Ulrike Babusiaux

Wege zur Rechtsgeschichte: Römisches Erbrecht


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rel="nofollow" href="#ulink_9f7fcac6-42be-560c-9df1-4f4b76fc16f1">Kap. 2.1.2) zu. Mit dem Ausbau der kaiserlichen Macht und der Dominanz des kaiserlichen Antrags (oratio principis) über die senatorische Diskussion wurde das senatusconsultum zur Rechtsquelle, das heißt zum allgemeinverbindlichen Rechtsakt.

      Auch die mit dem Sammelbegriff als Konstitutionen (von constitutum, constituere = „festlegen“) bezeichneten weiteren Rechtssetzungen des princeps sind allgemeinverbindlich:

       D. 1.4.1pr.-1 Ulpianus 1 institutionumpr. Quod principi placuit, legis habet vigorem: Utpote cum lege regia, quae de imperio eius lata est, populus ei et in eum omne suum imperium et potestatem conferat. 1 Quodcumque igitur imperator per epistulam et subscriptionem statuit vel cognoscens decrevit vel de plano interlocutus est vel edicto praecepit, legem esse constat. Haec sunt quas volgo constitutiones appellamus.

      pr. Was dem princeps gefiel, hat Gesetzeskraft, weil ja mit dem Königsgesetz (lex regia), das hinsichtlich seines imperium erlassen worden ist, das Volk ihm und auf ihn all seine Befugnis und Macht überträgt. 1 Es steht daher fest, dass alles, was der Herrscher folglich durch einen Brief und eine Subskription festgelegt hat oder als Gerichtsherr geurteilt oder durch formlosen Zwischenbescheid befunden hat oder durch Edikt festgelegt hat, Gesetz ist. Dies sind diejenigen Dinge, die wir gemeinhin Konstitutionen nennen.

      Die Verbindlichkeit der Konstitutionen wird von Ulpian (3. Jahrhundert n. Chr.) darauf zurückgeführt, dass der princeps selbst durch ein Königsgesetz (lex regia) in seine Amtsbefugnisse eingesetzt worden sei. Es liegt nahe, dieses Königsgesetz mit einem Antrittsgesetz (lex de imperio) in Verbindung zu bringen. Ein solches ist für den Kaiser Vespasian (69 – 79 n. Chr.) auf einer Bronzetafel überliefert, aber auch für andere Kaiser zu vermuten. Mit diesem Antrittsgesetz werden dem neuen princeps von Volk und Senat die kaiserlichen Machtbefugnisse zugestanden. Da das Volk und der Senat Gesetzgeber sind – so Ulpians Argument –, erhält der princeps gleichfalls die Kompetenz eines Gesetzgebers.

      Von den genannten Konstitutionen sind zunächst die Edikte (edicta) zu betrachten: Während das Edikt in der Republik die Anordnung eines Magistraten in seinem Kompetenzbereich bezeichnet, mit der die Grundzüge der Amtsführung festlegt werden (Kap. 2.1.1), kommt dem princeps als Inhaber des imperium proconsulare maius et infinitum die Befugnis zu, generell verbindliche Edikte zu erlassen. Das bekannteste und vielleicht wichtigste dieser Edikte ist die unter Kaiser Caracalla 212 n. Chr. erlassene constitutio Antoniniana (von Antoninus = Caracalla), durch die allen Bewohnern des römischen Reiches das römische Bürgerrecht verliehen wird.

      Dagegen sind die übrigen Konstitutionen ihrer Natur nach Einzelfallentscheidungen. Die wichtigsten sind die Reskripte (rescripta, von rescribere = „zurückschreiben, schriftlich antworten“), das heißt Rechtsauskünfte, welche die kaiserliche Kanzlei auf Anfrage erteilt. Die genaue Form des Reskriptes richtet sich nach seinem Adressaten: Das Reskript erfolgt in Briefform (epistula), wenn sich der Bescheid an bedeutende Persönlichkeiten, Beamte des Kaisers oder eine Gemeinde richtet. Allen übrigen Privatleuten wird der kaiserliche Bescheid dagegen formlos auf dem Anfrageschreiben mitgeteilt, was den Namen subscriptio (wörtlich: „Unterschrift“) erklärt. Verbindlich war diese Auskunft zunächst nur für den Sachverhalt, auf den sich die Anfrage bezog; der gegenüber dem Kaiser niederrangige Entscheidungsträger, zum Beispiel ein Richter, ist also bei seiner Entscheidung an die kaiserliche Rechtsauskunft gebunden. Darüber hinaus erhalten Reskripte präjudizielle Wirkung, indem sie auch in Rechtsstreitigkeiten zitiert werden, die zwar nicht Anlass für die Anfrage waren, aber eine vergleichbare Rechtsfrage betreffen. Eine vergleichbare Wirkung kommt den vom Kaiser als Gerichtsherrn erlassenen Urteilen (decreta) oder Zwischenbescheiden (interlocutiones) zu, da sie über den Einzelfall hinaus als Präjudizien verwendet werden.

