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Handbuch des Verwaltungsrechts


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Rechtsstaatsprinzip oder das Rechtmäßigkeitsprinzip als negative Kompetenzschranke für die öffentliche Gewalt beschreiben. Es gibt grundsätzlich niemals eine Kompetenz zur Setzung rechtswidriger Akte.[23]

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      Ebenentrans zendente Kompetenzschranken

      Eine spezifische Spielart von negativen Kompetenzbestimmungen schließlich ist typisch für Mehrebenensysteme: Eine Begrenzung der Kompetenzen auf der übergreifenden Ebene kann sich aus dem Recht der anderen Ebene ergeben, dies könnte man als ebenentranszendente Kompetenzschranke bezeichnen.[24] Dies gilt auch umgekehrt. So beschränken die Grundrechte der Bundesverfassung wegen Art. 1 Abs. 3 GG auch die Hoheitsgewalt auf Landesebene. Die Grundfreiheiten des Unionsrechts gelten für die Union, aber auch für die Mitgliedstaaten und schränken deren Rechtsmacht – Kompetenzen – ein.

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      „Wie“ der Kompetenzrealisierung

      Von Kompetenzzuweisungen positiver oder negativer Art sind Kompetenzausübungsregeln zu unterscheiden. Sie setzen das Vorliegen einer Kompetenz voraus und schränken diese ein. Sie betreffen nicht das „Ob“ einer Kompetenz, sondern das „Wie“ der Kompetenzrealisierung (Kompetenzrechtsfolge). Solche Kompetenzausübungsregeln können sich mit konkreten Kompetenznormen verbinden, etwa im oben geschilderten Beispiel des Art. 48 AEUV, wo die Rechtsfolge „Kompetenz“ nicht ergebnisoffen formuliert, sondern die Kompetenzausübung, das „Wie“, in eine bestimmte Richtung kanalisiert wird.

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      Abgrenzung

      Die Grenze zwischen Kompetenzzuweisungs- und Kompetenzausübungsregel kann dabei schwierig zu ziehen sein. Die Kompetenzformel zur Kompetenzgrundlage für Regelungen betreffend den Gesundheitsschutz in Art. 168 Abs. 5 AEUV beispielsweise lässt sich wie folgt beschreiben: „Wenn Tatbestand (x = Schutz und Verbesserung der menschlichen Gesundheit), dann Rechtsfolge (y = Kompetenz für Fördermaßnahmen der EU unter Ausschluss jeglicher Harmonisierung)“. Sie kann aber auch formuliert werden als „Wenn Tatbestand (x = Förderung von Schutz und Verbesserung der menschlichen Gesundheit), dann Rechtsfolge (y = Kompetenz der EU zu Maßnahmen unter Ausschluss jeglicher Harmonisierung)“.

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      Prinzipien der Kompetenzausübung

      Kompetenzausübungsregeln werden indessen regelmäßig als allgemeines Prinzip formuliert. Die Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit in Art. 5 Abs. 1 S. 2 EUV[25] sind dafür Beispiele.[26] Auch ein Bundestreueprinzip, ein Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit (Unionstreue, Art. 4 Abs. 3 EUV) oder allgemeiner ein Bundesstaatsprinzip können kompetenzausübungssteuernde Gehalte aufweisen.[27]

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      Grundstein der Kompetenzordnung

      Das im Primärrecht heute in Art. 5 EUV verankerte Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung[28] ist der Grundstein der Kompetenzordnung im europäischen Mehrebenensystem.[29] Nach Art. 5 Abs. 2 EUV wird die Union nur innerhalb der Grenzen der Zuständigkeiten tätig, die die Mitgliedstaaten ihr in den Verträgen zur Verwirklichung der darin niedergelegten Ziele übertragen haben. Mit einer negativen Kompetenznorm[30], die an Art. 30 GG erinnert, wird gleich zweifach (Art. 5 Abs. 2 S. 2 und 4 Abs. 1 EUV) festgehalten, dass alle nicht in den Verträgen übertragenen Zuständigkeiten bei den Mitgliedstaaten verbleiben. Äußerlich und oberflächlich betrachtet ähnelt diese Kompetenzvermutung der Verträge durchaus der Kompetenzzuordnungstechnik, wie sie sich im Grundgesetz findet, wo nach Art. 30 und 70 Abs. 1 GG eine Landeskompetenz angenommen wird, falls sich nicht aus dem Grundgesetz eine explizite oder zumindest implizite Gesetzgebungskompetenz des Bundes entnehmen lässt.

