legte die Hand auf Ludos Schulter und schob ihn Richtung Tür. „Dann gehen wir mal nach oben in unser Zimmer.“
„Wir wollen euch nicht länger stören“, fügte Silvania hinzu.
„Ihr stört doch nicht!“, rief Herr Tepes.
Frau Tepes kniff ihren Mann in die Seite und flüsterte: „Aber wir.“
Herr Tepes zog die Augenbrauen hoch. „Ach.“
Daka hatte Ludo schon fast durch die Tür geschoben, als dieser sich umdrehte und die Hand hob. „Äh … eine Frage habe ich noch.“
„Gerne, Sumo.“ Herr Tepes lächelte ihm aufmunternd zu.
„Nicht an Sie, an Ihre Frau“, sagte Ludo.
„So.“ Herr Tepes verschränkte die Arme.
Ludo sah kurz zu Daka und Silvania. Sie warfen ihm einen fragenden Blick zu. Dann wandte er sich an Frau Tepes. „Können Sie eigentlich auch fliegen?“
Elvira Tepes starrte Ludo drei Sekunden lang an. Sie schluckte den Kaffee im Mund herunter. Dann bekam sie einen Hustenanfall. Ihre rosigen Wangen wurden purpurrot. Ihre nachtblauen Augen immer größer. Herr Tepes klopfte ihr auf den Rücken. Der zarte Körper wurde erschüttert. Das Husten klang wie der Motor von Herrn Tepes’ altem Dacia, wenn er mal wieder nicht anspringen wollte.
Schließlich gelang es Frau Tepes, den Deckel ihrer Toilettentasse zu öffnen. Sie nahm einen kräftigen Schluck. Einen Moment schloss sie die Augen. Sie atmete tief durch. Ihre Wangen nahmen wieder ihre normale Farbe an. Sie öffnete die Augen und sah abwechselnd Silvania und Daka an. Ihr Mund war schmal und gerade wie eine Peitsche. „Hatten wir nicht ausgemacht, dass wir bestimmte Sachen bestimmten Personen ganz bestimmt nicht erzählen?“, fauchte sie.
Die Zwillinge standen kerzengerade.
„Ja, schon, aber …“, begann Daka.
„Wir haben doch nur …“, versuchte es Silvania.
„Kein Aber und kein Nur!“, schnitt ihnen Frau Tepes das Wort ab. Sie war eine kleine, zierliche Frau. Aber ihre Stimme war gewaltig.
Sogar Herr Tepes rutschte unruhig auf der Couch umher.
„Was weißt du über uns?“ Frau Tepes sah Ludo ernst in die Augen.
Ludo schielte von Frau Tepes zu den Zwillingen und zurück.
Die Zwillinge zuckten mit den Schultern. Es war sowieso alles zu spät.
„Ich weiß nur, dass Daka und Silvania Halbvampire sind, dass Sie“, Ludo sah zu Frau Tepes, „ein Mensch sind und Ihr Mann …“ Ludo musterte Herrn Tepes mit großen Augen und raunte: „Ein echter Vampir.“
Herr Tepes nickte und streckte die Brust heraus.
Ludo legte die Hand aufs Herz. „Das ist alles. Ich schwöre es!“
„DAS IST ALLES?“ Frau Tepes war von der Couch aufgesprungen. „Potztausend! Das ist tatsächlich alles. Alles, was ihr“, Frau Tepes sah ihre Töchter an, „niemandem erzählen solltet!“
„Wir haben es Ludo gar nicht erzählt“, warf Daka ein.
„Kein Wörtchen“, bestätigte Silvania.
„Ich kann’s bezeugen“, sagte Helene.
„Und wieso weiß er es dann?“, fragte Frau Tepes. Ihre nachtblauen Augen funkelten wütend. „Kann er etwa hellsehen?“
„Äh … Genau“, sagte Daka.
„Also, vielleicht nicht richtig hellsehen“, meinte Silvania.
„Aber ein bisschen schon“, fand Helene.
Frau Tepes klappte der Mund auf.