      Die Gleichstellung der kaiserlichen Rechtssetzung mit dem Volksgesetz (lex) erklärt, warum das Kaiserrecht auch als Rechtsquelle des ius civile genannt wird:

       D. 1.1.7pr. Papinianus 2 definitionumIus autem civile est, quod ex legibus, plebis scitis, senatus consultis, decretis principum, auctoritate prudentium venit.

      Das ius civile aber besteht aus dem, was sich aus Gesetzen, Plebisziten, Senatsbeschlüssen, Urteilen der Kaiser und aus der Auslegung der Rechtsgelehrten herleitet.

      Rechtsquellen des ius civile sind sowohl die republikanischen Volksgesetze (leges) und Plebiszite (plebiscita) als auch die Senatsbeschlüsse (senatusconsulta) und kaiserlichen Urteile (decreta principum). Als letzte Rechtsquelle nennt Papinian die Autorität der Rechtsgelehrten (auctoritas prudentium). Damit werden die Ansichten und Lehrmeinungen, welche die Juristen als Berater von Parteien, Prätoren oder auch dem Kaiser vertraten oder in ihren Schriften niederlegten, bezeichnet. Grundlage für die Geltung dieser Ansichten bildete der fachwissenschaftliche Konsens zwischen verschiedenen Juristen über die richtige Lösung eines Falls oder einer abstrakten Rechtsfrage. Sie wird seit Augustus durch das kaiserliche Privileg des Respondierrechts verstärkt (Kap. 2.1.2).

      Die Liste der bei Papinian aufgeführten Rechtsquellen belegt, dass das ius civile auch im 3. Jahrhundert n. Chr. keine abgeschlossene Rechtsschicht bildet, sondern auch in der Kaiserzeit weiter anwächst. Dabei ist einerseits zu beobachten, dass die Konstitutionen, für die Papinian stellvertretend die Urteile (decreta) nennt, das bestehende ius civile für den Einzelfall konkretisieren. Nur soweit sich im Einzelfall ein Bedürfnis ergibt, wird das bestehende Recht verändert und entsprechend dem Bedürfnis angepasst. Vorbild dieser schrittweisen kaiserlichen Rechtsanwendung ist die kasuistische Methode der Juristen (Kap. 1.3.2). Andererseits gibt es Senatsbeschlüsse, mit denen der Kaiser ein neues und abweichendes Recht (ius novum) gegenüber dem tradierten ius civile setzt und durchsetzt.

      Das Kaiserrecht ist also nicht lediglich als eine dritte Rechtsschicht zu verstehen, die sich über dem überkommenen ius civile und ius praetorium anlagert. Vielmehr umgreift das Kaiserrecht aufgrund des Anspruchs, umfassendes Recht zu sein, die bestehende Ordnung und nimmt sie in sich auf, soweit dies mit den rechtspolitischen Zielen des Herrschers vereinbar ist. Dieses Selbstverständnis entspricht der verfassungsrechtlichen Konstruktion des Prinzipats: Genauso wie die Staatsform des Prinzipats die in der Republik für bestimmte Amtsträger ausgebildeten Befugnisse verwendet, um eine die republikanischen Befugnisse überschreitende Herrschaft des princeps zu legitimieren (Kap. 2.1.2), nimmt auch das vom princeps gesetzte Recht das republikanisch gebildete Recht in sich auf und bildet es unter Anlehnung an das republikanische Vorbild fort.

      Das Festhalten an republikanischen Rechtsvorstellungen zeigt sich sogar dort, wo die Kaiser bewusst neues Recht (ius novum) schaffen: Dies geschieht einerseits – wie gesehen – durch Senatsbeschlüsse, also einer bereits zu Zeiten der Republik bekannten Rechtssetzungsform, andererseits im Rahmen kaiserlich geschaffener Gerichte mit Spezialzuständigkeiten. Das für einzelne Fragen von kaiserlichen Beamten angewandte Verfahren wird als cognitio extra ordinem, das heißt „außerordentliches Erkenntnisverfahren“ (davon: „Kognitionsverfahren“), bezeichnet. In dieser Bezeichnung kommt zum Ausdruck, dass die kaiserlichen Gerichte nicht nach den Regeln des prätorischen Edikts, sondern allein nach den vom Kaiser formulierten Regeln Recht sprechen. Die Besonderheiten der cognitio extra ordinem liegen mithin sowohl in den Durchführungsfragen des Prozesses als auch in den für die erörterten Rechtsfragen geltenden Regeln. Obwohl die kaiserlichen Spezialzuständigkeiten im Laufe der Kaiserzeit eine wichtige Quelle neuen Rechts (ius novum) werden, bleibt es formell bei der Begrenzung auf Spezialfragen und auf die kaiserliche Gerichtsbarkeit. Indem jedoch die kaiserliche cognitio extra ordinem neben die bestehenden Jurisdiktionsinstanzen, vor allem den Prätor und den Statthalter tritt, geraten diese unter Konkurrenz- und Anpassungsdruck. Auf diese Weise führt das durch die Kognition geschaffene ius novum ganz allmählich zur Ablösung der aus ius