Rechtsfolge mit der abstrakten gesetzlichen Rechtsfolge in Verbindung mit der schrittweisen Prüfung, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen für den Eintritt der Rechtsfolge aus dem Sachverhalt begründbar sind (sog. Subsumtion). Gedanklich wie darstellungsmäßig stehen beim Gutachten stets die Fragestellungen am Anfang, die Ergebnisse als letzter Begründungsschritt am Ende. Am ehesten deckt sich diese gutachterliche Arbeitsmethode in der Rechtspraxis mit der anwaltlichen Beratungstätigkeit, die dann ggf. einem gerichtlichen Rechtsstreit zugrunde gelegt wird. Das ist aber nur eine gedankliche Hilfsbrücke für den gutachterlichen Denk- und Darstellungsstil.
3. Rechtsstreitigkeiten unter Einbeziehung des Staates – Besonderheiten der Fallbearbeitung im Öffentlichen Recht
Der Staat kann seine Entscheidungen nicht wie eine Privatperson nach eigenem Belieben treffen. Er ist an rechtliche Ermächtigungsgrundlagen gebunden. Sie ergeben sich teils aus der Verfassung, teils stehen sie im Gesetz. Aus der durchgängigen Ermächtigungsabhängigkeit staatlichen Handelns[2] folgen strukturelle Besonderheiten des öffentlichen Rechts. Diese Besonderheiten wirken sich auf die Methodik der Fallbearbeitung im Öffentlichen Recht aus. Das führt zu Abweichungen gegenüber dem Zivilrecht und dem Strafrecht.
Die Wahrnehmung von Staatsaufgaben im täglichen Leben und der Einsatz spezifisch staatlicher Durchführungsmittel hierzu findet in unterschiedlich strukturierten Rechtsbeziehungen öffentlichrechtlicher Natur statt, aus denen sich spezifische Anforderungen an die Methode der Prüfung öffentlichrechtlicher Streitfälle ergeben Die Grundkonstellationen sind:
|6|Die Ermächtigung des Staates zur Wahrnehmung und Durchsetzung seiner Aufgaben gegenüber dem Bürger und der Allgemeinheit, falls erforderlich durch Eingriff in Bürgerrechte (Staat-Bürger-Verhältnis).
Das umgekehrte Verhältnis: negatorische (Staatsabwehr) und positive (leistungsmäßige) Inanspruchnahme des Staates durch den Bürger (Bürger-Staat-Verhältnis).
Innerstaatliche Rechtsverhältnisse und Rechtsstreitigkeiten, an denen der Bürger nicht beteiligt ist und die er nicht aus eigenem Recht beeinflussen kann (sog. Binnenrechtsstreitigkeiten).
III. Staat-Bürger-Verhältnis
Wird eine öffentlichrechtliche Streitigkeit dem Staat-Bürger-Verhältnis zugeordnet, ist bei der gesuchten Ermächtigungsgrundlage für das streitige staatliche Tätigwerden zwischen der Aufgabenermächtigung und der Eingriffsermächtigung zu unterscheiden. Für beide bestehen in der Regel unterschiedliche Verfassungs- und Gesetzesgrundlagen.
Aufgabenermächtigungen sind verfassungsrechtliche oder gesetzliche Regelungen, die eine Staatsaufgabe inhaltlich und umfänglich generell festlegen und mit einer Kompetenz (= generell ermächtigende und verpflichtende Rechtswirkungen für zuständige staatliche Stellen) verbinden.
Polizeigesetz (PolG) NRW
§ 1 Aufgaben der Polizei.
(1) Die Polizei hat die Aufgabe, Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren (Gefahrenabwehr). Sie hat im Rahmen dieser Aufgabe Straftaten zu verhüten sowie vorbeugend zu bekämpfen und die erforderlichen Vorbereitungen für die Hilfeleistung und das Handeln in Gefahrenfällen zu treffen.[3]
|7|Artikel 87a Grundgesetz
Aufstellung der Streitkräfte. (1) Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf. Ihre zahlenmäßige Stärke und die Grundzüge ihrer Organisation müssen sich aus dem Haushaltsplan ergeben.
