Sie, Graf!«
Der Graf tat es. Ich verweigerte es standhaft und verschloß die Flasche wieder in ihr Behältnis.
Die Fremden verließen das Kloster. Aber als ich einsam in meiner Zelle saß, konnte ich mir selbst ein gewisses innres Wohlbehagen nicht ableugnen.
»Wie«, dachte ich, »wenn das wunderbare Getränk mit geistiger Kraft dein Inneres stärkte, ja die erloschene Flamme entzünden konnte?«
Ich stand vom Lager auf und schlich wie ein Gespenst mit der Lampe durch die Kirche nach der Reliquienkammer. Ich schloß den Schrank auf, ich ergriff das Kistchen, die Flasche, bald habe ich einen kräftigen Zug getan! Glut strömte durch meine Adern und erfüllte mich mit dem Gefühl unbeschreiblichen Wohlseins – ich trank noch einmal, und die Lust eines neuen, herrlichen Lebens ging mir auf! – Schnell verschloß ich das leere Kistchen in den Schrank, eilte rasch mit der wohltätigen Flasche nach meiner Zelle und stellte sie in mein Schreibepult.
Ich erbebte unwillkürlich. Ich hatte keine Ruhe bis der Morgen heiter anbrach. Leonardus, die Brüder bemerkten meine Veränderung. Statt dass ich sonst, in mich verschlossen, kein Wort sprach, war ich heiter und lebendig. Ich bestand darauf, am nächsten heiligen Tag wieder zu predigen, und es wurde mir vergönnt. Kurz vorher genoß ich von dem wunderbaren Wein. Nie habe ich darauf feuriger, salbungsreicher, eindringender gesprochen.
Meine Mutter schien einen heimlichen Gram in sich zu tragen. Sie gab mir ein kleines Billett von der Fürstin, das ich erst im Kloster öffnen sollte. Kaum war ich in meiner Zelle, als ich zu meinem Erstaunen folgendes las:
»Du hast mich, mein lieber Sohn (denn noch will ich Dich so nennen), durch die Rede, die Du in der Kirche unseres Klosters hieltest, in die tiefste Betrübnis gesetzt.«
Das Morgenlicht brach in farbechten Strahlen durch die bunten Fenster der Klosterkirche. Einsam und in tiefe Gedanken versunken, saß ich im Beichtstuhl. Da rauschte es in meiner Nähe, und ich erblickte ein großes, schlankes Frauenzimmer, auf fremdartige Weise gekleidet, einen Schleier über das Gesicht gehängt. Ich fühlte ihren glühenden Atem, noch ehe sie sprach! Jedes ihrer Worte griff in meine Brust. Diese Liebe war um so sündlicher, als den Geliebten heilige Bande auf ewig fesselten.
Ein Altar in unserer Kirche war der heiligen Rosalia geweiht und ihr herrliches Bild in dem Moment gemalt, als sie den Märtyrertod erleidet.
Ich beschloß, in die Stadt umzuziehen, bis ich sie gefunden habe. Ich dachte nicht daran, wie schwer, ja wie unmöglich dies vielleicht sein werde, ja, wie ich vielleicht nicht einen einzigen Tag außerhalb der Mauern leben kann. Der letzte Tag, den ich noch im Kloster zubringen wollte, war endlich herangekommen.
Schon war es Abend, als der Prior mich ganz unerwartet zu sich rief. Ich erbebte, denn nichts glaubte ich, als dass er von meinem heimlichen Anschlage etwas bemerkt hat. Leonardus empfing mich mit ungewöhnlichem Ernst, ja mit einer imponierenden Würde.
»Bruder Medardus«, fing er an, »dein unsinniges Betragen zerreißt unser ruhiges Beisammensein. Ja es wirkt zerstörend auf die Heiterkeit und Gemütlichkeit. – Vielleicht ist aber auch irgendein feindliches Ereignis, das dich betroffen, daran schuld. Du kannst mich jetzt dein Geheimnis um einen Teil meiner Ruhe bringen, die ich im heitern Alter über alles schätze. Du hast oftmals, vorzüglich bei dem Altar der heiligen Rosalia, durch entsetzliche Reden, nicht nur den Brüdern, sondern auch Fremden, die sich zufällig in der Kirche befanden. Ich kann dich daher nach der Klosterzucht hart strafen, doch will ich dies nicht tun, da vielleicht irgendeine böse Macht – der Widersacher selbst, dem du nicht genugsam widerstanden, an deiner Verirrung schuld ist. – Ich schaue tief in deine Seele! – Du willst ins Freie!«
Wie ein Strahl des Himmels erleuchteten mich die Worte des ehrwürdigen Leonardus. Ich habe ihn gehasst, aber jetzt durchdrang mich wie ein Schmerz die Liebe. Nicht wenig verwundert war ich, als ich aus den Instruktionen des Priors wahrnahm, dass es mit meiner Sendung nach Rom nun wohl seine Richtigkeit hat. Die Brüder versammelten sich, und der Abschied von ihnen, vorzüglich von dem Vater Leonardus, erfüllte mich mit der tiefsten Wehmut. – Endlich schloß sich die Klosterpforte hinter mir, und ich war im Freien.