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      Finale Kompetenzzuweisungen

      Während im Grundgesetz Sachbereiche in Kompetenzkatalogen aufgeführt werden erfolgt die Kompetenzzuweisung der Verträge allerdings im Wesentlichen vermittels Nennung zu erreichender Ziele. Diese funktionelle Methode erscheint aus der Perspektive des deutschen Verfassungsrechts zunächst ungewöhnlich, weist jedoch auch Vorteile wie insbesondere ein erhöhtes Maß an Flexibilität auf.[31]

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      Selbstermächtigung und Letztentscheidung

      Auch die Entscheidung über eine Kompetenz erfordert eine entsprechende Rechtsmacht, eine Kompetenz: die Kompetenz-Kompetenz. Dieses sprachlich sperrige, gleichwohl unmittelbar einleuchtende Konzept, dass sich beliebig ad infinitum fortschreiben lässt,[32] fragt nach der Selbstermächtigung und der Letztentscheidung. Es stammt ursprünglich aus der deutschen Bundesstaatsdiskussion des 19. Jahrhunderts.[33]

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      Keine Kompetenz-Kompetenz der EU

      Im europäischen Verfassungsrecht wird der Begriff seit dem Maastricht-Urteil 1993 diskutiert. Das BVerfG stellte seinerzeit klar, dass der vormals in Art. F Abs. 3 EUV (heute Art. 311 AEUV) enthaltene Satz „Die Union stattet sich mit den Mitteln aus, die zum Erreichen ihrer Ziele und zur Durchführung ihrer Politiken erforderlich sind.“, keine Kompetenz-Kompetenz für die Union begründete, sondern allenfalls eine „politisch-programmatische Absicht“ zum Ausdruck brachte.[34]

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      Kompetenz-Kompetenz und Souveränität

      Die Frage nach der Kompetenz-Kompetenz in der EU ist in der Gleichsetzung mit Souveränität[35] gleichwohl auch nach 1993 immer wieder thematisiert worden. Diese Gleichsetzung lässt sich allerdings schon aus dem Begriff heraus in Frage stellen: Peter Lerche hat schlüssig dargelegt, dass eine solche Gleichsetzung nicht zulässig ist, wenn man Souveränität als Ausdruck der Unabgeleitetheit von Herrschaftsmacht versteht, weil Kompetenz-Kompetenz eine Rechtsgrundlage voraussetzt, von der aus Kompetenz-Kompetenz gleichsam zugeteilt wird.[36]

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      Begrenzter Erklärungswert

      Die Übertragung des Begriffs vom bundesstaatlichen Zusammenhang auf andere Kompetenzordnungen sowie seine Anwendung auf gerichtliche Kompetenzen dürfte zulässig sein[37] und mag Veranschaulichungspotenzial bergen. Der Vorwurf „unberechenbarer Selbstausdehnungsmacht“,[38] der sich mit Kompetenz-Kompetenz verbindet, lässt sich aber ohne weiteres mit dem in den Verträgen verankerten Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung[39] verarbeiten. Insoweit führt die Frage nach der Kompetenz-Kompetenz letztlich nicht weiter.

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      Kloppenburg-Entscheidung

      Dies gilt auch für die Chiffre von den Mitgliedstaaten als „Herren der Verträge“. Sie geht zurück auf einen Hinweis des BVerfG in der Kloppenburg-Entscheidung zur Verletzung der Vorlagepflicht an den EuGH durch den BFH im Jahre 1987.[40] Wörtlich heißt es dort: „Nach wie vor sind derzeit die Mitgliedstaaten im Rahmen des allgemeinen Völkervertragsrechts die Herren der Gemeinschaftsverträge“.[41] Unmittelbar im Anschluss: „Zulässig und von den Auslegungsregeln für die Gemeinschaftsverträge her nachgerade geboten ist es indessen, vorhandene Kompetenzen der Gemeinschaft im Lichte und im Einklang mit den Vertragszielen auszulegen und zu konkretisieren“. Überwiegend wird aber verkürzend auf den ersten Teil des Zitats Bezug genommen. Dies verweist freilich auf eine völkerrechtliche Banalität, verdunkelt zugleich aber den Abstand, den die Europäische Union mittlerweile von einer herkömmlichen Internationalen Organisation genommen hat.

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      Völkerrechtliche