Für die Antwort auf die von der Aufgabenermächtigung und -zuweisung zu unterscheidende weitergehende Frage, ob der Staat zur Durchsetzung dieser Aufgaben im Einzelfall beschränkend in Rechte von Bürgern eingreifen darf, müssen besondere Ermächtigungsgrundlagen herangezogen werden (Eingriffsermächtigungen).
Polizeigesetz (PolG) NRW
§ 8 Allgemeine Befugnisse.
(1) Die Polizei kann die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine im einzelnen Falle bestehende konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung (Gefahr) abzuwehren, soweit nicht die §§ 9 bis 46 die Befugnisse der Polizei besonders regeln.[4]
Artikel 87a Abs. 2 Grundgesetz
(2) Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es zuläßt.
In „Kann“-Bestimmungen, wie beispielsweise § 8 Abs. 1 PolG NRW, kommt als weitere kompetenzrechtliche Besonderheit des öffentlichen Rechts die gesetzliche Ermächtigung zuständiger staatlicher Stellen zum Ausdruck, im Hinblick auf die Durchführung ihrer Aufgabe nach Maßgabe der konkreten Umstände des Falles – situationsabhängig – von der Behörde selbst gestaltete Rechtsfolgen zu setzen (Ermessensermächtigung).
Polizeigesetz (PolG) NRW
§ 3 Ermessen, Wahl der Mittel.
(1) Die Polizei trifft ihre Maßnahmen nach pflichtgemäßem Ermessen.[5]
(2) Kommen zur Abwehr einer Gefahr mehrere Mittel in Betracht, so genügt es, wenn eines davon bestimmt wird. Der betroffenen Person ist auf Antrag zu gestatten, ein anderes ebenso wirksames Mittel anzuwenden, sofern die Allgemeinheit dadurch nicht stärker beeinträchtigt wird.
Die Ausübung von Ermessensermächtigungen durch zuständige staatliche Stellen ist durchgängig an den rechtsstaatlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebunden (verfassungsrechtliches – mitunter einfachgesetzlich untermauertes – Gebot, nur mit Blick auf die einschlägige allgemeine Aufgabe geeignete und – situationsbedingt – erforderliche Maßnahmen zu ergreifen; pflichtgemäßes Ermessen).
|8|PolG NRW
§ 2 Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
(1) Von mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen hat die Polizei diejenige zu treffen, die den einzelnen und die Allgemeinheit voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt.[6]
(2) Eine Maßnahme darf nicht zu einem Nachteil führen, der zu dem erstrebten Erfolg erkennbar außer Verhältnis steht.
(3) Eine Maßnahme ist nur solange zulässig, bis ihr Zweck erreicht ist oder sich zeigt, dass er nicht erreicht werden kann.
IV. Bürger-Staat-Verhältnis
Die Rechte des von staatlichen Entscheidungen betroffenen Bürgers zur Abwehr des Staates aus seinem privaten Rechtsbereich sind vornehmlich die Grundrechte in ihrer klassischen Funktion als negatorische Abwehrrechte (Inzidenter-Prüfung im Prozess vor den Verwaltungsgerichten; unabhängig davon: Verfassungsbeschwerde als subsidiärer Rechtsbehelf zum Bundes- oder Landesverfassungsgericht).
Auf der Ebene einfachen Gesetzesrechts wird diese negatorische Abwehrfunktion prozessual unterstützt durch die verwaltungsgerichtliche Anfechtungsklage gegenüber behördlichen Verwaltungsakten (§ 113 Abs. 1 VwGO). Für das umgekehrte Begehren gesetzlich begründeter positiver staatlicher Leistungen durch behördlichen Verwaltungsakt steht die Verpflichtungsklage zur Verfügung (§ 113 Abs. 5 VwGO).
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)
§ 42 Anfechtungs- und Verpflichtungsklage. (1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts (Anfechtungsklage) sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts (Verpflichtungsklage) begehrt werden.
§ 113 Urteilsinhalt. (1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf.“ (Anfechtungsklage)
…
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist.