seit 2012 die Regelung des § 1631d BGB die stellvertretende Einwilligung der Eltern in die Beschneidung von Jungen (vgl. Rn. 103).[70] Diese parentale Einwilligung ist die Folge des elterlichen Erziehungs- und Bestimmungsrechts hinsichtlich des Kindeswohls aus Art. 6 Abs. 2 GG.[71] Wegen der grundsätzlich dem*der Rechtsgutsinhaber*in zugeordneten Dispositionsbefugnis ergibt sich auch das Problem der strafrechtlichen Beurteilung von ärztlichen Heileingriffen, insbesondere wenn keine vorherige Einwilligung der zu behandelnden Person vorliegt (ausführlich: Rn. 104 ff.).
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Schutzobjekt der Tatbestände ist „eine andere Person“.[72] Vom Körper abgetrennte natürliche Körperteile stehen nicht mehr unter dem Schutz der §§ 223 ff. StGB, es sei denn, sie werden dem Körper entnommen, um sie später wieder einzugliedern, z.B. bei einer Eigentransplantation.[73]
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Der Schutz umfasst den geborenen Menschen, nicht jedoch das ungeborene Leben. Dieses findet seinen Schutz alleine in den §§ 218 ff. StGB (vgl. dazu → BT Bd.4: Christian Schwarzenegger, Schwangerschaftsabbruch, § 3 Rn. 1 ff.), welche nach h.M. den Zeitraum bis zum Abschluss der Schwangerschaft, d.h. bis zum Beginn der Eröffnungswehen, abschließend regeln.[74] Die §§ 223 ff. StGB sowie die Tötungsdelikte sind daher erst mit Beginn der Eröffnungswehen anwendbar.[75] Eine Körperverletzung zu Lasten der Schwangeren durch einen Schwangerschaftsabbruch ist hingegen nicht ausgeschlossen und kann in Tateinheit mit den §§ 218 ff. StGB stehen.[76] Nicht immer eindeutig ist die Abgrenzung in den Fällen, in denen die Tathandlung zwar vor Geburtsbeginn und damit vor Eintritt der Menschqualität i.S.d. StGB begangen wurde, der Erfolg aber nach Geburtsbeginn eintritt oder andauert. Während das Landgericht Aachen im Contergan-Fall eine Strafbarkeit nach §§ 223 ff. StGB bei Handlungen vor Geburtsbeginn offenbar für möglich hielt,[77] wird nach heute überwiegendem Verständnis auf den Zeitpunkt der Auswirkungen des Eingriffs auf das Opfer abgestellt. Danach ist der Zeitpunkt entscheidend, in dem sich die Handlung auszuwirken beginnt, d.h. zu dem der Körperverletzungserfolg erstmalig auftritt oder sich steigernd fortwirkt.[78] Tritt also beispielsweise eine Deformation des Embryos als kausale Folge einer Handlung bereits vor Geburtsbeginn ein, so ist diese Handlung nicht nach §§ 223 ff. StGB strafbar. Vielmehr greifen die Regelungen der §§ 218 ff. StGB, die in diesem Fall keine Strafbarkeit vorsehen.[79] Eine andere, im Vordringen befindliche Auffassung will sogar auf die Menschqualität zum Zeitpunkt der Einwirkung selbst abstellen.[80]
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Da die §§ 223 ff. StGB die Verletzung einer anderen Person voraussetzen, ist die Selbstverletzung grundsätzlich straflos.[81] Verschreibt beispielsweise ein*e Arzt*Ärztin ein bestimmte Körperfunktionen beeinträchtigendes Medikament und nimmt die zu behandelnde Person das Medikament in freier Entscheidung und in voller Kenntnis der Sachlage selbst ein, so sind die Voraussetzungen des § 223 StGB (bzw. qualifiziert nach § 224 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 StGB) nicht erfüllt. Eine Teilnahmestrafbarkeit des*r Arztes*Ärztin scheitert an einer teilnahmefähigen Haupttat.[82] Mittelbare Täterschaft ist hingegen möglich, wenn eine Person durch Zwang oder Täuschung zur Selbstverletzung veranlasst wird und die Entscheidung, sich selbst zu verletzen, also nicht auf einem freiverantwortlichen Willen fußt (vgl. hier die Doping-Problematik Rn. 99). Darüber hinaus ergibt sich aus diesem Umstand die Problematik der Abgrenzung von eigenverantwortlicher Selbstgefährdung und einverständlicher Fremdgefährdung (siehe unten Rn. 75 ff.).
