wichtige Station bei der Entstehung der in diesem Buch versammelten Aufsätze war die von 2003 bis 2010 bestehende ‹Firma für Anthroposophie›, die neue Wege im Umgang mit Anthroposophie entwickelte. Gemeinsam mit den Kollegen Sebastian Gronbach, Jelle van der Meulen, Alexander Schaumann und Michael Schmock haben wir damals – 100 Jahre, nachdem Rudolf Steiner 1904 Leiter einer Esoterischen Schule und damit Lehrer für Meditation und geistiges Forschen wurde – einen wichtigen Schritt von Meditation zu geistiger Forschung gemacht. Außerdem gab es in diesen Jahren ein erstes Kolloquium am Goetheanum, das ich zusammen mit Heinz Zimmermann durchgeführt habe und in dem wir den Austausch über meditative Erfahrungen regelrecht geübt haben.
Es kam in diesen Jahren auch sonst das Meditieren sehr in Mode, man denke etwa an die Achtsamkeitsbewegung, die Zen-Meditation mit ihren Meditationshäusern oder das christliche Meditieren am Benediktushof des Willigis Jäger. Dort habe ich mich überall umgesehen, und mir wurde gerade an der Unterschiedlichkeit deutlich, was das Spezifische der anthroposophischen Meditation ist.
2012 habe ich dann das ‹Institut für anthroposophische Meditation› gegründet, das sich zur Aufgabe gesetzt hat, anthroposophische Meditation auch in der nicht-anthroposophischen, aber spirituell interessierten Öffentlichkeit bekannt zu machen. Das ist ein Stück weit auch gelungen, ein Höhepunkt war die Anleitung einer anthroposophischen Meditation auf dem buddhistisch orientieren Kongress ‹Meditation und Wissenschaft› 2019 in Berlin; seither jedoch scheint diesbezüglich eine vorläufige Grenze erreicht zu sein. Innerhalb der anthroposophischen Szene ist das Meditieren, auch als gemeinsame Praxis, indes so selbstverständlich geworden, wie wir es zu Beginn des 21. Jahrhunderts kaum für möglich gehalten hätten. Das gemeinsame Gespräch im Rahmen des ‹Instituts für anthroposophische Meditation› gibt es bis heute. Stellvertretend für die ganze Gruppe seien hier die bereits seit der Gründung teilnehmenden Persönlichkeiten Corinna Gleide, Christoph Hueck, Andreas Neider, Dorian Schmidt und Markus Buchmann genannt.
Außerdem bin ich durch Karl-Martin Dietz und Thomas Kracht verschiedentlich zu Kolloquien im Rahmen des ‹Forum Zeitfragen› der Anthroposophischen Gesellschaft und des Hardenberg Instituts eingeladen worden, wo ich neue Beobachtungen und Forschungsergebnisse vorstellen konnte. Aus diesen Zusammenhängen kenne ich auch Johannes Kiersch, der so freundlich war, ein Geleitwort für dieses Buch beizusteuern. Stephan Stockmar und Lydia Fechner von der Zeitschrift die Drei waren dort oft dabei und haben mich immer wieder aufgefordert und unterstützt, meine Gedanken weiter auszuarbeiten und zu Papier zu bringen.
2016 fand auf Anregung von Stephan Schmidt-Troschke von ‹Gesundheit aktiv› der Kongress ‹Meditation und Gesundheit› in Berlin statt, den wir zusammen mit Rudi Ballreich vorbereitet haben. Anknüpfend daran gab es am Alanus Werkhaus in zwei Durchgängen eine Fortbildung für Menschen, die andere meditativ anleiten möchten. In der Leitung dieser Fortbildungen, die sich über insgesamt fünf Jahre mit 25 Wochenenden erstreckte, habe ich zusammen mit den Teilnehmenden das ganze Feld anthroposophischer Meditation noch einmal sehr vertiefen können.
Mit meinem Einstieg in die Redaktion der Monats-Zeitschrift Info3 hat sich nun mein Lebensschwerpunkt nochmals verlagert und das Engagement für die anthroposophische Meditation ist in den Hintergrund getreten. Dass Claudius Weise vom Verlag Freies Geistesleben die Gelegenheit beim Schopfe ergriffen und mir die Möglichkeit gegeben hat, was ich zur anthroposophischen Meditation zu Papier gebracht habe, zwischen zwei Buchdeckel zu versetzen, freut mich sehr.
Allen Genannten danke ich sehr herzlich – ohne Euch wären die Aufsätze und damit auch dieses Buch nicht zustande gekommen!
Den Leserinnen und Lesern wünsche ich Anregung und Inspiration, sei es für das eigene Meditieren oder für das Verständnis von Anthroposophie, und ich hoffe, dass die Aufsätze seit der Zeit ihrer Entstehung nichts davon verloren haben.
