Friedrich Glauser

Der Tee der drei alten Damen


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Frau sah ihn einen Augenblick an, dann wandte sie sich zur Tür.

      »Ich habe nur gehört von dem Unglück. Und ich wollte sehen«, sagte sie still. Und dann fiel die Tür hinter ihr zu. Thévenoz wollte ihr nachlaufen, aber in der Tür stieß er mit einer Schwester zusammen.

      »Es will Sie jemand am Telephon sprechen«, sagte die Schwester.

      »Mann oder Frau?« fragte Thévenoz wild.

      »Es war eine Männerstimme«, antwortete die Schwester, und lächelte dazu ein wenig impertinent.

      »Gut«, nickte Thévenoz. Er hatte den geheimnisvollen Besuch scheinbar vergessen, denn er verschwand.

      3

      »Also, jetzt erzählen Sie einmal klar und deutlich, mein lieber Malan; aus Ihrem Rapport wird ja niemand klug.«

      Kommissär Pillevuit ließ die Hand über seinen langen gelben Bart gleiten und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Polizist Malan stotterte…

      »Nein, so geht das nicht. Warten Sie!«

      Kommissär Pillevuit holte eine Flasche aus einem Fach seines Schreibtisches, füllte ein Glas mit einer wasserklaren Flüssigkeit – sie roch bedenklich nach Alkohol –. Malan trank, räusperte sich… und dann konnte er plötzlich reden.

      »Also, ich will einmal resümieren«, sagte Kommissär Pillevuit. »In der Toilette war ein Mann versteckt, der weiße Tennishosen trug. Groß? Klein? Das wissen Sie nicht?… Außerdem haben Sie Drähte aufgelesen, von denen jener Professor behauptet, sie seien zum Putzen von Hohlnadeln bestimmt. Wo sind diese Drähte?… Die hat der Professor mitgenommen! So, so… Werden ihn später anläuten. – Und Sie finden, dieser Professor habe sich sonderbar benommen? Inwiefern sonderbar?… So, als ob er mit der Geschichte etwas zu tun gehabt hätte?… nicht?… , aha, so, als ob er den jungen Mann kennen würde. Ich verstehe. Und Sie haben den Professor ans Spital telephonieren lassen, der junge Mann ist abgeholt worden… warten Sie, ich will schnell das Spital anrufen… Ja, hier Stadtpolizei. Ein junger Mann ist eingeliefert worden diese Nacht. Ich brauche einige Angaben, wer behandelt ihn? So, wollen Sie ihn ans Telephon rufen? Danke… Guten Tag Doktor, wir kennen uns ja… Ja, ja… Hören Sie, was hat der junge Mann, den Sie da behandeln?… Mysteriöse Angelegenheit? Wieso mysteriös? Es gibt nichts Mysteriöses. Was Sie nicht sagen!… Vergiftung?… Wie sagen Sie?… verteufelter Name! Werde ich mir nie merken können. Hab' nie von diesem Gift gehört… Ah? Nicht möglich? Raffinierter Mordversuch?… Ja, ich sag' es ja immer, seit dieser verdammte Völkerbund unsere Stadt unsicher macht, hat man nur Scherereien… Von einer fremden Delegation? Natürlich! Was hab' ich Ihnen gesagt?… Sie glauben, Sie können ihn durchbringen?… Desto besser. Keine Anhaltspunkte? Ich meine, was seine Personalien betrifft? Gar nichts?… Ja, Professor Dominicé, ich weiß. Ich werde mich bei ihm erkundigen. Danke, Doktor, leben Sie wohl… Morgen vielleicht?… Gut, gut!«

      Nach diesem Gespräch schwitzte Kommissär Pillevuit außerordentlich. Er bedurfte einer Erquickung. Also entließ er den Polizisten Malan und ging in eine kleine, nahe gelegene Weinstube, wo er die verlorene Flüssigkeit mit Hilfe von Waadtländer Wein ersetzte.

      4

      Seine Exzellenz Sir Avindranath Eric Bose hatte die Gesichtsfarbe jener alten Herren, die den Winter hindurch in Davos oder St. Moritz Curling gespielt haben und gewohnt sind, sich von den Anstrengungen dieses sanften Spieles bei einem Whisky Soda oder einem heißen Gin zu erholen. Übrigens war Sir Eric Baronet des Königreichs Großbritannien, bevollmächtigter Delegierter eines indischen Randstaates, eines kleinen Staates, der seinen eingeborenen Fürsten vertrieben und Sir Eric zum Landpfleger erkoren hatte. Eigentlich nur um seinen Untertanen zu schmeicheln, hatte Seine Exzellenz den merkwürdigen Namen »Avindranath« angenommen. Er stammte nämlich aus Sussex und hatte Nationalökonomie studiert. Das war schon lange her. Er langweilte sich oft in seinem Randstaat, darum war ihm der Völkerbund ein willkommener Vorwand zu einer Europareise; die Schweiz gefiel ihm ausnehmend.

