Bernd Heinrich

Handbuch des Strafrechts


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auf seine Gesundheitsgüter für ihn herabgesetzten Behandlungsmöglichkeiten durch eine Erweiterung der Aufklärungslasten zur Sicherung seiner Selbstbestimmung über eben diese Güter kompensiert werden.[356] Sollte sich ein pflichtversicherter Patient diese Eigenfinanzierung nicht leisten können, so würde sich eine vom Gemeinsamen Bundesausschuss verfügte Behandlungseinschränkung für ihn als faktische Behandlungsgrenze erweisen. Auch dies würde aber keinen (Fort-)Behandlungsanspruch des Patienten begründen. Es wäre vielmehr eine sozialgerichtliche Überprüfung derartiger Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (Stichwort: Angemessenheit von Leistung [Sozialversicherungsbeitrag] und Gegenleistung [medizinische Versorgung]) geboten.[357]

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      Würde der Arzt infolge fehlender Erstattungsmöglichkeit heimlich von der im Einzelfall vom Facharztstandard geforderten Heilbehandlung auf eine suboptimale Behandlung ausweichen, so käme Strafbarkeit unter zwei Gesichtspunkten in Betracht.[358] Zum einen könnte er sich als Unterlassungstäter nach den §§ 222/212, 13 bzw. §§ 229/223, 13 StGB strafbar machen (sofern die Kausalität seines Unterlassens feststellbar sein sollte).[359] Zum anderen droht ihm aber auch Strafbarkeit nach § 223 StGB, da die Einwilligung seines Patienten in die durchgeführte Heilbehandlung infolge unzureichender Aufklärung unwirksam wäre: Den Arzt trifft nämlich auch eine Aufklärungspflicht über denkbare gesundheitsrelevante Behandlungsalternativen,[360] sofern diese den Patienten unterschiedlich belasten oder sich vom Risiko und ihren Erfolgschancen her deutlich unterscheiden. Sollte die nicht konsentierte suboptimale Heilbehandlung dann gar den Tod des Patienten zurechenbar verursachen, dann käme jedenfalls nach der überwiegenden Auffassung, die bei der Körperverletzung mit Todesfolge auf einen sog. Letalitätszusammenhang verzichtet,[361] sogar Strafbarkeit nach § 227 StGB in Betracht. – Ist ein Patient finanziell in der Lage, in der GKV ausgeschlossene Gesundheitsleistungen selbst zu finanzieren, so ist ärztliche Strafbarkeit dann anzunehmen, wenn er dem Patienten eine Behandlungsmöglichkeit von höherem Nutzen verschweigt: strafbar nach § 223 StGB, da die durchgeführte Behandlung mangels hinreichender Aufklärung keine wirksame Einwilligung erfährt.[362]

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      Stimmt der hinreichend aufgeklärte Patient hingegen einer suboptimalen Heilbehandlung zu, so entfällt eine Strafbarkeit des Arztes (siehe Rn. 73, 135 ff.).[363]

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      Soweit es im vorliegenden Zusammenhang um die Nichtdurchführung einer ärztlichen Maßnahme geht, ist darauf hinzuweisen, dass eine entsprechende Garantenpflicht des Arztes nur für ärztlich indizierte Maßnahmen gilt. Insoweit habe ich an anderer Stelle[364] ausgeführt, dass die – von der jeweiligen Zielstellung abhängige – Indikationsstellung des Arztes vor die Prüffolie rechtlicher Anforderungen zu stellen ist, wenn ärztlicherseits zunehmend Überlegungen einbezogen werden, die über das Schicksal des betroffenen Patienten hinausgehen und damit eben nicht mehr ausschließlich am Patientenwohl orientiert sind. Dass gerade auch beim Einschluss wirtschaftlicher Überlegungen in ärztliche Therapieentscheidungen – unabhängig davon, ob es sich um offene oder verdeckte Rationierungen[365] handelt – die Basis eines objektiv-naturwissenschaftlich verstandenen Indikationenbegriffs verlassen wird und die Kontrollfunktion des Rechts herausgefordert ist,[366] dürfte sich von selbst verstehen. Offenbleiben muss hier allerdings die Beantwortung der Frage, wie auch insoweit angesichts der grundgesetzlichen Schutzgarantie für Leib und Leben (Art. 2 Abs. 2 GG) bindungsloser ärztlicher „Freiheit“ gegengesteuert werden kann, ohne umgekehrt durch eine übermäßige rechtliche Detailsteuerung überzureagieren und ärztlichen Entscheidungsspielraum auch bei der Indikationsstellung als mehrdimensionalen Prozess übermäßig und damit letztlich auch patientenschädlich einzuengen. Es wird Aufgabe der zukünftigen Diskussion sein, gerade auch im Zusammenhang mit Behandlungsbeschränkungen aus wirtschaftlichen Gründen den allein auf Beurteilungsfehler zu überprüfenden, spezifisch ärztlich zu verantwortenden, Beurteilungsspielraum festzulegen.