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Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit zeichnen sich dadurch aus, dass sie in der Intensität des Eingriffs eine ganz erhebliche Bandbreite aufweisen. Diese reicht von bagatellhaften Handlungen bis hin zu Körperverletzungen mit Todesfolge. Dem trägt das Gesetz Rechnung, in dem die Erfolgsqualifikationstatbestände der schweren Körperverletzung (§ 226 StGB) sowie der Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB) – im Gegensatz zur besonders gefährlichen Tathandlung in § 224 StGB – besonders schwere Folgen der Körperverletzung erfassen und einem besonderen Strafrahmen unterstellen.
a) Grundtatbestand des § 223 Abs. 1 StGB
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Der Grundtatbestand in § 223 Abs. 1 StGB ist ein Erfolgsdelikt und verlangt als Verletzungserfolg die körperliche Misshandlung oder Gesundheitsschädigung einer anderen Person. Die beiden Tatmodalitäten stehen selbstständig nebeneinander.[83] Sie überschneiden sich in erheblichen Teilen; für die Tatbestandsverwirklichung ist es wegen der Gleichwertigkeit ohne Belang, welche Modalität verwirklicht ist; ebenso ist daher Wahlfeststellung möglich.[84] Liegen beide Modalitäten vor, handelt es sich gleichwohl nur um eine Körperverletzung und keinen Fall der Idealkonkurrenz.[85] Zudem ist bei beiden Tatbestandsmodalitäten die Erheblichkeitsschwelle zu beachten, um strafrechtsrelevante Handlungen von straflosen Bagatellfällen abzugrenzen (vgl. Rn. 72 ff.).
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Nach allgemeiner Auffassung gilt als körperliche Misshandlung jedes üble, unangemessene Behandeln, das entweder das körperliche Wohlbefinden oder die körperliche Unversehrtheit nicht nur unerheblich beeinträchtigt.[86] Das körperliche Wohlbefinden ist der Zustand des Körperempfindens vor der negativen Beeinträchtigung des Empfindens. Es genügen auch nur vorübergehende Beeinträchtigungen.[87] Bei Schmerzzufügungen ist eine Beeinträchtigung im Regelfall gegeben.[88] Das Auftreten von Schmerzen ist allerdings keine notwendige Voraussetzung, nach der Rechtsprechung reicht auch das Abschneiden von Haaren aus.[89] Die körperliche Unversehrtheit ist bei nachteiligen Einwirkungen auf die körperliche Integrität des Opfers beeinträchtigt.[90] Insofern ist, wie beim körperlichen Wohlbefinden auch, die aktuelle körperliche Verfassung mit derjenigen Verfassung zu vergleichen, die ohne die Einwirkung bestünde.[91] Die nachteilige Einwirkung muss in der Regel substanzverletzend auf den Körper wirken.[92] Dies umfasst gravierende Substanzverluste (wie etwa den Verlust eines Zehs), die Herabsetzung der Körperfunktionen (z.B. Ausfall von Funktionen innerer Organe) sowie lokale Substanzschädigungen mit örtlich und zeitlich begrenzter Wirkung, wie Schwellungen, Beulen oder Prellungen.[93] Auf die Regenerierbarkeit der beeinträchtigten Körpersubstanz (z.B. Haare) kommt es nicht an.[94] Auch verursachte Überanstrengungen im Sinne des Erreichens der physischen Grenzen können körperliche Misshandlungen sein.[95]
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Unter einer Gesundheitsschädigung wird das Hervorrufen oder Steigern eines pathologischen Zustands verstanden, der vom Normalzustand der körperlichen und seelischen Funktionen nachteilig abweicht.[96] Die Beeinträchtigung muss nicht von Dauer und nicht von Schmerzen geprägt sein.[97] Eine Gesundheitsschädigung kann auch ohne körperliche Misshandlung verursacht werden, z.B. durch das Inverkehrbringen gesundheitsschädlicher Stoffe (vgl. hierfür auch Rn. 41, 84 ff.) oder durch das Verunreinigen der Luft oder des Wassers durch Giftstoffe.[98] Ebenso hat die Rechtsprechung eine Gesundheitsschädigung bei der Infizierung mit dem HI-Virus (und nicht erst bei Ausbruch der Krankheit) bejaht, da bereits die Infizierung den objektiven körperlichen Normalzustand des Opfers tiefgreifend verändere.[99] Mit der gleichen Argumentation nahm der BGH eine Gesundheitsschädigung bei übermäßigen, medizinisch nicht indizierten Röntgenaufnahmen an, da die Einwirkung von Röntgenstrahlen zu somatisch fassbaren Veränderungen der Körperbeschaffenheit führe und dadurch die Gefahr von Langzeitschäden nicht nur unwesentlich erhöht werde.[100]