Bernd Heinrich

Handbuch des Strafrechts


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der Eltern für die Zustimmung in medizinische Eingriffe beim Minderjährigen ab und billigt auch dem einsichts- und urteilsfähigen Minderjährigen lediglich ein Vetorecht gegen die Einwilligung seiner gesetzlichen Vertreter zu, wenn es sich um einen relativ indizierten Eingriff mit der Möglichkeit erheblicher Folgen für die künftige Lebensgestaltung handelt.[296] Demgegenüber steht die h.M. im Strafrecht auf dem Standpunkt, dass der einsichts- und urteilsfähige Minderjährige grundsätzlich allein in die Durchführung eines medizinischen Eingriffes einwilligen kann, und dass es einer zusätzlichen Zustimmung seiner Eltern nicht bedarf.[297] Diese Ansicht verdient insofern Zustimmung, als sie in einem Bereich, der den höchstpersönlichen Angelegenheiten zuzurechnen ist, dem Charakter der elterlichen Sorge als eines „auf Auflösung angelegt(en)“ Rechtes[298] und der (auch von § 1626 Abs. 2 BGB vorausgesetzten) „wachsende(n) Eigenständigkeit und autonome(n) Handlungsfähigkeit“[299] des heranwachsenden Minderjährigen Rechnung trägt und die Vertrauensbeziehung zwischen Arzt und (minderjährigem) Patient stärkt. Bei Zweifeln an der Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Minderjährigen wird der Arzt allerdings gehalten sein, die Zustimmung der Eltern einzuholen.[300] Mit der hier zugrunde gelegten Prämisse eines schrittweisen Transfers der Bestimmungskompetenz über körperliche Eingriffe von den Eltern auf den Minderjährigen lässt sich der Vorschlag Coester-Waltjens, bei besonders gravierenden Eingriffen einen Co-Konsens des Sorgerechtsinhabers zu verlangen, durchaus vereinbaren.[301]

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      Wird die Einwilligungsfähigkeit verneint, so obliegt die Einwilligung in den medizinischen Eingriff unstreitig den Eltern als den gesetzlichen Vertretern des Minderjährigen (§§ 1626, 1629 Abs. 1 BGB).[302] Auch hier kommt allerdings eine der „Einwilligungsmündigkeit“ vorausgehende „Vetomündigkeit“ in Betracht, auf deren Grundlage der Minderjährige Eingriffe mit für ihn gravierenden Folgen zurückweisen kann.[303] Bei ihrer Entscheidung über die Erteilung der Einwilligung haben sich die gesetzlichen Vertreter von der Sorge für das Wohl des Kindes leiten zu lassen. Ebenso wie die Verweigerung der Zustimmung zu einer dringend gebotenen ärztlichen Heilbehandlung einen Missbrauch des elterlichen Sorgerechts darstellen kann,[304] kann ein solcher Missbrauch auch in der Zustimmung zu einem besonders riskanten Forschungseingriff liegen. Ein Eingreifen des Familiengerichts gemäß § 1666 BGB kommt indes nur dann in Betracht, wenn nach der Risiko-Nutzen-Abwägung mit gravierenden Gefährdungen für das Kind zu rechnen ist, ohne dass dieses von der Forschungsmaßnahme profitiert.[305]

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      Bei klinischen Prüfungen richtet sich die Zulässigkeit der Forschung an gesunden Minderjährigen bislang nach § 40 Abs. 4 AMG, der die in § 40 Abs. 1 bis 3 AMG normierten Voraussetzungen modifiziert. Danach muss das Arzneimittel zum Erkennen oder zum Verhüten von Krankheiten bei Minderjährigen bestimmt und seine Anwendung nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft angezeigt sein, um bei dem Minderjährigen Krankheiten zu erkennen oder ihn vor Krankheiten zu schützen. Angezeigt ist das Arzneimittel, wenn seine Anwendung bei dem Minderjährigen medizinisch indiziert ist (§ 40 Abs. 4 Nr. 1 S. 2 AMG). Die klinische Prüfung bei gesunden Minderjährigen beschränkt sich mithin bislang auf die Erprobung von Prophylaktika und Diagnostika, mit denen eine mögliche Erkrankung des Betroffenen früher diagnostiziert oder der Betroffene (z.B. durch Impfung) vor einer Erkrankung geschützt wird.[306] Ferner dürfen die klinische Prüfung an Erwachsenen oder andere Forschungsmethoden nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft keine ausreichenden Prüfergebnisse erwarten lassen (§ 40 Abs. 4 Nr. 2 AMG); auch die Forschung an Minderjährigen unterliegt somit einem strikten Subsidiaritätsgebot.[307] § 40 Abs. 4 Nr. 3 AMG konkretisiert die Anforderungen an die Einwilligung in den Forschungseingriff: Die Einwilligung wird durch den gesetzlichen Vertreter abgegeben, nachdem dieser aufgeklärt worden ist. Sie muss dem mutmaßlichen Willen des Minderjährigen entsprechen, soweit ein solcher feststellbar ist. Der Minderjährige ist vor Beginn der klinischen Prüfung von einem im Umgang mit Minderjährigen erfahrenen Prüfer oder einem entsprechend erfahrenen Mitglied der Prüfgruppe über die Prüfung, die Risiken und den Nutzen aufzuklären, soweit dies im Hinblick auf sein Alter und seine geistige Reife möglich ist;[308] erklärt der Minderjährige, nicht an der klinischen Prüfung teilnehmen zu wollen, oder bringt er dies in sonstiger Weise zum Ausdruck, so ist dies zu beachten. Ist der Minderjährige in der Lage, Wesen, Bedeutung und Tragweite der klinischen Prüfung zu erkennen und seinen Willen hiernach auszurichten, so ist auch seine Einwilligung erforderlich; daneben bedarf es aber weiterhin auch der Einwilligung der gesetzlichen Vertreter.[309] Nach § 40 Abs. 4 Nr. 4 AMG darf die klinische Prüfung nur durchgeführt werden, wenn sie für die betroffene Person mit möglichst wenig Belastungen und anderen vorhersehbaren Risiken verbunden ist; sowohl der Belastungsgrad als auch die Risikoschwelle müssen im Prüfplan eigens definiert und vom Prüfer ständig überprüft werden. Vorteile mit Ausnahme einer angemessenen Entschädigung dürfen nicht gewährt werden (§ 40 Abs. 4 Nr. 5 AMG).[310]

