Tommy Krappweis

Mara und der Feuerbringer


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er sich denn vor?

      »So. Wird spät, ich muss los«, sagte Willi trocken und löste die Handbremse. Er startete den mächtigen Motor der Zugmaschine, und Mara spürte die Vibration im ganzen Körper. Sie bemerkte, wie die beiden Raben freudig erregt mit den Flügeln schlugen und ertappte sich kurz dabei, sie voll gemein zu finden.

      Willi ließ den LKW einen drohenden Ruck vollführen, aber Ratatösk zuckte nicht mal.

      »Das gibt es doch nicht«, brummte der massige Mann und schickte sich nun tatsächlich an, das kleine Tier zu überrollen.

      »Nein!«, schrie Mara und fasste Willi an den Arm. Das war nicht richtig! Egal, was das Mistviech getan oder vorgehabt hatte zu tun, das war falsch!

      Und da kam plötzlich Bewegung in das Eichhörnchen. Es hob den Stab hoch über den kleinen Kopf. Mara und der Professor duckten sich instinktiv. Die Knopfaugen funkelten wütend. Der Motor röhrte ein weiteres Mal auf …

      … und Ratatösk warf Maras Stab wütend vor sich auf die Straße. Dann machte es eine uneichhörnchenhafte Bewegung, die sie alle hochgradig erstaunte, und war dann so schnell verschwunden, als hätte es jemand weggebeamt. Nur das raschelnde Gebüsch am Straßenrand verriet, dass hier gerade ein kleines Tier durchgeschlüpft war.

      Eine ganze Weile war es still im Truck. Dann schaltete Willi den Motor wieder aus. Erst nach einer weiteren langen Pause drehte er sich zu Mara und dem Professor und sagte dann mit lahmer Stimme: »Hat dieses Tier gerade wirklich das gemacht, was ich glaube, dass es das gemacht hat?«

      Mara nickte, und der Professor tat es ihr gleich.

      »Und ich hab mir das nicht nur eingebildet, es hat damit tatsächlich mich gemeint?«

      Wieder nickten die beiden. Es hatte eindeutig Willi angesehen.

      Dann war es wieder still. Willi überlegte.

      »Also bin ich nicht verrückt, wenn ich jetzt sage, dass da gerade ein Eichhörnchen mit seinen kleinen ausgestreckten Fingerchen erst auf seine eigenen Augen und dann auf meine gedeutet hat, als wäre es Robert De Niro, der sagen will: ›Ich sehe dich, Mann.‹?«

      »Nein, ich finde, das haben Sie sehr treffend beschrieben, Willi«, antwortete der Professor. »Willst du nicht deinen Stab holen, Mara?«

      Mara nickte. Der Professor öffnete die Beifahrertür, löste seinen Gurt und stieg aus. Mara kletterte hinter ihm aus dem Führerhaus und ging um den Kotflügel des Wagens herum. Kaum zu glauben, aber hier lag ihr Stab, scheinbar unversehrt. Sie hob ihn hoch und spürte sofort die vertraute Kälte.

      »Ob das vielleicht so was wie eine Falle ist?«, fragte sie, als sie zum Professor trat und dabei den Stab nicht aus den Augen ließ.

      »Keine Ahnung. Aber ich glaube, ehrlich gesagt, dass Ratatösk einfach nur sauer war, dass der Stab wider Erwarten keine eigene Kraft hat und der Delfin auch bereits ausgelaugt ist.«

      »Sie meinen, das Mistviech dachte die ganze Zeit über, es wären der Stab und der Delfin, die mir meine Kräfte verleihen?«

      Der Professor nickte. »Nun, das wäre doch eine gute Erklärung, warum es hinter beidem so hartnäckig her war, oder?«

      Mara versuchte, sich an die Situationen zu erinnern, in denen ihnen Ratatösk begegnet war, und es war tatsächlich so, wie der Professor gesagt hatte: Das Puschelmonster war immer nur an dem Stab und dem Delfin interessiert gewesen und nicht an Mara. Gut, ihre Haare mal ausgenommen, aber das war wohl so eine Mischung aus Wut, Boshaftigkeit und Spieltrieb gewesen …

      »Ja, da haben Sie vielleicht wirklich recht«, überlegte Mara und kletterte mit dem Stab wieder ins Führerhaus. Dort saß immer noch Willi und schaute auf die Stelle, wo vor einer Minute noch ein Eichhörnchen seinem Truck getrotzt und ihn danach recht eindrucksvoll bedroht hatte.

