Felix Dahn

Ein Kampf um Rom


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zu verbergen. Mit der Absicht, ihm wehzutun, sagte sie langsam: »So räumst du ein, König der Goten, daß deine Barbaren den Völkern der Menschlichkeit nachstehen?«

      «Ja, Kamilla«, antwortete er ruhig, »aber nur in einem: im Glück! Im Glück des Geschickes wie im Glück der Natur. Sieh dort die Gruppe von Fischern, die ihre Netze aufhängen an den Olivenbäumen am Strande. Wie schön sind diese Gestalten! In Bewegung und Ruhe, trotz ihrer Lumpen: lauter Statuen! Hier das Mädchen mit der Amphora auf dem Haupt! Dort der Alte, der den Kopf auf den linken Arm gestützt, im Sande liegt und hinaus träumt ins Meer. Jeder Bettler unter ihnen sieht aus wie ein entthronter König. Wie sie schön sind! Und in sich eins und glücklich! Ein Schimmer ungebrochenen Glücks liegt über ihnen. Wie über Kindern! Oder edlen Tieren! Das fehlt uns Barbaren!« — »Fehlt euch nur das?« — »Nein, uns fehlt auch Glück im Schicksal.

      Mein armes, herrliches Volk! Wir sind hier herein verschlagen in eine fremde Welt, in der wir nicht gedeihen. Wir gleichen der Blume der hohen Alpen, dem Edelweiß, die vom Sturmwind vertragen ward in den heißen Sand der Niederung. Wir können nicht wurzeln hier. Wir welken und sterben.« —

      Und mit edler Wehmut blickte er hinaus in die blaue Flut. Aber Kamilla hatte nicht die Stimmung, diesen weissagerischen Worten eines Königs über sein Volk nachzusinnen. »Warum seid ihr gekommen?« fragte sie mit Härte. »Warum seid ihr über die Berge gedrungen, die ein Gott als ewige Marken gesetzt hat zwischen euch und uns. Sprich, warum?«

      »Weißt du«, sprach Athalarich, ohne sie anzublicken, wie mit sich selber und für sich selber fortdenkend, »weißt du, warum die dunkle Motte nach der hellen Flamme fliegt? Wieder, immer wieder! Von keinem Schmerz gewarnt, bis sie verzehrt ist von der schönen, lockenden Feindin? Aus welchem Grund? Aus einem süßen Wahnsinn! Und solch ein süßer Wahnsinn ist es, ganz derselbe, der meine Goten aus den Tannen und Eichen hinweggezogen hat zu Lorbeer und Olive. Sie werden sich die Flügel verbrennen, die törichten Helden. Und werden doch nicht davon lassen. Wer will sie drum schelten? Sieh um dich her. Wie tief blau der Himmel! wie tief blau das Meer! und darin spiegeln die Wipfel der Pinien und die Säulentempel voll Marmorglanz! und fern da drüben ragen schön gewölbte Berge und draußen in der Flut schwimmen grüne Inseln, wo sich die Rebe um die Ulme schlingt. Und drüber hin die weiche, die warme, die kosende Luft, die alles erhellt. Welche Wunder der Formen, der Farben trinkt das Auge und atmen die entzückten Sinne! Das ist der Zauber, der uns ewig locken und ewig verderben wird.«

      Die tiefe und edle Erregung des jungen Königs blieb nicht ohne Eindruck auf Kamilla. Die tragische Gewalt dieser Gedanken ergriff ihr Herz; aber sie wollte nicht ergriffen sein. Sie wehrte sich gegen ihre weicher werdende Empfindung. Sie sagte kalt: »Ein ganzes Volk gegen Verstand und Einsicht vom Zauber angezogen?« und kalt und zweifelnd sah sie ihn an.

      Aber sie erschrak: denn wie Blitze loderte es aus den dunklen Augen des Jünglings, und die lang zurückgehaltne Glut brach plötzlich aus den Tiefen seiner Seele: »Ja, sag’ ich dir, Mädchen!« rief er leidenschaftlich. »Ein ganzes Volk kann eine törichte Liebe, einen süßen, verderblichen Wahnsinn, eine tödliche Sehnsucht pflegen so gut wie — so gut wie ein einzelner. Ja, Kamilla, es gibt eine Gewalt im Herzen, die stärker als Verstand und Wille, uns sehenden Auges ins Verderben reißt. Aber du weißt das nicht! Und mögest du’s nie erfahren. Niemals. Leb wohl!«

      Und rasch wandte er sich und bog rechts vom Tempel in den dichten Laubgang von rankendem Wein, der ihn sofort vor Kamilla wie vor den Fenstern des Schlosses verbarg.

      Sinnend blieb das Mädchen stehen.

      Seine letzten Worte klangen seltsam fort in ihren Gedanken: lange sah sie träumend ins offne Meer hinaus, und mit wundersam gemischter Empfindung, mit verwandelter Stimmung, kehrte sie endlich wieder dem Schlosse zu.

      ACHTES KAPITEL

      Noch am nämlichen Tage fand sich Cethegus bei den Frauen ein. Er war in wichtigen Geschäften von Rom herbeigeeilt und kam soeben aus dem Regentschaftsrat, der in des kranken Königs Gemach gehalten wurde. Verhaltener Zorn lagerte auf seinen herben Zügen.

