Haftungsrisiken
des automatisierten und
autonomen Fahrens
von
Jonathan Hinze
Fachmedien Recht und Wirtschaft | dfv Mediengruppe | Frankfurt am Main
Dissertation der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.
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ISBN: 978-3-8005-1783-1
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Vorwort
Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2020/2021 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel als Dissertation angenommen.
Das Thema der Arbeit ist aus dem Kooperationsprojekt zu Nachfragegesteuerten Autonom Fahrenden Bussen („NAF-Bus“) hervorgegangen, welches von August 2017 bis Dezember 2020 mit dem Ziel durchgeführt worden ist, das innovative Konzept des „ÖPNV On Demand“, eines öffentlichen Personennahverkehrs ohne feste Fahrpläne und gesteuert von der Nachfrage der Kunden, weiter voranzubringen. Das Bundesministerium für Verkehr und Infrastruktur hat das Projekt mit rund 2,38 Millionen Euro gefördert.
Mein besonderer Dank gilt Herrn Prof. Dr. Michael Stöber, der im Rahmen des obigen Projektes die rechtliche Realisierbarkeit des Einsatzes autonom fahrender Busse erforscht und der diese Arbeit mit höchstem Engagement betreut und mit konstruktiven Anmerkungen vorangebracht hat. Dabei wurde mir stets die Freiheit gewährt, die Arbeit nach eigenen Vorstellungen und Schwerpunkten auszurichten.
Ferner möchte ich mich bei Prof. Dr. Susanne Lilian Gössl, LL. M. (Tulane) für die schnelle Erstellung des Zweitgutachtens und die wertvollen Anregungen bedanken.
Dem dfv-Verlag danke ich für die Aufnahme meiner Arbeit in diese Schriftenreihe.
Phillip Benit danke ich für die unzähligen gemeinsamen Mittags- und Kaffeepausen und die sowohl erholsamen als auch fachlich hilfreichen Gespräche.
Schließlich gilt der größte Dank meiner Familie. Meinen Eltern, Kristin und Jörg Hinze, sowie meinem Bruder, Jakob Hinze, für ihre allzeitige, bedingungslose Unterstützung. Ohne sie wäre an diese Arbeit nicht zu denken; ihnen ist sie gewidmet.
Kiel, im Januar 2021
Jonathan Hinze
§ 1 Einleitung
Mit dem automatisierten und autonomen Fahren steht uns eine Verkehrsrevolution bevor. Die Automobilindustrie selbst, die Medien und auch die Politik prognostizieren uns einen tiefgreifenden technologischen, aber auch gesellschaftlichen und kulturellen Wandel. Die Chancen dieses Wandels sind bemerkenswert und liegen nicht immer gleich auf der Hand: Abgesehen von der Tatsache, dass uns das selbstfahrende Fahrzeug mit hoher Wahrscheinlichkeit sicherer durch den Verkehr führen wird, als wir es je könnten, und wir dabei gleichzeitig einen beachtlichen Zeitgewinn verzeichnen, ergeben sich völlig neue Möglichkeiten der Mobilität, wenn Eignungskriterien wie Alter oder körperliche Verfassung keine Rolle mehr spielen. Bis zur Realisierung dieser Vision ist indes noch ein weiter Weg zu gehen. Die sich dabei ergebenden Schwierigkeiten sind interdisziplinär und beziehen sich nicht nur auf das technisch Machbare, sondern in gleicher Weise auch auf Fragen nach ethischer Verantwortung, gesellschaftlicher Akzeptanz und rechtlicher Grundlage. Letztere ist Thema dieser Arbeit ist.