      Es war tiefer Nachmittag. Seine Exzellenz war spät aufgestanden, noch unrasiert, und diesen Mangel behob soeben sein Kammerdiener Charles. Während dieser den Pinsel sanft über die roten Wangen seines Herrn führte, erkundigte sich Sir Eric:

      »Charles, noch immer keine Nachricht von Crawley?«

      Charles stellte den Pinsel ab, zog ein Messer aus seiner oberen Rocktasche und begann es abzuziehen. Erst dann antwortete er:

      »Nein, Sir.« Und er verneigte sich dazu.

      Sir Eric wollte etwas bemerken, aber da das Messer soeben über seiner Oberlippe schwebte, verschluckte er die Bemerkung.

      »Schmerzt es, Sir?« erkundigte sich Charles, und seine Exzellenz verneinte mit einem Grunzen.

      Klopfen an der Türe.

      »Gestatten Sie, Sir, daß ich mich erkundige, was los ist?« fragte Charles, klappte das Messer zu und ließ Sir Eric mit einer halb rasierten Gesichtshälfte sitzen. An der Türe führte der Diener ein leises Gespräch, kehrte zurück, um Seiner Exzellenz mitzuteilen, es seien zwei Ärzte draußen, die Seine Exzellenz zu sprechen wünschten.

      »Bin nicht krank«, bemerkte Sir Eric mürrisch.

      »Sie wünschen eine private Unterredung«, sagte Charles mit neutraler Stimme.

      »Sie sollen warten«, bestimmte Sir Eric.

      »Ich habe mir erlaubt, diese Weisung zu geben.«

      »Warum fragen Sie mich dann?« Seine Exzellenz war ungnädig. Sie fuhr mit der Hand durch ihr spärliches weißes Haar, so, als leide sie an einer unerträglichen Migräne.

      Im Empfangssalon des Hôtel de Russie – Empfangssalon: hoffnungsloser Luxus, Beschreibung unnötig, Sie kennen das schon aus verschiedenen Filmen – stritt sich Dr. Thévenoz mit seiner Braut, Frl. Dr. Madge Lemoyne. Diese Madge Lemoyne hatte ein Gesicht wie eine expressionistische Madonna, trug ihre Haare ungewöhnlich kurz, Herrenfrisur, Scheitel auf der Seite. Zu bemerken wäre noch, daß sie sehr geschmackvoll gekleidet war, roter ärmelloser Jumper, kurzer Rock, von einem raffinierten Braun, das ihre sonnverbrannte Hautfarbe gut zur Geltung brachte. Ihr Körper wirkte sehr weich; vielleicht war dies der Grund, daß sie es stets liebte, eine gewisse Härte in ihrem Verhalten hervorzukehren.

      »Jonny«, sagte sie – sie nannte ihren Freund, den Dr. Thévenoz, stets Jonny, obwohl er Jean hieß, und schon dieser Name brachte den Arzt in Harnisch – »wird uns der alte Herr noch lange warten lassen? Ich bin sicher, daß Ronny sich unten langweilt.«

      Ronny war Madges Airedalehund, und Ronny wartete unten im kleinen Amilcar-Zweisitzer, der Madge und ihren Freund – vermeiden wir lieber das Wort »Verlobter« oder »Bräutigam«, denn Madge haßte diese Worte – vom Spital zum Hôtel de Russie geführt hatte.

      »Nenn mich bloß nicht Jonny«, klagte Dr. Thévenoz, »ich will nichts mit England zu tun haben. Ich bin Genfer, ich bin Schweizer, du sollst mich Jean nennen, verstehst du?« Madge grinste wie ein Schulmädel. Sie hatte breite Zähne, was nach dem Urteil eines Frauenkenners ein Zeichen von Intelligenz sein soll. Ich kann darüber nicht urteilen.

      Sir Eric erschien. Er duftete nach Kölnisch Wasser und die Röte seines Gesichtes war mit Puder temperiert. Er war wirklich ein wohlgepflegter, alter Herr, noch nicht verfettet, sein glattes Gesicht lag in höflichen Falten, und er verneigte sich mit Würde. Sogar das Erstaunen über die Anwesenheit einer Dame (war nicht von zwei Ärzten die Rede gewesen?) hielt sich durchaus in den Grenzen des Anstands.

      »Dr. Thévenoz«, stellte sich der Arzt vor, und »eine Kollegin, Dr. Madge Lemoyne.« Madge neigte den Kopf, Seine Exzellenz beugte sich nieder zum Handkuß. Sir Eric hatte eine Schwäche für moderne Frauen, die sich gut anzogen.

      Madge überschüttete Seine Exzellenz mit einer Sturzflut englischer Erklärungen. Dr. Thévenoz stand ein wenig dumm daneben. Sir Eric hörte interessiert zu, dann wandte er sich an Thévenoz:

      »Ihre Kollegin erklärt mir soeben«, – Sir Erics