Karl May

Im Reiche des silbernen Löwen II


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und Säuberung spreche, muß ich bemerken, daß die Bewohner Hillehs gar keine Veranlassung haben, auf ihre Reinlichkeit stolz zu sein; soviel ich sah, scheint die Stadt vielmehr eine Ablagerungsstätte alles möglichen orientalischen Schmutzes zu bilden.

      Unser Huhn konnten wir zwar mit Appetit verzehren, weil es von Halef selbst gebraten worden war, aber als wir uns hierauf saure Milch bestellten – Hilleh ist nämlich wegen seiner sauren Milch weithin berühmt – mußten wir die obere Schicht abschöpfen, weil sie wegen des daraufliegenden Schmutzes für uns ungenießbar war. Der Wirt, welcher dies sah und es übelnehmen wollte, fragte mit gerunzelter Stirn nach der Ursache. Halef, der in solchen Sachen immer Zungenfertige, antwortete:

      »Verzeihe uns, o Vorbild frommer Gastlichkeit! Wir sind Büßer und haben, um uns zu strafen und in der Enthaltung zu üben, ein Gelübde gethan, von keiner Speise, welche wir genießen, das Beste zu essen, und du wirst doch zugeben, daß das, was wir abgeschöpft und weggeworfen haben, von deiner Milch das Beste war.«

      »Allah sei euch gnädig und gebe euch Kraft, euer Gelübde bei allen Speisen und nicht bloß bei der Milch auszuführen! Ihr hättet von dem Huhn doch auch das Beste übrig lassen sollen, habt es aber ganz verzehrt!«

      »Du irrst, denn wir haben es nicht verzehrt.«

      »Ich sehe aber doch nichts!«

      »Wirklich nicht? Erlaube, daß mir um das Licht deiner Augen bange wird! Was wäre ein Huhn, wenn ihm nicht die Knochen zur Aufrechterhaltung seines körperlichen Wuchses verliehen worden wären? Und wie könnte es bestehen, wenn es nicht die Federn besäße, welche nicht nur seine Kleidung, sondern auch den Schmuck seiner Schönheit bilden? Wenn Allah dich mit der Gabe der Vernunft gesegnet hat, wirst du also einsehen, daß die Knochen und die Federn am Huhn das Beste sind, was es besitzt. Nun schau hierher! Da siehst du die Knochen liegen, und wenn du in die Küche gehst, wirst du auch die Federn entdecken, von denen wir keine einzige mitgegessen haben. Unser Gelübde ist also erfüllt. Wir hätten auch von der Milch die Knochen und Federn übrig gelassen, haben aber leider keine drin gefunden!«

      Der Mann wußte nicht, was er dazu sagen sollte, und ging verdrießlich brummend zur Thür hinaus. Halef aber lachte lustig vor sich hin und sagte:

      »Das hätte Hanneh, die lieblichste aller Lieblichkeiten, hören sollen! Habe ich mich mit den Knochen und Federn in der Milch nicht vortrefflich ausgedrückt?«

      Nach einiger Zeit kam der Wirt mit drei Männern zurück, welche in alte, verschlissene Meschlachs[21] gekleidet waren und nicht sehr vertrauenerweckend aussahen. Sie betrachteten uns mit auffälliger Neugierde und setzten sich nahe bei uns nieder. Nachdem sie sich Tschibuks und Kaffee bestellt hatten, wendete sich einer von ihnen mit den Worten an uns:

      »Wir sahen draußen eure Pferde stehen und haben sie bewundert. Wer so ein Tier besitzt, muß reich, sehr reich sein. Darf ich fragen, wo eure Heimat liegt?«

      Halef warf mir einen fragenden Blick zu; ich nickte leise mit dem Kopfe, und so übernahm er die Antwort:

      »Wir wohnen im fernen Lande Schibiri[22], wo die Berge bis zum Mond hinaufreichen und weiß vom Schnee sind, in welchen sich dort der Regen zu verwandeln pflegt.«

      »Allah! Wie kalt muß es dort sein! Wir wissen hier nicht, was Schnee ist, haben aber davon gehört. Es wohnen wohl Sunniten dort?«

      »Nein, lauter Schiiten.«

      »So segne Allah dieses Land und lasse ihm hunderttausend Palmen für jeden Bewohner wachsen! Sind die Leute dort wohlhabend?«

      »Ja, alle!«

      »Das sieht man an euren Pferden. Wenn diese Bewohner auf Reisen gehen, stecken sie wohl nur Gold in ihre Taschen?«

      Halef war, indem er den Reichtum bejahte, sehr unvorsichtig gewesen; er konnte dadurch die Raublust dieser drei Menschen leicht auf uns lenken; jetzt antwortete er klüger:

