnberger sich zeigte und irgendetwas empört grummelte. Doch Professor Weissinger klopfte weiter. Dabei lächelte er weiterhin liebenswürdig in Herrn Dahnbergers Wohnung hinein, als würde er ihn gar nicht sehen.
Schließlich sah ihr Nachbar ein, dass der bärtige Mann mit dem Müllwagen nicht aufhören würde zu klopfen, bis er das Fenster öffnete. Also schimpfte er noch einmal irgendwas und machte schließlich das Fenster auf. »Was soll denn das, sind Sie verrückt, hier in aller Früh an mein Fenst…«
»Guten Morgen, Herr Dahnberger«, unterbrach ihn der Professor in einem so höflichen Tonfall, dass man ihm unmöglich böse sein konnte. »Ich wollte mich nur stellvertretend für Familie Lorbeer bei Ihnen abmelden, wenn es recht ist. Unsere Abfahrtzeit ist 8.11 Uhr, wir haben also elf Minuten Verspätung. Aber machen Sie sich keine Sorgen, das holen wir hoffentlich unterwegs wieder rein. Ach, und bitte vermerken Sie doch auch in Ihrem Überwachungsprotokoll, dass wir gedenken, in vier Tagen um 18.02 Uhr wieder hier zu landen. Sollten wir das wider Erwarten nicht genau einhalten, entschuldige ich mich schon einmal für die Unannehmlichkeiten und übernehme gerne die Kosten für zusätzliche Arbeitszeit und entsprechende Abnutzung des Radiergummis.«
»W… wovon … was …«, stotterte Herr Dahnberger, und der Professor unterbach ihn sofort wieder: »Fein, Sie wissen also Bescheid. Vielen herzlichen Dank für Ihre Bemühungen und ich hoffe, dass Sie in unserer Abwesenheit weiterhin alles dokumentieren, was in, vor und hinter diesem Haus vor sich geht. Irgendeiner muss es ja tun, denn wo kämen wir denn da hin, wenn jeder leben würde, wie er gerade will, nicht wahr?«
»Ja, das … nein, ich meine …«, blubberte der Nachbar.
»Na, das meine ich aber doch auch«, nickte Professor Weissinger freundlich, hörte dann aber so schlagartig auf zu grinsen, dass Herr Dahnberger zusammenzuckte, und drehte sich einfach weg.
Der Nachbar machte ein Gesicht wie eine halb offene Schublade, als ihn der Professor da im Feinrippunterhemd am offenen Fenster stehen ließ.
Mara und ihre Mutter lachten noch, als sie schon auf der Autobahn Richtung Starnberg waren.
Der Professor hörte im Auto keinen Popsender, sondern einen, der ausschließlich