Recht und Technik müssen harmonisieren. Für die gesellschaftliche Akzeptanz automatisierter und autonomer Fahrzeuge ist es von großer Bedeutung, dass eine klare und durchdachte gesetzliche Grundlage besteht, deren zentrale Aufgabe der Opferschutz ist. Gleichzeitig haben wir zur Bewältigung dieser Aufgabe aber nicht unbegrenzt viel Zeit. Zum einen schreitet die Technik durch weltweite Forschung mit Elefantenschritten voran, zum anderen hat sich gerade die Bundesrepublik zum Vorreiter in Sachen „Mobilität 4.0“ ernannt und will das „modernste Straßenverkehrsrecht der Welt“.1 Nicht zuletzt aus diesem Grund ist es daher notwendig, dass wir uns schon heute mit den Problemen von morgen beschäftigen. Die Ausgestaltung der zivilrechtlichen Haftung bildet dabei nur einen kleinen Teil ebendieser Probleme. Sie ist aber für Erfolg oder Misserfolg eines automatisierten Straßenverkehrs so entscheidend wie kaum eine andere rechtliche Fragestellung, weil der Straßenverkehr trotz aller positiver Sicherheitserwartungen ein Risikofaktor für Gesundheit und Vermögen bleiben wird. Erst wenn die Verantwortlichkeiten für eintretende Schäden geklärt sind, kann sich das selbstfahrende Fahrzeug in breiter Masse etablieren. Angesichts des enormen Potentials, das in ihm schlummert, ist eine rechtliche Auseinandersetzung schon heute geboten und lohnenswert.
Ziel dieser Arbeit ist deshalb eine Revision der haftungsrechtlichen Abwicklung von Straßenverkehrsunfällen mit Blick auf die Entwicklung autonomer Steuerungssysteme. Am Ende der Abhandlung soll eine fundierte Einschätzung darüber vorliegen, inwieweit sich die Verantwortlichkeiten zwischen den Akteuren neu austarieren und zu welchen konkreten Rückschlüssen dies hinsichtlich der Reformbedürftigkeit des Haftungsrechts führt.
Zu Beginn sollen dazu zunächst die terminologischen Grundlagen geschaffen werden (§ 2). Das betrifft einerseits Wesen und Eigenschaften künstlicher Intelligenz, andererseits die Differenzierung zwischen Automatisierung und (technischer) Autonomie. Innerhalb von § 3 werden die wesentlichen technischen Voraussetzungen autonomer Fahrzeuge dargelegt und abschließend die gesellschaftlichen Chancen und Gefahren einer Mobilitätswende skizziert.
Der haftungsrechtlichen Erörterung vorangestellt ist eine kurze Positionierung der im Haftungsgefüge befindlichen Parteien (§ 4). Dabei wird insbesondere die in der Praxis bedeutsame Rolle der Versicherungen und ihr Einfluss auf die Regresskette thematisiert.
Gegliedert nach den einzelnen Akteuren folgt anschließend die Analyse der Haftungslage de lege lata. Im Rahmen der Fahrer- und Halterhaftung (§ 5) erfolgt schwerpunktmäßig eine Bewertung der 2017 in Kraft getretenen Neuregelungen im Straßenverkehrsgesetz zum Verantwortungsbereich des Fahrzeugführers während des automatisierten Betriebs.
Die Herstellerhaftung wird in § 6 vornehmlich hinsichtlich der Problemstellungen im Produkthaftungsgesetz untersucht. Hier ist entscheidend, wann das Verhalten eines selbstfahrenden Fahrzeugs als „fehlerhaft“ zu betrachten ist und mit welchen konstruktiven und instruktiven Mitteln der Hersteller das eigene Haftungsrisiko begrenzen kann. Bei der das europäische Produkthaftungsrecht ergänzenden nationalen Produzentenhaftung liegt das Hauptaugenmerk auf der herstellerseitigen Produktbeobachtungspflicht sowie auf den Grundzügen des Verschuldensprinzips, das angesichts selbstveränderlicher IT-Systeme mit Zurechnungsproblemen zu kämpfen hat. Die Ergebnisse aus den §§ 5 und 6 werden in § 7 kurz zusammengefasst und die Auswirkungen auf das Gesamtverhältnis im Haftungsgefüge dargestellt.
§ 8 beschäftigt sich mit dem legislativen Reformvorschlägen und fokussiert dabei eine Adaption der Produkthaftungsrichtlinie nach Maßgabe möglicher Haftungsdefizite. Aufgrund anhaltender Aktualität der Diskussion um das Modell „elektronische Person“ wird abschließend auch diesbezüglich Stellung bezogen.