      »Es hat so gemacht …«, wisperte Willi ungläubig und machte die Geste dabei ein paar Mal fahrig nach. »Das Eichhörnchen hat so gemacht. Ich hab’s gesehen. Ich dreh durch.«

      »Ach bitte, tun Sie das nicht, Willi. Das ist nicht gut für Ihren und erst recht nicht für unseren Zeitplan«, ließ sich der Professor vernehmen, als er hinter Mara ins Führerhaus stieg. »Wir können Ihnen das gerne alles erklären, wenn Sie wollen. Aber danach müssten wir sie leider erschießen.«

      Willis Gesichtszüge entgleisten, als wären hier die Schienen zu Ende. Mara sah den Professor vorwurfsvoll an, und der winkte seufzend ab. »Gut, das war vielleicht jetzt nicht der allergeschmackvollste Scherz, aber ich versichere Ihnen, es war trotzdem einer.«

      Es dauerte eine lange Sekunde, bis sich Willi ein »Witzig« abrang.

      »Danke«, antwortete der Professor der Höflichkeit halber.

      »Ähm, wollen wir vielleicht weiterfahren?«, schlug Mara etwas hilflos vor. »Wir könnten uns ja während der Fahrt auch noch weiterwundern … oder so.«

      »Von wegen!«, rief Willi jetzt ganz aufgebracht. »Entweder ihr erzählt mir jetzt, was hier los ist, oder ihr steigt sofort aus! Irgendwas läuft hier ganz komisch, und ich kann es gar nicht leiden, wenn mich jemand verscheißert, und warum schaut mich der eine Rabe so komisch an?«

      »gleymið«, sagte Munin, und Willi wurde still.

       Kapitel 7

      Willi fuhr die beiden sogar bis vor die Tür des Museums in Kalkriese. Sie bedankten sich artig und winkten dem netten Trucker noch hinterher. Der ließ noch einmal fröhlich die trötende Hupe erschallen, und dann war Willi mitsamt seinem riesigen Lastzug verschwunden.

      »Nun, Munin, ich denke, da können wir uns nur bedanken«, sagte der Professor und schaute zu Mara.

      Die nickte. »Ja, danke. Das war schon alles ein bisschen wenig schlau von mir, und es ist auf jeden Fall besser, wenn er sich jetzt an nix mehr erinnert. Aber ich wollte doch nur versuchen, ob wir irgendwie reden können ohne …«

      »Ohne etwas zu sagen?«, beendete der Professor ihre Erklärung amüsiert und Mara musste grinsen. Im Nachhinein kam sie sich wirklich ziemlich blöd vor. »Aber wir konnten doch auch nix dafür, dass das verdammte Puschelmonster plötzlich auf der Autobahn steht.«

      »Nicht direkt, nein«, lachte der Professor. »Auf jeden Fall ist mir jetzt klar, dass du, Munin, deinen Namen völlig zu Recht trägst.«

      »Was heute Hugin, ist morgen Munin«, entgegnete der Rabe und neigte seinen Kopf.

      Mara war überrascht, dass sie auch mal ein Rätsel verstand, ohne dass es ihr der Professor erklären musste. Hugin hieß so viel wie »Gedanke« und Munin war die »Erinnerung«. Also bedeutete der Satz des Raben: Der Gedanke von heute ist die Erinnerung von morgen.

      »Wo er recht hat …«, begann der Professor und wendete sich dann an die beiden Raben. »Es ist zwar ebenso logisch wie verrückt, dass ein Vogel namens Erinnerung selbige auch nehmen kann. Aber ich frage mich nun doch, was ihr noch so draufhabt.«

      Die Antwort der Raben bestand aus einem stummen Blick.

      Mara musterte die beiden Vögel. Ob sie auch nur geliehene magische Kräfte hatten, so wie sie selbst? Nein, gab sie sich selbst die Antwort. Dies waren Odins Raben, und der hatte sicher Besseres zu tun gehabt, als alle paar Tage für seine Vögel Tankstelle zu spielen.

      »Nun ja, eine Aufzählung hätte mich jetzt auch gewundert«, murmelte der Professor und zuckte mit den Achseln. »Wie sieht’s aus, Mara Lorbeer? Wollen wir mal schauen, ob unser Gepäck noch da ist?«

      »Viel wichtiger ist mir, ob da immer noch Wäsche zum Wechseln drin ist«, erwiderte Mara, die sich schon seit Stunden so verpappt und zerdrückt vorkam wie ein Klebestift im Kindergarten.

      Wenige Minuten später standen sie auch schon vor der Sicherheitstür des Gebäudes, das die Restaurationsabteilung