Karl May

Im Reiche des silbernen Löwen III


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zwei Gedanken herauszureiben. Der erste war, daß wir in dem Kaffee Opium oder etwas dem Aehnliches getrunken hatten. Opiate sind ja in Persien, ihrem Erzeugungslande, von jedermann sehr leicht zu haben. Und zweitens sagte ich mir, daß uns jetzt nichts so sehr wie ruhige Ueberlegung geboten sei.

      »Halef!« rief ich dem Gefährten zwischen zwei Donnerschlägen zu.

      Er antwortete nicht. Ich wiederholte seinen Namen und schüttelte ihn am Arme. Die Wirkung war eine höchst sonderbare:

      »Litaht!« rief er fast überlaut. Dann steckte er, ohne die Augen zu öffnen, den Zeigefinger krumm in den Mund, brachte einen schrillen Pfiff hervor und schrie dann das Wort zum zweitenmale.

      Das war das Zeichen für die Pferde, Fremden nicht zu gehorchen, sondern sie abzuwerfen. Warum jetzt dieses Zeichen? Es war gewiß ein Zusammenhang der Ideen oder der Umstände, welcher ihn veranlaßte, es zu geben. Ich rüttelte ihn stärker und so lange, bis er die Augen aufschlug. Er starrte mich wie abwesend an.

      »Halef, weißt du, wer ich bin?« fragte ich.

      Da trat das Bewußtsein in seinen Blick, und er antwortete:

      »Mein Sihdi bist du. Wer denn sonst?«

      »Wie befindest du dich? Wie ist dir jetzt?«

      »Warm, sehr warm,« lächelte er.

      Wie? Warm? Mich, den Gesunden, durchdrang eine eisige Kälte, und er, dessen Zustand mir Besorgnis eingeflößt hatte, fühlte sich warm, sogar sehr warm! Wenn ich richtig vermutet hatte und eine Krankheit bei ihm im Anzuge war, so konnte die jetzige Durchnässung ihm im höchsten Grade gefährlich werden. Und da fühlte er sich warm! War es etwa das Fieber, welches hier einmal als Wohlthäter auftrat und ihm das Leben rettete?

      »Weißt du, wo wir sind und was geschehen ist?« fragte ich ihn weiter.

      Er schloß die Augen, wie um nachzusinnen, und antwortete nicht gleich. Dann öffnete er sie wieder, sprang mit einem einzigen Rucke in die Höhe und rief aus:

      »Sihdi, du bist stets gegen den Gebrauch der Peitsche; aber hier ist sie es, welche das Wort zu sprechen hat! Es waren zwölf Mann. Sobald wir sie erwischt haben, bekommt ein jeder hundert Hiebe; das macht zusammen zwölfhundert Hiebe. Welche Seligkeit für mich!«

      Er stand da, stolz und gerade aufgerichtet, als ob ihm nichts, aber auch gar nichts fehle. Bis auf das Hemd ausgeraubt, vollständig mittellos, sprach er doch genau so, als ob er der Beherrscher der Situation sei. Darum sagte ich:

      »Rede mit Ueberlegung, lieber Halef! Schau dich und mich an! Wir sind Bettler; wir sind ganz ohnmächtige Menschen!«

      »Bettler? Ohnmächtig? Was fällt dir ein! Wenn du nicht mein Sihdi wärest, so würde ich dir sagen, daß du dich schämen solltest, so ohne Selbstvertrauen zu sein! Kennst du denn dich und mich nicht mehr? Hast du vergessen, was wir alles erlebt und erzwungen haben? Bettler und ohnmächtig! Du bist der klügste Mann des Abend- und ich bin der pfiffigste Halef des ganzen Morgenlandes! Grad daß wir vollständig ausgeraubt und scheinbar ohne Mittel und ohne Hilfe sind, muß uns willkommen sein! Denn das giebt uns Gelegenheit, zu zeigen, was wir können! Laß mich nur machen! Ich werde überlegen. Ich habe nicht immer geschlafen; ich bin auch aufgewacht; aber bewegen konnte ich mich leider nicht. Ich habe gesehen, und ich habe gehört. Was? Darüber will ich nachdenken.«

      Er setzte sich wieder nieder, obgleich die Stelle naß wie jede andere war. Den Kopf in die Hände legend, sah er auf die Erde. Dabei sagte er, indem er zwischen den einzelnen Worten oder Sätzen längere oder kürzere Pausen machte:

      »Ich wurde hin und her gewälzt, wachte aber nicht auf. – Ich fühlte fremde Hände in meinen Taschen, konnte mich aber nicht wehren. – — – Man hatte uns schon drüben auf dem Bergkämme stehen sehen, wo wir die Pferde ausruhen ließen. – — – Man beschloß, uns nicht zu überfallen und nicht zu töten, sondern mit Esjuhn[27] wehrlos zu machen. – — – Dann war es Tag geworden. Ich hörte die Hufe der Pferde und dachte an unsere Hengste. Das gab mir Kraft, die Augen aufzuschlagen. Ich sah, daß die Diebe fort wollten. Eben schwangen sich zwei auf unsere Rappen. Der Grimm darüber machte mich sofort gesund, leider nur für einen Augenblick. Ich rief zweimal das Wort und gab den Pfiff. Die Hengste gehorchten sofort. Sie gingen in die Luft, und die beiden Kerle flogen in weitem Bogen auf die Erde nieder. Der eine stand wieder auf. Der andere aber konnte das nicht thun; er mußte aufgehoben werden. Allah gebe, daß er ein Bein gebrochen hat, noch besser aber alle beide! – — – Dann schlief ich wieder ein, doch nicht auf lange Zeit, denn ich sah sie fortreiten, da grad hinauf; jenseits verschwanden sie. Die helle Morgensonne schien. Nun aber kam der tiefste Schlaf, aus welchem mich der Donner weckte. Ich setzte mich auf und lehnte mich hierher. Mehr zu thun, hatte ich nicht die Kraft. – — – Ich träumte allerlei, bis ich von dir aufgerüttelt wurde. – — – Das, Sihdi, ist es, was ich dir sagen kann, weiter nichts!«

