Konkretisiert wurde in der neuen Verordnung der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen (sog. Center of Main Interest, kurz: COMI). Dieses ist der Ort, „an dem der Schuldner gewöhnlich der Verwaltung seiner Interessen nachgeht und der für Dritte feststellbar ist“. Bei natürlichen Personen ist dies der Ort ihres gewöhnlichen Aufenthaltes, bei juristischen Personen oder Gesellschaften der Ort ihres Sitzes und bei natürlichen Personen, die einer selbstständigen gewerblichen oder freiberuflichen Tätigkeit nachgehen, in der Regel der Ort der Hauptniederlassung. Um missbräuchliche oder betrügerische Verlagerungen des Ortes der Insolvenzantragstellung (sog. Forum Shopping) zu verhindern, soll die Vermutung des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen nicht gelten, sofern juristische Personen oder Gesellschaften den Sitz oder bei natürlichen Personen, die eine selbstständige gewerbliche oder freiberufliche Tätigkeit ausüben, die Hauptniederlassung in einem Zeitraum von drei Monaten vor Antragstellung auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens in einen anderen Mitgliedsstaat verlegt haben. Bei allen anderen natürlichen Personen gilt ein Zeitraum von 6 Monaten. Das mit dem Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens befasste Gericht soll nun von Amts wegen seine Zuständigkeit prüfen und begründen. Es ist auch für Klagen zuständig, die sich unmittelbar aus dem Insolvenzverfahren ableiten lassen und in engem Zusammenhang mit diesem stehen.
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Die Verwalter und Gerichte der Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren sollen insoweit zusammenarbeiten, wie es mit den Vorschriften für das jeweilige Verfahren vereinbar ist. Die Zusammenarbeit kann hierbei in beliebiger Form erfolgen.
6. Reform des Anfechtungsrechts
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Das Gesetz zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung und nach dem Anfechtungsgesetz trat am 5.4.2017 in Kraft.[43]
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Die Regelungen des Reformgesetzes finden damit auf alle Insolvenzverfahren Anwendung, die nach dem 4.4.2017 eröffnet worden sind (Art. 103j EGInsO), mit Ausnahme von Zinsansprüchen und Nutzungsherausgabeansprüchen als Nebenforderungen zu Insolvenzanfechtungsansprüchen, deren Berechnung sich für Zeiten vor dem 5.3.2017 nach den alten Vorschriften richtet.
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Der Anfechtungszeitraum für die Vorsatzanfechtung wurde bei kongruenten und inkongruenten Deckungshandlungen gem. § 133 Abs. 2 InsO von zehn Jahren auf vier Jahre verkürzt. Außerdem wird bei kongruenten Deckungshandlungen die Kenntnis des Anfechtungsgegners vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners nur noch dann vermutet, wenn der Anfechtungsgegner positive Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners hatte, während es nach altem Recht ausreichend war, dass der Anfechtungsgegner Kenntnis von der drohenden Zahlungsunfähigkeit des Schuldners hatte. Des Weiteren wurde die Vorsatzanfechtung gem. § 133 Abs. 3 S. 2 InsO dahingehend eingeschränkt, dass Zahlungen, die auf Basis von Zahlungserleichterungen, wie z.B. Ratenzahlungsvereinbarungen erbracht wurden, die gesetzliche Vermutung zur Folge haben, dass der Anfechtungsgegner die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nicht kannte. Ein Insolvenzverwalter muss daher beweisen können, dass der Anfechtungsgegner positive Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners hatte.
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Außerdem ist eine Leistung des Schuldners, für die unmittelbar eine Gegenleistung in das Vermögen des Schuldners gelangt ist, nach § 142 Abs. 1 InsO nur noch anfechtbar, wenn die Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung vorliegen und der Anfechtungsgegner erkannt hat, dass der Schuldner unlauter handelt. Leistungen des Schuldners, für die in engem zeitlichem Zusammenhang eine Gegenleistung erbracht wurde, wurden dadurch weitgehend der Anfechtung entzogen.
7. Einführung eines Konzerninsolvenzrechts
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Angesichts der überproportionalen Bedeutung von Unternehmensgruppen für wirtschaftliche Kenndaten, wie Anteil am Umsatz und an sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen sowie der häufigen internationalen Verflechtung ist in letzter Zeit die Schaffung eines Konzerninsolvenzrechts mit starkem Sanierungsbezug stärker in den Fokus gerückt. Der deutsche Gesetzgeber hat mit Wirkung vom 21.4.2018 die Vorschriften der §§ 269a-i InsO eingeführt, die ein Instrumentarium zur Lösung der besonderen Probleme bei insolventen Schuldnern an die Hand geben, die einer Unternehmensgruppe angehören. Die praktischen Anwendungsfälle für diese Vorschriften sind aktuell noch gering.[44]
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Für internationale Konzerninsolvenzen enthielt die im Jahr 2017 in Kraft getretene revidierte EuInsVO wie dargelegt einen ersten Regelungsversuch. Im Kern geht es um die Koordination einzelner Insolvenzverfahren innerhalb einer Unternehmensgruppe, ohne dass eine materielle Konsolidierung der einzelnen Insolvenzverfahren zu einem „Einheitsverfahren mit einer Insolvenzmasse stattfindet.
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Ziel der Neuregelungen ist es, gewachsene Unternehmensstrukturen auch in der Insolvenz zu nutzen und eine abgestimmte Verwertung der Vermögenwerte zu gewährleisten.