Zweiter Abschnitt
Der Eintritt in die Welt
In blauen Duft gehüllt lag das Kloster unter mir im Tal. Schon mehrere Tage war ich durch das Gebirge gewandelt. Ganz entkräftet setzte ich mich auf ein Felsstück und konnte nicht widerstehen, einen Zug aus der Korbflasche zu tun. Ich wollte aber das seltsame Getränk soviel nur möglich aufsparen. Neue Kraft durchglühte meine Adern, und erfrischt und gestärkt schritt ich weiter, um mein Ziel zu erreichen. Immer dichter und dichter wurde der Tannenwald. Dicht, dicht an dem Sturz saß auf einem über die Tiefe hervorragenden Felsenstück ein junger Mann in Uniform, der Hut mit dem hohen Federbusch. Ich wagte mich heran, so wollte ich ihn mit der Hand ergreifen und zurückhalten. Ich schrie laut:
»Um Jesus willen! Herr! – erwacht! – Um Jesus willen!«
Sowie ich ihn berührte, fuhr er aus tiefem Schlafe, aber in demselben Augenblick stürzte er hinab in den Abgrund. Sein schneidendes Jammergeschrei verhallte in der unermeßlichen Tiefe, aus der nur ein dumpfes Gewimmer herauftönte, das endlich auch erstarb[8]. Leblos vor Schreck und Entsetzen stand ich da, endlich ergriff ich den Hut, den Degen, das Portefeuille und wollte mich schnell von dem Unglücksort entfernen. Da trat mir ein junger Mensch aus dem Tannenwald entgegen.
»Nun, gnädiger Herr Graf«, sprach endlich der junge Mensch, »die Maskerade ist in der Tat vollständig und herrlich, und wäre die gnädige Frau nicht schon vorher davon unterrichtet, wahrhaftig, sie würde den Herzensgeliebten nicht wiederkennen. Wo haben Sie aber die Uniform hingetan, gnädiger Herr?«
»Die schleuderte ich hinab in den Abgrund«, antwortete es aus mir hohl und dumpf.
Da fuhr der junge Mensch fort:
»Nun, gnädiger Herr, reite ich den Fahrweg herab nach dem Städtchen. Sie werden wohl gleich herab nach dem Schloss wandeln, man wird Sie wohl schon erwarten, Hut und Degen nehme ich mit mir.«
Ich reichte ihm beides hin.
»Nun leben Sie wohl, Herr Graf! recht viel Glück im Schloss.«
Ich eröffnete das Portefeuille, welches ich behalten; Briefe, beträchtliche Wechsel fielen mir in die Hand. – Das war der Ort des Abenteuers und ich ging ihm mutig entgegen. In einer dunklen Seitenallee des Gartens sah ich zwei Männer, von denen der eine wie ein Weltgeistlicher gekleidet war. Sie kamen mir näher. Der Weltgeistliche war ein Jüngling, der andere schlicht gekleidet, schien ein schon bejahrter Mann. Sie setzten sich auf eine steinerne Bank, ich konnte jedes Wort verstehen, was sie sprachen.
»Hermogen!« sagte der Alte, »Sie bringen durch Ihr starrsinniges Schweigen Ihre Familie zur Verzweiflung, Ihre düstre Schwermut steigt mit jedem Tag, Ihr Entschluss, den geistlichen Stand zu wählen, zerstört alle Hoffnungen, alle Wünsche Ihres Vaters! – Sie waren sonst ein froher, unbefangener, lebenslustiger Jüngling! – Was konnte Sie denn dem Menschlichen so entfremden, dass Sie daran verzweifeln, in eines Menschen Brust kannTrost für Ihre kranke Seele finden? Sie schweigen? Sie starren vor sich hin? – Sie seufzen?«
Der Alte stand auf und wollte fortgehen, der Jüngling fiel ihm in die Arme.
»Ach, Sie quälen mich, guter Reinhold!« rief er mit matter Stimme, »Sie quälen mich unaussprechlich! – Ach, je mehr Sie sich bemühen, die Saiten in meinem Innern anzuschlagen, desto mehr fühle ich, wie das Schicksal mich ergrifft. Sie sind in einer Stimmung, die nur dem gänzlich zerrütteten Gemüte eigen. Sie sollen nicht fort, Sie dürfen durchaus nicht fort. In diesen Tagen kommt die Baronesse mit Aurelien, die müssen Sie sehen.«
Da lachte der Jüngling wie in furchtbarem Hohn und rief mit einer Stimme, die durch mein Innres dröhnte:
»Muss ich? – muss ich bleiben? – Ja, wahrhaftig, Alter, du hast recht, ich muss bleiben, und meine Buße wird hier schrecklicher sein als in den dumpfen Mauern.«
Damit sprang er fort durch das Gebüsch und ließ den Alten stehen.
Er fuhr auf, er sah mich ganz verwundert an,