Der Zusammenhang
«Aber das Nötige geschieht schon, wenn man nur Geisteswissenschaft studiert und richtig bewusst versteht»
2011 wurde der 150. Geburtstag von Rudolf Steiner gefeiert – die Beiträge in großen Zeitungen erweckten damals den Eindruck, dass die Anthroposophie im öffentlichen Leben der Gegenwart angekommen ist. Die Zeitschrift die Drei veröffentlichte damals unter der Überschrift ‹Treffpunkt Steiner› eine Serie vieler verschiedener Zugangsweisen zu Persönlichkeit und Werk Rudolf Steiners – eine Gelegenheit, sich den eigenen biographischen Zugang zu vergegenwärtigen.
«Denken 1979/80» habe ich vorne in mein Exemplar von Steiners Grundlinien einer Erkenntnistheorie (1886) geschrieben, und dieser Eintrag stammt aus der Zeit des ersten anthroposophischen Lesekreises, an dem ich teilnahm, ganz privat, mit Musikerfreunden und unter Anleitung eines etwas älteren ehemaligen Waldorfschülers. Mit Philosophie und Erkenntnistheorie hatte ich, die ich gerade das Abitur hinter mich gebracht hatte, bisher nicht viel zu tun gehabt, aber mit Denken schon. Denken war eine gern ausgeübte Beschäftigung, nicht nur in den Leistungskursen Mathematik und Latein, sondern auch in Gesprächen über den Sinn des Lebens, ein eventuelles Leben nach dem Tod und die damals stets gegenwärtige Frage, ob die Schulkameraden den Kriegsdienst verweigern sollten oder nicht.
Vor diesem Hintergrund war ich einigermaßen vorbereitet, Steiners Gedankengänge zu verstehen und ihnen selber denkend zu folgen, bis dahin, wo das Denken in seiner auf sich selbst beruhenden Natur als einheitlicher «Seinsgrund»1 der Welt erkannt wird. Der ist mannigfaltig ausgegossen und differenziert in den einzelnen Bewusstseinen und den einzelnen Welttatsachen, aber das Differenzierte ist – einer Formulierung in den Anthroposophischen Leitsätzen (1924) folgend – als «Geistiges im Menschenwesen» und als «Geistiges im Weltenall»2 doch mit diesem einheitlichen Seinsgrund verbunden, enthält ihn, ist seiner inne. Ich konnte mitvollziehen und ahnend erleben, wie ich im Denken selber tätig bin und zugleich etwas Objektives zur Erscheinung bringe und wie dieses tätige zur Erscheinung-Bringen etwas ist, das sich selber trägt und auf sich selbst beruht, in meinem Denken als auf sich selbst beruhender Seinsgrund anwesend ist.
Ich hätte diese Erfahrung damals wohl nicht genau beschreiben können, aber sie nahm in diesem ersten Lesekreis ihren Anfang, sich bis heute erneuernd und vertiefend. Es war die erste ahnungsweise Erfahrung dessen, wonach, wie ich heute weiß, alle spirituellen Strömungen suchen und was als Absolutes, als Geist, als Gott, als Weltengrund, Brahman oder als Selbst bezeichnet wird.
Der in den Grundlinien gefundene Zugang zum Seinsgrund führt – auch das war mir damals in seiner Bedeutung nur anfänglich klar – durch das Denken, durch das, was in mir in seiner letzten Äußerungsform als Denken erscheint und was zurückgeführt werden kann zu der Kraft, die nicht nur in mir als Denken zur Erscheinung kommt, sondern auch die Welttatsachen schöpferisch zur Erscheinung gebracht hat und bringt. Dass dieser Grund durch das menschliche Denken – wenn es sich denn entsprechend vertieft – zugänglich ist, charakterisiert die ganz spezifische Geistigkeit, die Rudolf Steiner in der Anthroposophie zum Ausdruck gebracht hat, zutreffend. Ich fühlte mich dadurch mit einem Grund verbunden, der sich selbst trägt, der nicht mehr hinterfragbar ist, der in seiner tiefsten, absoluten Natur das Wesen und der Sinn der Welt ist.
Es war diese Erfahrung, die die achtziger Jahre hindurch meinen Umgang mit Rudolf Steiners Werk bestimmte, im Anthroposophischen Studienseminar bei Frank Teichmann, in der anthroposophischen Studentenarbeit, im Frankfurter Zweig der Anthroposophischen Gesellschaft. Es ging mir darum, die Denkbewegungen im Hinblick auf die zentrale Erfahrung des Seinsgrundes immer aktiver und bewusster zu vollziehen – hier lagen auch meine ersten Erfahrungen mit anthroposophischer Meditation. Die Inhalte der Anthroposophie spielten demgegenüber für mich zunächst gar keine große Rolle, wenn auch die anthroposophischen Grundbegriffe wie die Wesensglieder, die Kulturepochen, Mysteriengeschichte und Weltentwicklung und der Reinkarnationsgedanke doch hängenblieben, sich quasi absetzten durch immer erneutes Durchdenken. Sie setzten sich allerdings weniger als Gewusstes ab denn als Struktur, als Organ, bereit zum Wahrnehmen und Ordnen geistiger Wirklichkeit, bereit zum Auffinden des Seinsgrundes in der Welt. Zunächst äußerten sie sich wie ein noch ganz allgemeiner