      »Nein; sie stecken gar nichts ein, denn man ist dort so gastfreundlich gesinnt, daß niemand Geld zu haben braucht.«

      »Aber jede Gastfreundschaft muß belohnt werden; sie tragen also wohl Kostbarkeiten mit sich? Vielleicht Perlen oder gar edle Steine?«

      »Edle Steine? Was für Steine meinst du da?«

      »Diamanten, Rubine, Smaragde, Türkise.«

      »Allah‘l Allah! Sind etwa diese bei euch hier edel?«

      »Natürlich!«

      »Welch ein Land! Und welch ein Volk seid ihr. Bei uns in Schibiri bestehen sämtliche Gebirge massiv aus solchen Steinen. Die werden also gar nicht geachtet; die Wege sind mit Diamanten gepflastert, und die Häuser werden aus Rubinen und Türkisen gebaut. Zum Bau der Moscheen nimmt man nur Smaragde, die so groß sein müssen wie zehn eurer Kieselsteine.«

      »Maschallah! Soll man das wohl glauben?!«

      »Natürlich muß man‘s glauben, denn es ist ja wahr. Wir haben aber auch Steine, welche edel sind und ungeheures Geld kosten.«

      »Wie heißen diese?«

      »Kara Tasch, Haßwa, Hattan, Palandiz Taschy[23] und noch andere ähnliche.«

      »Sag, sind die Menschen wahnsinnig dort?!«

      »Welch eine Frage!«

      »Das sind ja lauter Steine, aus denen unsere Berge hier bestehen!«

      »So seid ihr und eure Berge verrückt, aber doch nicht wir! Den Wahnsinn kennt man in Schibiri nicht; hier aber scheint er in den meisten Köpfen, besonders in den eurigen, zu wohnen.«

      »Wieso?«

      »Weil uns nur verrückte Menschen nach Gold und nach Edelsteinen fragen können. Glaubt ihr denn, daß wir, wenn wir solche Dinge bei uns hätten, es euch sagen würden? Bei uns in Schibiri ist kein Mensch so dumm, wie die Bewohner der hiesigen Gegend zu sein scheinen.«

      jetzt sah der Mann ein, daß er von Halef gefoppt worden war; er griff nach seinem Messer und rief drohend aus:

      »Schweig! Wenn du beabsichtigest, uns zu beleidigen, wirst du sofort hier diese Klinge fühlen!«

      »Laß sie stecken!« antwortete der Hadschi lachend. »Wir haben auch Messer. Deine große und unzeitige Neugierde verdiente eine Lehre, die ich dir gegeben habe. Wir halten unsern Kef und wollen ruhen; da kommst du, uns zu stören. Warum lässest du uns nicht unbelästigt? Woher weißt du, daß wir mit dir sprechen wollen? Wir sind keine Knaben, denen man mit dummen, unvorsichtigen Fragen kommen darf. Das will ich dir noch sagen, und nun laßt uns in Ruhe!«

      Da sprang der Mann auf, hielt ihm die geballten Fäuste hin und schrie:

      »Das sind Beleidigungen, für welche ich dich erstechen würde, wenn ich nicht – — – wenn wir nicht – — – wenn wir nicht zum Stamme der Solaib gehörten! Hast du von diesem Stamme gehört?«

      Nach einem allgemeinen und sehr alten Übereinkommen erfreuen sich die Solaib des ungestörtesten Friedens. Niemand darf einen Solaib feindlich behandeln; dafür aber sind die Genossen dieses Stammes auch verpflichtet, ihrerseits alles zu vermeiden, was herausfordernd wirken kann. Wir wußten von den zwei Boten des Säfir, daß dieser sich mit Ghasai-Beduinen verbunden hatte, welche sich für Solaib ausgaben; höchst wahrscheinlich gehörten diese drei zu ihnen. Da der Hadschi die Schuld an dieser immerhin unangenehmen Scene trug, ließ ich ihn nicht weitersprechen, sondern richtete nun selbst die warnenden Worte an den Sprecher:

      »Wenn du wirklich ein Solaib bist, so mach der Friedfertigkeit deines Stammes keine Schande, und setz dich ruhig nieder! Wir sind, wenn wir mit jemand sprechen wollen, gewöhnt, das Wort selbst zu ergreifen. Warte also ab, was uns beliebt!«

      »Wallahi!« höhnte er. »Ihr scheint euch für sehr vornehme Personen ausgeben zu wollen; ich aber will euch sagen, was ihr seid! Ihr seid – — —«

      Ich sprang rasch auf, trat ganz nahe zu ihm heran und fragte:

      »Nun, was sind wir? Sprich!«

      Er