Ihr Mann zog an ihrem Pullover. „El Virus, komm, setz dich wieder“, sagte er sanft. El Virus nannte er seine Frau immer, wenn sie wütend war. Was nicht oft vorkam. Aber es kam vor. In manchen Punkten war Elvira Tepes empfindlich. Mihai Tepes kannte diese empfindlichen Punkte seiner Frau sehr genau. Es waren ihre Kniekehlen, ihr rechtes Ohrläppchen und die Wahrung der geheimen Identität ihres Mannes und ihrer Kinder. In Bistrien hatte Mihai Tepes seine Frau vor bissigen Vampiren beschützt. In Deutschland wollte Frau Tepes ihre Familie beschützen. Niemand sollte herausfinden, dass in einer deutschen Reihenhaussiedlung ein Vampir und zwei Halbvampire wohnten. Frau Tepes hatte Angst. Sie fürchtete, dass man ihren Mann und ihre Töchter wegsperren würde. Ins Gefängnis oder in die Irrenanstalt. Sie wusste nicht, was schlimmer war.
Herr Tepes sah das Ganze etwas gelassener. Er war als zweiter Sohn einer ehrwürdigen Vampirfamilie geboren worden, er war seit 2676 Jahren Vampir, er würde immer ein Vampir bleiben. Und wenn es darauf ankam, würde er allen zeigen, was er war. Wollten sie ihn wegsperren, mussten sie ihn erst einmal kriegen.
Elvira Tepes ließ sich von dem Gezuckele ihres Mannes am Pullover nicht beeindrucken. Sie blieb stehen. „Du kannst also hellsehen, ja?“ Sie verschränkte die Arme und sah Ludo an. Dabei hob sie das Kinn.
Ludo nickte zögernd.
„Dann sieh doch bitte mal nach, wie der Verkauf von meinen Klodeckeln nächsten Monat so läuft.“
Ludo schloss die Augen und presste die Lippen aufeinander. Im Wohnzimmer der Tepes wurde es ganz still. Nur Ludos Atem war zu hören. Laut und regelmäßig. Ludo blähte die Backen auf. Er quietschte, er grunzte. Dann atmete er lautstark aus. Seine Backen fielen ein.
Herr und Frau Tepes beobachteten Ludo mit gerunzelter Stirn. Sie warfen sich einen fragenden Blick zu.
Plötzlich riss Ludo die Augen auf. Er schüttelte die Arme aus, rollte die Schultern und spreizte die Finger. „Also. Der Empfang war nicht so gut. Aber ich habe etwas gesehen: Der Verkauf läuft gut.“
Frau Tepes zog eine Augenbraue nach oben. „Und das nennst du hellsehen? Da sehe ich mehr, wenn ich in den Ofen gucke.“
„Das war noch nicht alles“, fuhr Ludo fort. „Ein Großauftrag kommt rein. Von irgendeinem Hotel.“
Frau Tepes’ nachtblaue Augen blitzten auf. „Vom Goldenen Löwen?“
„Das weiß ich nicht. So scharf habe ich nicht gesehen. Wie gesagt, der Empfang …“
Elvira Tepes sah ihren Mann ratlos an. „Ich hatte heute Morgen eine Anfrage vom Goldenen Löwen, dem großen Hotel gleich neben dem Rathaus.“
Herr Tepes lächelte seine Frau an. „Na siehst du, dann ist ja alles geklärt. Daka und Silvania haben sich an die Regeln gehalten. Sie haben einen neuen Freund, der hellsehen kann. Und du bekommst einen Großauftrag. Ich finde, das ist ein Grund zum Anstoßen!“ Mihai Tepes wollte gerade die Karpovkaflasche aus dem Schrank holen, als ein furchterregendes Grollen erklang. Es kam aus dem Keller. Herr Tepes hielt in der Bewegung inne. Er stand mit hochgekrempelten Hosen barfuß auf dem cremeweißen Wohnzimmerteppich und starrte auf den Fußboden. Was war im Keller los?
Das Grollen war verklungen. Jetzt waren Schritte zu hören.
Elvira Tepes blickte nervös zur Tür.
„Was war das?“, fragte Silvania.
„Wer kommt da?“, fragte Daka.
Die Schritte näherten sich dem Wohnzimmer. Jetzt war auch ein Zischen und Rauschen zu hören.
„Ich muss ganz schnell nach Hause“, sagte Helene. Ihre Stimme klang piepsig.
„Ich glaube, ich auch“, meinte Ludo.
Doch keiner der beiden wagte es, sich zu bewegen.
Vor der Wohnzimmertür erklang ein Kichern. Dann ein kleiner Rülpser.
Frau Tepes sah mit weit aufgerissenen Augen von Helene und Ludo zur Wohnzimmertür. Dann sah sie zu ihrem Mann. „Mihai! Tu etwas! Sonst geschieht ein Unglück!“
„Zu spät“, sagte Ludo. „Ich sehe es kommen.“
In dem Moment flog die Wohnzimmertür auf. Sie war nicht das Einzige, was flog.
Toilettenrauschen,