ilder lebendig worden und herabgestiegen von den hohen Simsen?[1] Dich umwehen die geheimnisvollen Schauer der wunderbaren Sagen und Legenden. Und willig magst du daran glauben. In dieser Stimmung liest du die Geschichte des Medardus, und wohl magst du auch dann die sonderbaren Visionen des Mönchs für mehr halten als für das regellose Spiel der erhitzten Einbildungskraft.
Da du, günstiger Leser! soeben Heiligenbilder, ein Kloster und Mönche geschaut hast, so darf ich kaum hinzufügen, dass es der herrliche Garten des Kapuzinerklosters in B. war, in den ich dich geführt habe.
Als ich mich einst in diesem Kloster einige Tage aufhielt, zeigte mir der ehrwürdige Prior die von dem Bruder Medardus nachgelassene, im Archiv aufbewahrte Papiere als eine Merkwürdigkeit. Nur mit Mühe überwand ich des Priors Bedenken, sie mir mitzuteilen. Eigentlich, meinte der Alte, hätten diese Papiere verbrannt werden sollen[2]. Nicht ohne Furcht, du stimmst der Meinung des Priors zu, gebe ich dir, günstiger Leser! Entschließest du dich aber, mit dem Medardus, als seist du sein treuer Gefährte, durch finstre Kreuzgänge und Zellen[3] – durch die bunte Welt zu ziehen und mit ihm das Schauerliche, Entsetzliche, Tolle, Possenhafte seines Lebens zu ertragen.
Nachdem ich die Papiere des Kapuziners Medardus recht durchgelesen. Das war mir schwer genug, da der Selige eine sehr kleine, unleserliche mönchische Handschrift geschrieben hat. Es war mir auch, als das, was wir Traum und Einbildung nennen, wohl die symbolische Erkenntnis des geheimen Fadens. Er zieht sich durch unser Leben. Vielleicht geht es dir, günstiger Leser! wie mir, und das wünschte ich denn aus erheblichen Gründen echt herzlich.
Erster Teil
Erster Abschnitt
Die Jahre der Kindheit und das Klosterleben
Nie hat mir meine Mutter gesagt, in welchen Verhältnissen mein Vater in der Welt lebte. Ich rufe mir aber alles das ins Gedächtnis zurück, was sie mir schon in meiner Jugend von ihm erzählte. So muss ich wohl glauben, dass es ein mit tiefen Kenntnissen begabter, lebenskluger Mann war. Eben aus diesen Erzählungen und einzelnen Äußerungen meiner Mutter weiß ich, dass meine Eltern von einem bequemen Leben in die drückendste, bitterste Armut herabsanken. Mein Vater war einst durch den Satan verlockt und beging eine Todsünde. In späten Jahren hat er sie als die Gnade Gottes erleuchtet. Er wollte auf einer Pilgerreise nach der heiligen Linde im weit entfernten kalten Preußen. – Auf der beschwerlichen Wanderung dahin fühlte meine Mutter nach mehreren Jahren der Ehe zum erstenmal, dass diese nicht unfruchtbar bleiben wurde, wie mein Vater befürchtet. Trotz seiner Not war er sehr froh, dass er jetzt eine Vision hatte, in der der heilige Bernhard ihm Trost und Vergebung durch die Geburt eines Sohnes zusicherte.
In der heiligen Linde erkrankte mein Vater. Er starb entsündigt und getröstet in demselben Augenblick, als ich geboren wurde. – Mit dem ersten Bewusstsein dämmern in mir die lieblichen ilder von dem Kloster und von der herrlichen Kirche in der heiligen Linde auf.