      »Ans Werk, Kamilla«, sprach er heftig. »Ihr säumt zu lang. Dieser vorlaute Knabe wird immer herrischer. Er trotzt mir und Cassiodor und seiner schwachen Mutter selbst. Er verkehrt mit gefährlichen Leuten. Mit dem alten Hildebrand, mit Witichis und ihren Freunden. Er schickt Briefe und empfängt Briefe hinter unsrem Rücken. Er hat es durchgesetzt, daß die Königin nur noch in seiner Gegenwart den Rat der Regentschaft beruft. Und in diesem Rat kreuzt er all unsre Pläne. Das muß aufhören. So oder so.« — »Ich hoffe nicht mehr, Einfluß auf den König zu gewinnen«, sagte Kamilla ernst. — »Weshalb? Hast du ihn schon gesehen?« Das Mädchen überlegte, daß sie Athalarich versprochen, seinen Ungehorsam nicht an die Ärzte gelangen zu lassen. Aber auch sonst widerstrebte es ihrem Gefühl, die Begegnung dieses Morgens zu entweihen, zu verraten.

      Sie wich daher der Frage aus und sagte: »Wenn der König sich sogar seiner Mutter, der Regentin, widersetzt, wird er sich nicht von einem jungen Mädchen beherrschen lassen.« — »Goldne Einfalt!« lächelte Cethegus und ließ das Gespräch ruhen, solang das Kind anwesend war. Aber insgeheim trieb er Rusticianen, zu veranlassen, daß ihre Tochter den König fortan häufig sehe und spreche.

      Dies ward möglich, da sich dessen Befinden jetzt rasch besserte. Und wie äußerlich, wurde er innerhalb zusehends männlicher, fester und reifer: es war, als ob das Widerstreben gegen Cethegus ihm Leib und Seele kräftige.

      So verbrachte er bald wieder viele Stunden in den weiten Anlagen des Gartens. Dort war es, wo ihn seine Mutter und die Familie des Boëthius in den Abendstunden häufig trafen.

      Und während Rusticiana die Huld der Regentin mit voller Freundschaft zu erwidern schien und aufmerksam ihren vertrauenden Mitteilungen lauschte, um sie wörtlich dem Präfekten wiedererzählen zu können, wandelten die jungen Leute vor ihnen her durch die schattigen Gänge des Gartens.

      Oft auch bestieg die kleine Gesellschaft eine der leichten Gondeln in jenem Hafen, und Athalarich steuerte wohl selbst eine Strecke ins blaue Meer hinaus, nach einer der kleinen, grünbuschigen Inseln, die nicht weit vor der Bucht lagen. Auf dem Heimweg aber spannte man die purpurnen Segel auf und ließ sich von dem frischen Westwind, der sich bei Sonnenuntergang zu erheben pflegte, langsam und mühelos zurücktragen. —

      Oft waren es auch der König und Kamilla allein, die, nur von Daphnidion begleitet, sich dieser Wanderungen im Grünen und auf den Wellen erfreuten.

      Wohl sah Amalaswintha darin die Gefahr, dadurch die Neigung ihres Sohnes, die ihr nicht entgangen war, zu steigern. Aber vor allen andern Erwägungen segnete sie dankbar den günstigen Einfluß, den dieser Umgang augenscheinlich auf ihren Sohn übte: er wurde in Kamillas Nähe ruhiger, heiterer, und war dann auch weicher gegen seine Mutter, der er sonst oft heftig und schroff gegenübertrat.

      Auch beherrschte er sein Gefühl mit einer Sicherheit, die bei dem reizbaren Kranken doppelt befremdete: und endlich würde die Regentin, im Fall sich diese Liebe ernster geltend machte, sogar einer Verbindung nicht abgeneigt gewesen sein, die den römischen Adel völlig zu gewinnen und jedes Andenken einer unseligen Bluttat auszulöschen versprach.

      In dem Mädchen aber ging eine wundersame Wandlung vor. Täglich mehr fühlte sie ihren Groll und Haß schwinden, wie sie täglich klarer die edle Zartheit der Seele, den schwungvollen Geist, das tiefe, poesiereiche Gemüt des jungen Königs sich entfalten sah. Nur mit Anstrengung, konnte sie gegen diesen wachsenden Zauber sich immer wieder das Schicksal ihres Vaters als Talisman ins Andenken zurückrufen: immer mehr kam sie dazu, unter den Goten und Amalern, die jenes Schicksal herbeigeführt, mit Gerechtigkeit zu unterscheiden, immer bestimmter sagte sie sich, wie unbillig es sei, Athalarich um eines Unglücks willen zu hassen, das er nur nicht verhindert hatte und wohl schwerlich hätte verhindern können. Längst hätte sie ihn am liebsten völlig freigesprochen, aber sie mißtraute dieser Milde: sie scheute sie wie eine schwarze Sünde gegen Vater, Vaterland und eigene Freiheit.

      Mit Zittern nahm sie wahr, wie unentbehrlich dies edle Menschenbild ihr wurde, wie mächtig sie sich sehnte, diese melodische Stimme zu hören und in dies dunkle, sinnige Auge zu blicken. Sie fürchtete die frevelhafte Liebe,