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      (1) Allerdings ist für die Zukunft durchaus zu erwarten, dass die ärztliche Indikationsstellung unter den Druck wirtschaftlicher Überlegungen (Stichwort: sachgerechter Einsatz der beschränkten Ressourcen)[367] geraten und zum Mittel verdeckter Rationierung am Krankenbett mutieren könnte.[368] Dass dies keine völlig voreilige Perhorreszierung ist, sei durch eine ärztliche sowie juristische Fundstelle belegt: So hat Oehmichen (Arzt) ausgeführt, dass „(die Behandlungsindikation) letztlich determiniert (wird) vom individuellen Krankheitszustand und der Prognose, von der kollektiven Erfahrung, von medizinischen Möglichkeiten der Diagnostik und Therapie sowie von personellen, organisatorischen, institutionellen und ökonomischen Bedingungen der gesamten Gesellschaft.“[369] P. Kirchhof (Jurist) führt in entsprechender Richtung aus: „Auch Faktoren außerhalb der direkten Arzt-Patienten-Beziehung beeinflussen das ärztlich Indizierbare: Gesellschaftliche Gegebenheiten wie Verfügbarkeit von Ressourcen, Finanzierbarkeit und somit das Prinzip der ‚Gerechtigkeit‘ dürfen nicht vernachlässigt werden. Damit wäre es notwendig, in der Indikationsstellung die ‚Kultur des Maßes‘ neu zu entdecken.“[370] Derartige Rationierungserwägungen erfahren Verstärkung durch das arztethische Prinzip der Wahrung von Gerechtigkeit, hier verstanden als Sicherung des Teilhaberrechts zukünftiger Patienten an medizinischen Leistungen. Schließlich: „Gegen Finanzengpässe lässt sich nicht juristisch anargumentieren.“ (Isensee).[371]

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      (2) Eine handlungsleitende Berücksichtigung knapper Ressourcen im Rahmen der Indikationsstellung kann juristisch jedenfalls bei vitaler Indikation, aber auch bei dem Patienten drohenden schwerwiegenden gesundheitlichen Nachteilen nicht zu einer zulässigen „Rationierung[372] am Krankenbett“ führen:[373] Zwar ist es vom Ansatz her durchaus konstruierbar, den Behandlungsabbruch als Ergebnis einer Güterabwägung (§ 34 StGB bzw. rechtfertigende Pflichtenkollision) mit den Interessen Dritter, also sonstigen Behandlungsbedürftigen, zu begreifen.[374] Einer derartigen Güterabwägung steht aber die Lebenswertindifferenz des Grundgesetzes[375] entgegen. Hierzu hat das Bundesverfassungsgericht bereits 1975 in seinem ersten Verdikt zu den §§ 218 ff. StGB ausgeführt: „Der Schutz des einzelnen Lebens darf nicht deswegen aufgegeben werden, weil das an sich achtenswerte Ziel verfolgt wird, andere Leben zu retten. Jedes menschliche Leben … ist als solches gleich wertvoll und kann deshalb keiner irgendwie gearteten unterschiedlichen Bewertung oder gar zahlenmäßigen Abwägung unterworfen werden.“[376] In seiner späteren Entscheidung[377] zur Verfassungswidrigkeit der Ermächtigung (§ 14 Abs. 3 Luftsicherheitsgesetz) zum Abschuss eines zu Terrorzwecken gekaperten, mit tatunbeteiligten Menschen besetzten Flugzeuges, das zur Tötung anderer Menschen eingesetzt werden soll, wurde diese Linie fortgesetzt: Dem Staat sei es verwehrt, die Tötung eines Menschen als Mittel zur Rettung anderer zu benutzen.[378] Insoweit ist allerdings hervorzuheben, dass diese Entscheidung zu § 14 Abs. 3 Luftsicherheitsgesetz die Aufopferung Einzelner zur Rettung bereits konkret bedrohter Dritter betraf, während im Falle der Rationierung medizinischer Versorgung dieser Drittbezug nur mittelbar und zeitlich verschoben vorläge.

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      (3) Ungeachtet dieser auch für eine Anwendung des § 34 StGB maßgeblichen Lebenswertindifferenz der Verfassung sind meines Erachtens im ärztlichen Beurteilungsspielraum zwei (letztlich auch „ökonomisch“ begründbare[379]) Kriterien berücksichtigungsfähig, nämlich die sog. probalistische sowie die sog. quantitative Sinnlosigkeit.[380] Im Falle der probalistischen Sinnlosigkeit handelt es sich