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      Ist der Minderjährige einschlägig erkrankt, so ist neben den allgemeinen Anforderungen des § 40 Abs. 4 AMG zusätzlich § 41 Abs. 2 AMG zu beachten. Dieser bietet zwei alternative Legitimationsansätze: Gemäß § 41 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AMG muss die Anwendung des zu prüfenden Arzneimittels nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft angezeigt sein, um das Leben des betroffenen Minderjährigen zu retten, seine Gesundheit wiederherzustellen oder sein Leiden zu erleichtern; die Studie muss mithin mit einem unmittelbaren Eigennutzen für den betroffenen Minderjährigen verbunden sein. Daneben lässt § 41 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AMG unter bestimmten, sehr restriktiv formulierten Voraussetzungen auch eine gruppennützige Forschung an einschlägig erkrankten Minderjährigen zu: Danach muss die klinische Prüfung für die Gruppe der Patienten, die an der gleichen Krankheit leiden wie der betroffene Minderjährige, mit einem direkten Nutzen verbunden sein (a), die Forschung muss für die Bestätigung von Daten, die bei klinischen Prüfungen an anderen Personen oder mittels anderer Forschungsmethoden gewonnen wurden, unbedingt erforderlich sein (b), sie muss sich des Weiteren auf einen klinischen Zustand beziehen, unter dem der betroffene Minderjährige leidet (c), und sie darf für den betroffenen Minderjährigen nur mit einem minimalen Risiko und einer minimalen Belastung verbunden sein (d).[311] § 41 Abs. 2 S. 2 AMG schließt die Anwendung dieses zweiten, auf den Gruppennutzen abstellenden Legitimationsansatzes bei Minderjährigen aus, die nach Erreichen der Volljährigkeit einwilligungsunfähig sein werden, und stellt damit den Gleichlauf zu § 41 Abs. 3 AMG her.[312]

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      Da die Entwicklung von Medikamenten für Kinderkrankheiten wirtschaftlich wenig lukrativ ist[313] und wegen des strikten Subsidiaritätsgebotes oftmals keine klinischen Studien an Kindern stattfinden, sind die verfügbaren Arzneimittel häufig nicht für Kinder zugelassen, weshalb es regelmäßig zum sog. Off-Label-Use kommt.[314] Die VO (EG) Nr. 1901/2006 über Kinderarzneimittel zielte auf eine Förderung der Entwicklung und der Zulassung von Arzneimitteln für die pädiatrische Verwendung bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung eines hohen Schutzniveaus ab und schuf zu diesem Zweck ein System von Verpflichtungen und Anreizen.[315] Die Auswirkungen der Verordnung auf die Praxis der Arzneimittelprüfung waren bislang allerdings eher gering.[316]

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      Zukünftig richtet sich die Durchführung klinischer Prüfungen mit Minderjährigen nach Art. 32 der VO (EU) Nr. 536/2014 über klinische Prüfungen mit Humanarzneimitteln, der sich inhaltlich stark an den Vorgaben für klinische Prüfungen mit nicht einwilligungsfähigen Prüfungsteilnehmern in Art. 31 der Verordnung orientiert;[317] ergänzende Vorschriften finden sich in § 40b Abs. 3 AMG n.F. Unterschiede bestehen insbesondere hinsichtlich des Ausmaßes, in dem der Minderjährige in den Entscheidungsprozess einzubeziehen ist: In Abweichung von Art. 32 Abs. 1 lit. c der Verordnung, der lediglich vorschreibt, dass das ausdrückliche Veto eines Minderjährigen, der in der Lage ist, sich eine Meinung zu bilden und die in Art. 29 Abs. 2 der Verordnung genannten Informationen zu beurteilen, vom Prüfer zu „respektieren“ ist,[318] schreibt § 40b Abs. 3 S. 1 AMG n.F. vor, dass eine klinische Prüfung bei entsprechend reflexionsfähigen Minderjährigen nur durchgeführt werden darf, wenn zusätzlich zur schriftlichen Einwilligung des gesetzlichen Vertreters auch die schriftliche Einwilligung des Minderjährigen vorliegt.[319] Erklärt ein Minderjähriger,