wirtschaftlichen Betrachtung – als Unternehmer nur „der Konzern“ oder „die Konzernspitze“ angesehen wird.
166
Grundsätzlich gehen sowohl das Unionsrecht als auch das deutsche Steuerrecht davon aus, dass jeder zivilrechtlich selbstständige Rechtsträger auch selbstständiger Unternehmer i. S. d. Mehrwertsteuer ist. Das Unionsrecht erlaubt es den Mitgliedstaaten allerdings, „Personen, die zwar rechtlich unabhängig, aber durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sind, zusammen als einen Steuerpflichtigen [zu] behandeln“ (Art. 11 Abs. 1 MwStSystRL).
167
Der deutsche Gesetzgeber hat von dieser Ermächtigung durch § 2 Abs. 2 Nr 2 UStG Gebrauch gemacht. Eine Organschaft liegt danach vor, „wenn eine juristische Person nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen [eines] Organträgers eingegliedert ist“. Liegen diese Voraussetzungen vor, sind die im Inland gelegenen Unternehmensteile „als ein Unternehmen zu behandeln“ (§ 2 Abs. 2 Nr 2 S. 3 UStG). Im Ergebnis wird damit die zivilrechtliche Selbstständigkeit der Organgesellschaft „beiseitegeschoben“: Die Organgesellschaft wird für Zwecke der Umsatzsteuer (weitgehend) behandelt wie ein rechtlich unselbstständiger Betriebsteil des Organträgers (Näheres zu den Rechtsfolgen der Organschaft unter Rn 175 f).
168
Eine Organschaft gibt es auch im Körperschaft- und Gewerbesteuerrecht. Sie setzt dort nur eine finanzielle – nicht auch eine organisatorische und wirtschaftliche – Eingliederung voraus, daneben aber den Abschluss eines Gewinnabführungsvertrages (§ 291 AktG) zwischen Organträger und Organgesellschaft (§§ 14 ff KStG; § 2 Abs. 2 S. 2 GewStG). Die Voraussetzungen der umsatzsteuerrechtlichen Organschaft sind damit nicht identisch mit den Voraussetzungen der körperschaftsteuerlichen und gewerbesteuerlichen Organschaft.
§ 3 Unternehmer und Unternehmen › D. Organschaft › II. Voraussetzungen der Organschaft
II. Voraussetzungen der Organschaft
169
Eine Organschaft liegt nach deutschem Recht vor, „wenn eine juristische Person nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen [eines] Organträgers eingegliedert ist“ (§ 2 Abs. 2 Nr 2 UStG). Abweichend davon setzt das Unionsrecht voraus, dass „Personen […] durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sind“ (Art. 11 Abs. 1 MwStSystRL). Die abweichenden Formulierungen sind der Grund dafür, dass die Voraussetzungen der Organschaft derzeit im Fluss sind; zu mehreren Zweifelsfragen sind jüngst EuGH- und BFH-Entscheidungen ergangen (dazu sogleich).
1. Organträger
170
Organträger kann jeder Unternehmer sein.[83] Neben Kapital- und Personengesellschaften kommen auch natürliche Personen als Organträger in Betracht, soweit sie Unternehmer sind.[84] Auch eine juristische Person des öffentlichen Rechts kann Organträger sein, wenn und soweit sie unternehmerisch tätig ist.[85] Eine gleichzeitige Eingliederung einer Organgesellschaft in die Unternehmen mehrerer Organträger (sog. Mehrmütterorganschaft) ist nicht möglich.[86]
2. Organgesellschaft
171
Organgesellschaft kann nach § 2 Abs. 2 Nr 2 UStG nur eine „juristische Person“ sein. Eine Personengesellschaft – insbesondere eine oHG oder eine (GmbH & Co) KG – taugt also dem Wortlaut des Gesetzes nach nicht als Organgesellschaft. Der EuGH hat dagegen jüngst auf Vorlage des BFH entschieden, dass das Unionsrecht einer nationalen Regelung entgegenstehe, nach der Organgesellschaft nur eine juristische Personen sein kann.[87] Zulässig sei eine solche Beschränkung nur zur Verhinderung (u. a.) missbräuchlicher Praktiken. Der BFH bejaht seitdem die Eignung einer Personengesellschaft als Organgesellschaft. Allerdings besteht in den Einzelheiten Streit zwischen den Umsatzsteuer-Senaten des BFH. Nach dem V. Senat kann eine Personengesellschaft nur dann Organgesellschaft sein, wenn neben dem Organträger nur Personen Gesellschafter sind, die in das Unternehmen des Organträgers finanziell eingegliedert sind.[88] Nach dem XI. Senat taugt eine GmbH & Co. KG dagegen generell – ohne die vom V. Senat formulierten einschränkenden Voraussetzungen – als Organgesellschaft.[89] Es sei „fernliegend“, dass der Ausschluss einer solchen Gesellschaft – wie vom EuGH gefordert – der Verhinderung von Missbräuchen diene. Wenn in dieser Frage nicht der Gesetzgeber tätig wird, wird voraussichtlich erst eine Entscheidung des Großen Senates des BFH Klarheit bringen. Die Frage ist wegen der großen Verbreitung der GmbH & Co. KG – auch als Konzernmitglied – von großer praktischer Bedeutung.
3. Eingliederung
172
§ 2 Abs. 2 Nr 2 UStG setzt eine dreifache Eingliederung voraus:
• | Finanzielle Eingliederung bedeutet eine Anteilsmehrheit des Organträgers an der Organgesellschaft, die es dem Organträger ermöglicht, durch Mehrheitsbeschlüsse seinen Willen in der Organgesellschaft durchzusetzen.[90] |
• | Wirtschaftliche Eingliederung bedeutet einen engen wirtschaftlichen Zusammenhang der Tätigkeiten von Organträger und Organgesellschaft.[91] |
• | Eine organisatorische Eingliederung liegt vor, wenn der Organträger durch organisatorische Maßnahmen sicherstellt, dass in der Organgesellschaft sein Wille auch tatsächlich ausgeführt wird. In aller Regel wird diese Möglichkeit der Willensdurchsetzung durch Personenidentität in den Geschäftsführungsorganen hergestellt.[92] Der BFH hat die Anforderungen an die organisatorische Eingliederung jüngst in Urteilen zu Insolvenz-Sachverhalten verschärft.[93] |
173
Derzeit ist höchst umstritten, ob die Organschaft tatsächlich eine Anteilsmehrheit des Organträgers an der Organgesellschaft und damit ein Über-/Unterordnungsverhältnis voraussetzt. Der EuGH hat auf Vorlage des BFH jüngst entschieden, dass das Unionsrecht einer nationalen Regelung entgegenstehe, nach der Organgesellschaft nur eine solche Einheit sein könne, die mit einem Organträger durch ein Über-/Unterordnungsverhältnis verbunden sei. Zulässig sei eine solche Beschränkung nur zur Verhinderung (u. a.) missbräuchlicher Praktiken.[94] Der V. Senat des BFH geht davon aus, dass die Verneinung einer Eingliederung zwischen Schwestergesellschaften der Missbrauchsverhinderung diene.[95] Der XI. Senat hält dies dagegen für „fernliegend“.[96] Womöglich wird auch in dieser Frage erst eine Entscheidung des Großen Senates des BFH Klarheit bringen.
4. Kein Wahlrecht
174
Eine Organschaft tritt unter den Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 Nr 2 UStG ohne Wahlmöglichkeit der Beteiligten kraft Gesetzes ein. Weder das Umsatzsteuergesetz noch das Unionsrecht sehen ein Antragserfordernis, ein Wahlrecht oder einen speziellen