      Wie kam es wohl, daß er nicht so tief wie ich geschlafen hatte? Hatten die in seinem Körper thätigen Krankheitserreger die Wirkung des Opiums abgeschwächt? Wohl möglich! Da umzuckte uns ein Blitz, als ob wir mit der Umgebung in einer einzigen Flamme ständen; es folgte ein betäubender Donnerschlag, und dann gab es plötzlich keinen Tropfen Regen mehr. Das Wetter war vorüber; die Wolken verschwanden schnell, und hierauf schien die Sonne erwärmend und trocknend auf uns hernieder. Ihr Stand sagte uns, daß es Nachmittag gegen drei Uhr sei. Uhren hatten wir nicht mehr.

      Es war, als ob uns mit der Sonne die volle Lebenskraft zurückgegeben worden sei. Halef behauptete, er sei vollständig gesund und wohl und fühle nicht das geringste Unbehagen. Er wurde, wie sich später herausstellte, getäuscht. Ich hatte Kopfschmerzen und vermißte sowohl die körperliche als auch die geistige Elastizität. Das konnte mich aber nicht hindern, zu thun, was nötig war. Zu überlegen gab es nichts. Wir konnten nichts anderes thun, als den Dieben folgen. Der Regen hatte zwar alle ihre Spuren weggewischt, aber wir wußten doch, nach welcher Richtung sie sich entfernt hatten. Eigentlich war es lächerlich, daß wir ohne alle Waffen und zu Fuße wohlbewaffnete Reiter verfolgen wollten, um ihnen ihren Raub wieder abzunehmen; aber sie konnten doch nicht wochenlang in einer Tour fortreiten. Sie mußten einen Ort haben, an welchem sie wohnten, und dieser konnte nicht wohl jenseits der Grenzen dieser Berge liegen. Wir mußten uns auf unsern Scharfsinn verlassen und unserem alten, guten Glück Vertrauen schenken. Die größte Mißlichkeit unserer Lage bestand darin, daß wir ohne Lebensmittel waren. Aber verhungern konnten wir nicht, denn nur eine Tagesreise von hier gab es am oberen Quran bewohntes Land, wo wir wohl bekommen würden, was uns nötig war. Uebrigens trug ich auf der Brust die Brieftasche mit den Geldwerten, welche mich gegen jeden späteren Mangel sicher stellten. Es fiel mir nicht im geringsten ein, gleich von vornherein an unserem Erfolge zu verzweifeln. Wenn Halef munter blieb, konnte sich sehr wohl ein guter Ausgang einstellen. Er behauptete, bereit zu sein, und so traten wir in dem scheinbar hilflosen Zustande, in welchem wir uns befanden, an eine Aufgabe heran, zu deren Lösung mehr, viel mehr gehörte, als uns zur Verfügung stand.

      Das Trocknen unserer höchst mangelhaften Anzüge ganz einfach der Sonne überlassend, verließen wir das Wasserbecken und stiegen in der Richtung bergan, in welcher sich die Nomaden entfernt hatten. Es war eine Art Bergsattel, auf dessen anderer Seite sie verschwunden waren. Gebahnte Wege gab es natürlich nicht. Jeder konnte die ihm beliebige Richtung einschlagen; aber es verstand sich ganz von selbst, daß er sich den bequemsten Ab- oder Aufstieg suchte. Wenn das Terrain mehrere bequeme Richtungen bot und es keine Spuren gab, so war es freilich für uns schwer, zu bestimmen, wohin die Gesuchten sich gewendet hatten. Das war hier oben der Fall. Gegenüber lagen nackte Höhen, hinter denen im Osten Berge emporstiegen, welche bewaldet oder doch wenigstens mit Gebüsch bestanden zu sein schienen. Es war anzunehmen, daß die von uns Verfolgten dorthin geritten seien. Gerade vor uns ging ein breiter, sanft geneigter Felsenhang hinab, an dessen Fuße drei verschiedene, nach Osten gehende Thäler mündeten. Welches von diesen dreien war gewählt worden? Das wußten wir nicht. Jammerschade, daß der Regen jede Spur verwaschen hatte.

      Wir stiegen hinab und begannen, das Terrain abzusuchen, obgleich wir keine Hoffnung auf Erfolg hatten. Aber das Glück, von dem ich vorhin sprach, war uns günstig. Das mittlere dieser Thäler war das breiteste und, wie es schien, bequemste. Darum gingen wir zunächst eine Strecke weit