Mich umrauscht noch der dunkle Wald. Noch sehe ich mitten in der Kirche, auf welche die Engel das wundertätige Bild der heiligen Jungfrau niedersetzten. Noch lächeln mich die bunten Gestalten der Engel – der Heiligen – von den Wänden, von, der Decke der Kirche an! – Die Erzählungen meiner Mutter von dem wundervollen Kloster sind so in mein Innres gedrungen, dass ich glaubte, ich habe alles selbst gesehen, selbst erfahren. Unerachtet ist es unmöglich, dass meine Mutter nach anderthalb Jahren die heilige Stätte verließ. – Es scheint mir, dass ich selbst einmal eine wunderbare Figur eines ernsten Mannes in einer verlassenen Kirche gesehen habe. Es ist eben der fremde Maler gewesen, der in uralter Zeit erschien. Niemand konnte seine Sprache verstehen. Er malte mit kunstgeübter Hand in gar kurzer Zeit die Kirche auf das herrlichste aus. Ich erinnere mich auch an den alten, seltsam gekleideten Pilger, der mich oft an meinen Armen trug. Er suchte im Wald nach allen möglichen bunten Moosen und Steinen und spielte mit mir. Ich glaube natürlich, dass sein lebendiges Bild nur aus der Beschreibung meiner Mutter im Inneren entstand. Er brachte einmal einen fremden, wunderschönen Knaben mit, der mit mir von gleichem Alter war. Wir saßen im Gras. Ich schenkte ihm alle meine bunten Steine. Meine Mutter saß neben uns auf einer steinernen Bank. Der Alte schaute mit mildem Ernst unseren kindischen Spielen zu. Da traten einige Jünglinge aus dem Gebüsch. Einer von ihnen rief lachend:
»Sieh da! Eine heilige Familie, das ist etwas für meine Mappe!«
Er zog wirklich Papier und Krayon hervor und schickte sich an, uns zu zeichnen. Da erhob der alte Pilger sein Haupt und rief zornig:
»Elender Spötter, du willst ein Künstler sein, und in deinem Innern brannte nie die Flamme des Glaubens und der Liebe. Aber deine Werke werden tot und starr bleiben wie du selbst. Du wirst wie ein Verstoßener in einsamer Leere verzweifeln und untergehen in deiner eignen Armseligkeit.«
Die Jünglinge waren los. – Der alte Pilger sagte zu meiner Mutter:
»Euer Sohn ist mit vielen Gaben herrlich ausgestattet. Aber die Sünde des Vaters kocht und gärt in seinem Blut. Er kann sich zum wackern Kämpen für den Glauben aufschwingen. Lass ihn geistlich werden!«
Meine Mutter konnte nicht genug sagen, welchen tiefen Eindruck die Worte des Pilgers auf sie gemacht haben. Meine Erinnerungen aus selbst gemachter Erfahrung heben von dem Zeitpunkt an, als meine Mutter auf der Heimreise in das Zisterzienser-Nonnenkloster gekommen war. Die Zeit von der Begebenheit mit dem alten Pilger bis zu dem Moment, als mich meine Mutter zum erstenmal zur Äbtissin brachte, macht eine völlige Lücke. Ich finde mich erst wieder, als die Mutter meinen Anzug besserte und ordnete. Endlich stieg ich an der Hand meiner Mutter die breiten steinernen Treppen herauf und trat in das hohe, gewölbte, mit heiligen Bildern ausgeschmückte Zimmer. Da fanden wir die Fürstin. Es war eine große, majestätische schöne Frau. Sie sah mich mit einem ernsten, bis ins Innerste dringenden Blick an und fragte:
»Ist das Euer Sohn?«
Ihre Stimme, ihr ganzes Ansehen – alles wirkte so auf mich, dass ich, von dem Gefühl eines inneren Grauens ergriffen, bitterlich weinte. Da sprach die Fürstin:
»Was ist dir, Kleiner, fürchtest du dich vor mir? Wie heißt Euer Sohn, liebe Frau?«
»Franz.«
Da rief die Fürstin mit der tiefsten Wehmut:
»Franziskus!«
Sie hob mich auf und drückte mich heftig an sich. Aber in dem Augenblick preßte mir ein jäher Schmerz, den ich am Halse fühlte, einen starken Schrei aus, so dass die Fürstin mich losließ. Die Fürstin ließ das nicht zu. Es fand sich, dass das diamantne Kreuz, welches die Fürstin auf der Brust trug, mich am Hals so stark beschädigt hat, dass die Stelle ganz rot und mit Blut unterlaufen war.
»Armer Franz«, sprach die Fürstin, »ich habe dir weh getan, aber wir wollen doch noch gute Freunde werden.«
Eine Schwester brachte Zuckerwerk und süßen Wein. Ich naschte tapfer von den Süßigkeiten, die mir die Frau, selbst in den Mund steckte. Als ich einige Tropfen des süßen Getränks gekostet, kehrte mein munterer Sinn zurück.
Ich lachte und schwatzte zum größten Vergnügen der Äbtissin und der Schwester, die im Zimmer geblieben. Noch ist es mir unerklärlich, wie meine Mutter darauf verfiel, mich aufzufordern, der Fürstin von den schönen, herrlichen Dingen meines Geburtsortes zu erzählen. Die Fürstin, selbst meine Mutter, blickten mich voll Erstaunen an. Aber je mehr ich sprach, desto höher stieg meine Begeisterung. Die Fürstin fragte:
»Sage mir, liebes Kind, woher weißt du denn das alles?«
Da antwortete ich, dass der schöne wunderbare Knabe, den einst ein fremder Pilgersmann mitgebracht hat mir alle Bilder in der Kirche erklärt.
Man läutete zur Vesper, die Schwester hatte eine Menge Zuckerwerk in eine Tüte gepackt. Die Äbtissin stand auf und sagte zu meiner Mutter:
»Ich sehe Euern Sohn als meinen Zögling an, liebe Frau! Ich will von nun an für ihn sorgen.«
Meine Mutter konnte vor Wehmut nicht sprechen. Sie küsste die Hände der Fürstin. Die Fürstin kam uns nach, hob mich nochmals auf, sorgfältig das Kreuz beiseite schiebend.
»Franziskus! Bleib fromm und gut!«
Ich